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Interview mit einem Suchenden
Redaktion
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:51 Uhr

Veitshöchheim Auszüge aus dem Interview das die Schülersprecher Sophie Becker, Tanja Henkel und Lukas Krenz vor Mitschülern mit dem Promi-Schriftsteller und Alt-68er Johano Strasser führten:

Lukas: War für Sie die Zeit nach dem Abitur wirklich die schönste Zeit des Lebens?

Johano Strasser: Das muss ich strikt verneinen. Man ist weit davon entfernt gewesen, antiautoritär erzogen zu werden. Etliche meiner Lehrer sind Nazis gewesen. Im Klassenzimmer hing eine Weltkarte, die Deutschlands Grenzen bis zum Ural zeigte. Da musste man sich frei schwimmen, sich nach dem Abitur neu orientieren und so bin ich lange Zeit ein Suchender gewesen.

Tanja: „Erwachsen sein heißt, für jedermann erkennbar so zu sein, wie man ist“, stellt Robert, der Romanheld, fest. Was heißt für Sie Erwachsensein?“

Strasser: Es ist ganz gut, wenn man nicht zu erwachsen ist, denn wenn sich nichts mehr weiter entwickelt, kann man auch gleich ins Grab sinken. Meine Pubertät dauerte bis ungefähr zum 30. Lebensjahr. Bis dahin habe ich die unterschiedlichsten Rollen ausgetestet. Ich bin als Weltbürger erzogen worden und war dementsprechend lange auf der Suche. Während meines Philosophiestudiums habe ich mich der 68er-Bewegung angeschlossen, inzwischen bin ich zivilisiert. Aber ich hatte zu kämpfen mit Bemerkungen wie 'Junger Mann, Sie könnten auch mal zum Frisör gehen!'. Mein politisches Engagement hat mich reifen lassen.

Sophie: Woher haben Sie Ihr Wissen bezogen, welche Probleme bei heutigen Jugendliche anstehen?

Strasser: Ich habe fast dreißigjährigen Söhne, die am Starnberger See aufwuchsen als Kinder eines nicht allzu wohlhabenden Schriftstellers, wo viele Mitschüler mit eigenem Sportwagen an der Schule vorfahren. Mit den Freunden, die meine Söhne nach Hause brachten, habe ich mich intensiv unterhalten und ihnen aufmerksam zugehört, was sie interessiert und wie sie die Welt sehen. Ich weiß, dass sich Kinder von den Eltern abgrenzen wollen. So habe ich mal meinen Sohn dabei erwischt, wie er eine Lektüre unter dem Bett verschwinden ließ. 'Porno' denkt der verdorbene Vater! In Wahrheit war es Kafka, also etablierte Literatur, mit der ich mich auseinandergesetzt habe, mein Sohn sein Interesse daran aber nicht zugeben wollte.

Sophie: In Ihrem Roman heißt es, Robert habe 'solange er zurückdenken kann, mit seiner Mutter kein Gespräch geführt. Und mit seinem Vater erst recht nicht.' War das bei Ihnen zu Hause ein ebenso großes Problem wie bei Robert?

Strasser: Nicht alles, was man schreibt, ist autobiografisch. Wir waren sechs Kinder zu Hause und bei uns wurde sehr viel geredet. Das Problem der Sprachlosigkeit, wie es Robert in seinem Elternhaus erfährt, ist sicher ein schichtenspezifisches Problem, das es in meiner Familie nicht gab. Und natürlich werden gerade die Mütter in einem gewissen Alter von ihren Söhnen als zudringlich erlebt.

Lukas: Ist ihr Roman überhaupt noch zeitgemäß? Heutzutage wollen doch viele Jugendliche gar nicht, wie Robert das „Hotel Mama“ verlassen?

Strasser: Ihr dürft nicht alles glauben was DER SPIEGEL schreibt, von wegen 'Hotel Mama'. DER SPIEGEL erfindet Lügen. Nach wie vor wollen jungen Menschen hinaus in die Welt. Sie wollen im echten Wortsinn 'Welt er-fahren'. Das ist die Grundkonstellation in den meisten Menschen. Mein Robert im Buch hat viele Sehnsüchte im Kopf. Er identifiziert sich mit der Leichtigkeit des romantischen Taugenichts, der von Ort zu Ort zieht und seine Erfahrungen macht. So geht es auch heute noch vielen jungen Leuten.

 
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