frage: Nehmen Sie eigentlich den Aufzug, um in Ihr Büro im achten Stock zu kommen oder steigen Sie Treppen?
haile gebrselassie: (lacht) Ich mache es wie alle anderen und nehme den Aufzug. Beim Trainieren habe ich Treppenläufe sogar im Programm. Aber das muss nicht hier sein. . .
Viele Läufer in Addis Abeba trainieren um 5 Uhr früh, wenn die Straßen noch leer sind und die Luft noch sauber ist. Sie auch?
gebrselassie: Nein. Meistens bin ich auf meinen Trainingsstrecken am Entoto-Berg hier am Stadtrand oder einige Kilometer weiter draußen in Sululta oder Sendafa unterwegs. Und natürlich meine Stadionrunden . . .
Für die schnellen Intervalle?
gebrselassie: Ja. Zum Beispiel fünfmal drei schnelle Kilometer oder sechsmal zwei Kilometer mit Regenerationsphasen.
Welchen Kilometer-Schnitt laufen Sie dann?
gebrselassie: Zwischen 2:50 und drei Minuten.
Sie wollen nach Ihrer Regentschaft über die 5000 und 10 000 Meter nun Marathon-König werden. Nehmen Sie da nicht Tempo aus dem Training?
gebrselassie: Natürlich laufe ich in der Marathon-Vorbereitung jetzt langsamer. Aber trotzdem braucht man die schnellen Einheiten - ohne ein verrücktes Tempo zu gehen. Man darf sich nicht selbst kaputt machen.
Wie viele Kilometer spulen Sie derzeit pro Tag und Woche herunter?
gebrselassie: Im Durchschnitt 35 Kilometer pro Tag. Ein flotteres Training am Vormittag mit 22 bis 25 Kilometer, und dann noch mal zehn bis 15 Kilometer am Nachmittag. Im Schnitt also an die 250 Kilometer in der Woche.
Auf der 10 000-Meter-Strecke haben Sie die Jungen, vor allem Ihr äthiopischer Kronprinz Kenenisa Bekele, enttrohnt. Wie schwer ist Ihnen dieser Abschied gefallen?
gebrselassie: Schauen Sie, wie viele starke Läufer es vor meiner Zeit gab. Da kann ich mit meinen Ergebnissen zufrieden sein. Jetzt sind andere an der Reihe. Ich muss das akzeptieren, sonst wäre ich kein Athlet. Außerdem wusste ich von Anfang an, dass dieser Tag kommen wird. Wir machen manchmal den Fehler zu glauben, Läufer seien Maschinen. Aber es geht doch um viel mehr als Sieg oder Niederlage.
Olympiasieger Kenenisa Bekele musste dies Anfang Januar auf tragische Weise erfahren, als seine Verlobte beim Lauftraining am Entoto hier in Addis tot zusammengebrochen ist . . .
gebrselassie: Das war ein ganz schwerer Moment für uns alle, nicht nur für Kenenisa. Wir hatten schon überlegt, was wir den beiden zur Hochzeit schenken. Am Tag vor ihrem Zusammenbruch war noch alles in Ordnung. Und dann dieser Bergsprint . . . Aber die Ärzte sprachen von einem natürlichen Tod. Es ist schwer, mit dieser Situation umzugehen.
Sind Sie ihrem Weltrekord-Nachfolger sehr eng verbunden?
gebrselassie: Wir sehen uns alle drei Tage, außerdem besucht Kenenisa mein Fitness-Studio. Wir wollen ihm helfen, über diesen Schicksalsschlag hinwegzukommen. Aber vergessen ist schwer.
Sie selbst wollen sich jetzt den Weltrekord auf der Marathonstrecke holen?
gebrselassie: Das ist mein Ziel. Aber das wird nur auf einer flachen Strecke und bei guten Wetterbedingungen gehen. In Berlin zum Beispiel, oder in Chicago. Wenn man einen Rekord brechen will, muss an einem solchen Tag alles stimmen - natürlich auch die eigene Form.
Den London-Marathon haben Sie ja bereits 2002 mal "im Vorbeigehen" mit einer ausgezeichneten Zeit von 2:06:35 Stunden absolviert. Was haben Sie sich für den 17. April vorgenommen?
gebrselassie: Es sind sehr viele Top-Leute am Start, wie Paul Tergat oder Stefano Baldini. Deshalb dürfte es eher ein taktisches Rennen werden, aber gewiss kein Duell. Ich schaue nicht auf einen einzelnen Konkurrenten. Als 25. London-Marathon ist es diesmal ein besonderer Lauf. Deshalb will ich gewinnen. Doch für einen Weltrekord ist es in London meist zu kalt und zu windig.
