
Seit 6.30 Uhr schon sitzt Julia Kämmer (19) vor der Odeon-Lounge in der Würzburger Augustinerstraße. Die angehende Köchin aus dem 25 Kilometer entfernten Neubrunn ist heute extra früh aufgestanden. Sie hofft auf eine Statistenrolle, wenn Mitte September in Würzburg der Hollywood-3-D-Streifen „Die drei Musketiere“ mit Stars wie Orlando Bloom, Christoph Waltz, und Milla Jovovich gedreht wird. Über 2000 Mitspieler will die Agentur Producer's Friend bis Sonntag täglich von 10.30 bis 19.30 Uhr casten. Dann soll Regisseur Paul W. S. Andersen entscheiden, wer mitmachen darf beim Ritter- und Degen-Spektakel.
Mittlerweile ist es 10.30 Uhr. Die Schlange vor der Diskothek ist auf 200 Frauen und Männer angewachsen. Julia Kämmer gehört zu den Jüngeren. Sie wolle einfach mal in einem Hollywood-Film mitspielen und „Spaß haben“, erklärt sie. Erfahrung hat sie im Schultheater bei Dürrenmatts „Physikern“ gesammelt – und mit „schrägen selbst geschriebenen Batman-Sketchen“, die sie mit Freunden dreht und dann auf „You Tube“ ins Internet stellt. „Wir kostümieren uns sogar.“
Ganz unterschiedlich die Motive, warum sich die Leute in die Schlange stellen. „Wir sind Cineasten und stehen auf Christoph Waltz.“ Ursula Hörl (55) und Mechthild Helmuth (48) haben sich sogar schon Rollen ausgemalt. „Ich habe ein Pferd, also könnte ich durchs Bild reiten – und Mechthild spielt die Zofe“, träumt Ursula Hörl. Carola Weismantel (49) reizt die Geschichte von den Musketieren. „Die kenne ich von klein auf.“ Neben ihr steht Peter Weidner (46) mit langem wallendem Haar, Cowboyhut und Rüschenhemd. Der hat schon was von Hollywood. „Ich mache American Squaredance“, erklärt er.
Hans-Jürgen Domnowski (43) stammt aus Ostfriesland. Seit neun Monaten ist er „Obdachloser auf der Durchreise“. Er hat vom Musketier-Casting gelesen, hofft nun auf ein paar Drehtage im September. Immerhin: 50 Euro Gage zahlt die Produktion pro Tag.
„Das Geld ist es nicht, wir haben als Rentner einfach Zeit“, schmunzelt Gerhard Göpfert (64). Sein Freund Josef Schweser (65) hat schon Fernseherfahrung. „Als Günther Strack in den 90er Jahren im Steigerwald gedreht hat, habe ich hinter den Kulissen mitgeholfen, jetzt würde ich gerne mal vor der Kamera stehen – und Hollywood erleben.“
Und was ist mit den Stars? „Nicht so wichtig“, lügen viele. Nur Nathalie Müller (26) ist ehrlich: „Ich möchte Orlando Bloom nahe kommen.“ „Du willst ins Bett mit ihm“, interpretiert Rolf Reinstrom (54) drastisch. Der Hamburger mit Rauschebart verkörpert eher das Gegenteil des „Herr der Ringe“-Stars.
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11 Uhr. Maik van Epple erscheint auf der Straße, entschuldigt sich für die Verspätung, lobt Würzburg („wie Paris im 17 Jahrhundert“) – und kommt zur Sache. „Die Männer können wir fast alle brauchen – sofern sie kein Tattoo oder Piercing haben. Aber die Frauen . . .“ Der Casting-Agent erntet fragende Blicke. „Die Haare müssen mindestens schulterlang, sie dürfen weder gefärbt noch getönt sein.“ Ein erster Schock. „Das hat uns keiner gesagt.“ „Tut mir leid, ich habe gegen keine von ihnen persönlich was. Aber der Regisseur will das so, ehrlich.“ Trotz seines Charmes, van Epple hat keinen leichten Stand vor der Odeon-Lounge.
„Aber es gab doch auch im 17. Jahrhundert kurzhaarige Frauen.“ Einige Damen würden jetzt gerne verhandeln. „Die meisten trugen damals eh Kopftücher.“ „Mag sein“, sagt van Epple, „aber für Hollywood haben die Frauen im Europa des 17. Jahrhunderts wallendes, offenes Haar.“ Und Schluss. Während der Casting-Master die ersten Plastikchips zum Eintritt in die Diskothek ausgibt, ziehen viele Frauen enttäuscht ab. Ursula Hörl hat ein paar Tränchen in den Augen. Ihre Haare sind einfach zu kurz. Der Traum vom Ritt auf dem Pferd neben Christoph Waltz – er ist geplatzt.
Julia Kämmer mit ihrem langen dunkelbraunen Haar dagegen hat's geschafft. „Klasse.“ Jetzt gilt es für die Ausgewählten einen „Casting-Bogen“ auszufüllen. Da geht's um Geburtsdatum, Schuh-, Körper- und Konfektionsgröße, um Mail-Adressen und Telefonnummern. „Wer gut fechten kann oder mit dem Bogen schießen, schreibt es am Besten auch dazu.“ Unter den Gecasteten wollen der Regisseur und sein Team dann die Komparsen für den Würzburg-Dreh auswählen. „Derzeit“, erläutert Maik van Epple, „werden schon Hunderte von Kostümen im Design des 17. Jahrhunderts geschneidert.“
Mit dem Casting-Bogen geht's eine Treppe höher. Vertreter der Agentur tippen die Daten in einen Laptop ein. Außerdem steht hier das Fotostudio. Eine weiße Leinwand – markiert mit Größenangaben in Fuß und Meter. „Ohrringe müssen raus, Brillen abgenommen werden“, erklärt der Fotograf. Außerdem: „Bitte nicht lachen.“ Und so halten die Kandidaten mit strengem Blick einen Zettel mit ihrem Namen in die Kamera. „Wie Gefangenen-Fotos im Knast“, beschreibt einer die Szenerie. Julia Kämmer überkommt Lampenfieber. Wie sie so vor der Kamera steht, muss sie einfach lachen. Erst im dritten Anlauf ist der Fotograf zufrieden.
Geschafft. Die 19-Jährige ist guter Dinge, dass sie am Ende auch beim Film dabei ist. Jetzt will sie schon mal mit ihrem Chef reden, um für die Dreharbeiten frei zu bekommen.