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WÜRZBURG
In Schlangenlinien um die Stadtmitte
In Kurven um die Stadt: Sebastian Karl weiß, wie die Schlangenlinien zustande gekommen sind.
Foto: Heike Thissen | In Kurven um die Stadt: Sebastian Karl weiß, wie die Schlangenlinien zustande gekommen sind.
Heike Thissen
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:28 Uhr

„Können die Würzburger denn keine gerade Straßen bauen?“ Diese Frage haben sich wohl schon viele Einheimische und vor allem Besucher gestellt, wenn sie mit dem Auto in der Stadt unterwegs waren. Es ist ja auch verwirrend: Wer vom Berliner Platz erst auf der Martin-Luther-Straße und dann auf dem Friedrich-Ebert-Ring die Innenstadt umfährt, verliert vor lauter Kurven schnell den Überblick. „Das liegt daran, dass man dort auf den ehemaligen Befestigungsanlagen unterwegs ist“, erklärt Würzburg-Kenner Sebastian Karl und fährt fort: „Weil diese als Sternfestung gebaut waren, muss man ständig Kurven fahren.“

Die Ursprünge liegen im 17. Jahrhundert. „Nach dem Dreißigjährigen Krieg legte sich Würzburg einen steinernen Panzer mit 14 Meter hohen Mauern zu. Dazu gehörten auch weit nach außen führende Bastionsspitzen und tiefe Wassergräben“, erläutert der Gästeführer. Die Stadt sei innerhalb des Rings eingepfercht gewesen, die riesigen Befestigungsanlagen hätten Dunkelheit und Feuchtigkeit gebracht. Das so genannte „Glacis“, das Gelände davor, durfte weder bebaut noch bepflanzt werden. Sonst hätten sich potentielle Angreifer womöglich dort verstecken können. Doch als Würzburg 1856 seinen Status als Festungsstadt verlor, kaufte die Stadt der Königlich Bayerischen Regierung die Mauern ab – und konnte künftig ihre eigenen Pläne verwirklichen.

„Vor allem in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die mehreren Hunderttausend Tonnen Stein nach und nach abgetragen und die Gräben davor zugeschüttet“, sagt Sebastian Karl. Die Stadtmitte konnte sich endlich nach außen öffnen und entlang der neuen Ringstraße bauten diejenigen, die es sich leisten konnten, prächtige Wohnhäuser und kleine Stadtvillen.

Dass der Ringpark, den die Würzburger kurz und knapp „Glacis“ nennen, heute ein so attraktives Naherholungsgebiet ist, verdanken sie dem schwedischen Gärtner Jens Person Lindahl (1843-1887). Sieben Jahre lang arbeitete er daran, die Grünflächen in einen englischen Landschaftsgarten zu verwandeln. Während die Würzburger von heute den Park lieben, sah sich Lindahl 1884 heftiger Kritik ausgesetzt: Die geplanten Eingriffe seien zu groß, die Zahl der gefällten Bäume ebenso und die entstandenen Kosten erst recht. Ob Lindahl sich am 22. November 1887 in den Glacisanlagen an der Ottostraße erschoss, weil er sich über die Würzburger ärgerte oder aus anderen Gründen, ist nicht bekannt. Sein Nachfolger vollendete das Werk, sodass noch heute eine hügelige Landschaft mit Waldstücken, Lichtungen, Teichen, künstlichen Grotten und exotischem Pflanzenbestand mit einem Netz aus Spazierwegen die Innenstadt umgibt.

Und während sich die Fußgänger darüber freuen, ärgert sich so mancher Autofahrer über die schlangenlinienförmige Straßenführung um die Würzburger Innenstadt.

Würzburger Geheimnisse: Das Buch ist bei der Main-Post erschienen, hat knapp 200 Seiten und kostet 14,90 Euro. Erhältlich ist es in unseren Geschäftsstellen, im Buchhandel und online unter shop.mainpost.de

An jedem Erscheinungstag vor

Weihnachten bringen wird gekürzte Geschichten aus dem Buch.

 
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