Und wie steht es um Ihre linke Achillessehne? Die Probleme damit hatten Ihnen den Olympia-Auftritt in Athen verdorben . . .
gebrselassie: Nach meiner Operation vor fünf Monaten fühle ich mich jetzt zunehmend besser. Der Heilungsprozess dauert aber voraussichtlich ein ganzes Jahr. Die Ärzte hatten mich gebeten, fünf Monate lang nach dem Eingriff keinen Wettkampf zu bestreiten. Mit den zwei Halbmarathons in Spanien habe ich mich nicht daran gehalten. Und am 6. März will ich in Lissabon noch einen weiteren laufen. Ich brauche das vor London. Für meinen Kopf.
Es heißt, Ihr Landesverband habe Sie gedrängt, trotz Verletzung bei Olympia in Athen zu starten, damit Äthiopien alle drei Medaillen über die 10 000 Meter gewinnt.
gebrselassie: Richtig, ich wollte eigentlich nicht laufen. Aber im Nachhinein war es gut, dabei gewesen zu sein. Ich glaube, so konnte ich zumindest die anderen unterstützen - mental vor allem. Leider konnte ich im Rennen nicht mehr zu Kenenisa und Sileshi aufschließen. Die Schmerzen in der Achillessehne waren so schrecklich, die wünsche ich wirklich niemandem! Ich konnte nach dem Rennen kaum mehr gehen.
Haben Ihnen Ihre Landsleute dennoch Vorwürfe gemacht, weil Sie die dritte äthiopische Medaille verpasst haben?
gebrselassie: Nein, im Gegenteil. Ich wurde nach der Rückkehr aus Athen empfangen, als hätte ich die Goldmedaille gewonnen. Die Leute wussten, dass ich verletzt gelaufen bin.
Hier in Ihrem Büro spielt sich das zweite Leben des Haile Gebrselassie ab. Nebenan lassen Sie gerade einen weiteres Gebäude errichten. Fühlen Sie sich mehr als Läufer oder Geschäftsmann?
gebrselassie: Ich bin wirklich beides. Gemeinsam mit meiner Frau und meinem Bruder als Bauleiter arbeiten wir sozusagen als Bauträger: Wir bauen und vermieten Immobilien.
Sie könnten Ihr Geld auch im Ausland investieren . . .
gebrselassie: Vergessen Sie nicht: Ich bin Äthiopier. Ich liebe mein Land. Als ich nach Addis gekommen bin, gab es hier nichts. Mein persönliches Glück war es, dass ich mit dem Laufen auch Geld verdienen konnte. Jetzt empfinde ich große Zufriedenheit, hier im Land investieren zu können. So kann ich etwas für die Leute tun.
Wie viele Angestellte haben Sie?
gebrselassie: Im Moment etwa 300, die meisten von ihnen auf dem Bau. Allein nebenan - das wird ein neues Geschäftshaus - sind 75 Leute beschäftigt.
Und Sie zahlen als vermögender Äthiopier besonders gut?
gebrselassie: Natürlich verdienen auch meine Angestellten relativ wenig. Nur: Bezahlte ich freiwillig mehr, würden die Leute immer mehr fordern. Dann bliebe kein Gewinn mehr und das ganze Geschäft ginge den Bach runter. Davon hat keiner etwas. Ich habe vor sieben Jahren mit einem einzigen Haus und 25 Beschäftigten ganz klein angefangen.
Wie viele Häuser bauen Sie gerade?
gebrselassie: Aktuell haben wir vier Baustellen in Addis, Awasa, Asela und Bahardar. Da entstehen Geschäftsräume, Büros. Aber wir bauen auch Kindergärten und Schulen. Wenn ich dann die vielen Schüler sehe, erlebe ich eine große Genugtuung. Die Schul- und die Ausbildung der Kinder ist so wichtig für die Entwicklung Äthiopiens.
Sie sind also nicht nur ein erfolgreicher Sportsmann, sondern auch ein erfolgreicher Geschäftsmann . . .
gebrselassie: Ich denke durchaus. Wobei ich gestehe: Den größten Teil der geschäftlichen Tätigkeiten macht meine Frau Alem. Sie ist auch Teilhaberin unseres gemeinsamen Unternehmens.
Wie viel Zeit bleibt Ihnen da noch für Ihre drei Töchter?
gebrselassie: Natürlich ist die Zeit knapp. Aber sie sind mit drei, fünf und sieben Jahren noch recht klein und brauchen uns. Wir kümmern uns jeden Tag um sie. Trotz meines engen Terminplans versuche ich, möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen oder mal bei den Schularbeiten zu helfen.
In Deutschland gelten Sie als der prominenteste und populärste Äthiopier überhaupt . . .
gebrselassie: Ja, das ist schon unglaublich. 95 Prozent meiner Autogramm-Post kommt aus Deutschland. Und wenn ich in Stuttgart oder Dortmund gelaufen bin, wurde ich mit sehr viel Sympathie empfangen. Ich war wirklich überrascht. Am riesigen Frankfurter Flughafen erkennen mich die Leute und begrüßen mich. Das ist ein schönes Gefühl.
Woher rührt diese Popularität?
gebrselassie: Natürlich bin ich einige Rennen in Deutschland gelaufen. Aber ich weiß es nicht. (lacht) Vielleicht sehe ich aus wie ein Deutscher . . .
Na ja . . . Ich würde eher sagen, Sie sind der bekannteste Botschafter Äthiopiens im Ausland. Sehen Sie sich selbst so?
gebrselassie: Ich bemühe mich nicht darum, sondern will als Person immer Haile Gebrselassie bleiben. Gleichzeitig nehme ich in gewisser Weise Funktionen eines Botschafters wahr. Neulich konnte ich mich kurz mit Ihrem Bundespräsidenten, Herrn Köhler, unterhalten. Aber ich würde mich niemals als Botschafter titulieren.
Äthiopien ist für viele Menschen der Inbegriff von Hunger und Not. Was können Sie gegen dieses Negativ-Image tun?
gebrselassie: Zunächst einmal bin ich Läufer und die Zuschauer kommen auf diese Weise mit Äthiopien in Berührung. Aber kein Land dieser Welt ändert sich durch eine einzelne Person. Wir müssen unsere wirtschaftliche Entwicklung stärken, zum Beispiel durch den Blumenexport nach Europa. Wenn wir die positiven Seiten Äthiopiens erkennen, können wir das Land zum Besseren verändern. Im Übrigen hat sich gerade in den letzten Jahren schon viel getan. Es wurden Straßen gebaut, Häuser . . . Nur können wir das Land nicht in ein oder zwei Jahren entwickeln, aber vielleicht in zehn bis 20 Jahren.
Wer in Addis Abeba vom Flughafen zur Innenstadt fährt, kommt an Ihrem großen Plakat nicht vorbei: "Ytschalal!" - "Es ist möglich!" lautet das Motto für Ihre Landsleute. Sie sehen sich selbst als leuchtendes Vorbild?
gebrselassie: Nein, aber ich kann ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben. Und das freut mich. Am Anfang habe ich selbst vom großen Erfolg nur geträumt. Vieles von diesem Traum ist mittlerweile wahr geworden. Aber ich bin noch nicht am Ende. Ich will noch mehr tun für mein Land.
Und für Sie selbst? Welche sportlichen Ziele haben Sie noch?
gebrselassie: Ich möchte im Marathon und im Halbmarathon Weltrekord laufen. Und dann natürlich das große Ziel Olympia 2008 in Peking. Dort Olympiasieger im Marathon zu werden - das ist ein weiterer Traum.
Wenn Sie am 17. April in London um den Sieg laufen, werden sich auch in Würzburg - mit äthiopischer Beteiligung - einige Tausend Läufer auf die Marathonstrecke machen. Welchen persönlichen Tipp können Sie den Teilnehmern in Würzburg geben?
gebrselassie: Das Wichtigste ist Training, Training, Training. Ohne eine ausreichende Vorbereitung sollte man am besten gar nicht starten. Dann am Anfang nicht zu schnell laufen und in jedem Fall alle fünf Kilometer trinken. Die meisten Läufer haben Angst, dass sie durch das Trinken zu schwer würden. Aber das ist Quatsch. Wenn man erst einmal dehydriert ist und richtig Durst hat, kommt das Trinken schon zu spät. Ich wünsche allen Läufern in Würzburg viel Erfolg!