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Haut aus dem Labor
Tissue Engineering: Heike Walles und ihr Team züchten Gewebe in der Petrischale. Offene Wunden könnten dadurch besser heilen und zerstörtes Gewebe ersetzt werden.
Im Bioreaktor: Erkranktes Gewebe wiederherzustellen und funktionstüchtig zu machen, ist Ziel beim Tissue Engineering.
Foto: Thomas Obermeier | Im Bioreaktor: Erkranktes Gewebe wiederherzustellen und funktionstüchtig zu machen, ist Ziel beim Tissue Engineering.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:06 Uhr

Hier wird Haut gemacht“, sagt Heike Walles, Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Tissue Engineering an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. In einem Mini-Gewächshaus, genannt Inkubator, steht eine Petrischale mit einem Stück Haut. Die Gewebezellen sind dort den gleichen physischen wie physiologischen Einflüssen ausgesetzt wie in unserem Körper. Zellen für Blutgefäße werden von pulsierenden Flüssigkeiten umströmt.

Haut aus dem Labor. Das klingt nach Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“. Doch am Röntgenring 11 in Würzburg geht es nicht um Science-Fiction. Tissue Engineering, Gewebekonstruktion oder Gewebezüchtung, ist der Überbegriff für die künstliche Herstellung biologischer Gewebe durch die Kultivierung von Zellen, um damit kranke Gewebe bei einem Patienten zu ersetzen oder zu regenerieren. Hierfür werden gesunde Zellen dem Spender-Organismus entnommen und im Labor vermehrt. Anschließend können sie dem Empfänger (re-)transplantiert werden.

Seit den 1990er Jahren gibt es in Deutschland Forschungsgruppen zu Tissue Engineering. An der Universität in Freiburg forscht man zu Knorpeln, in Berlin und Hannover zu Herzklappen. Den Forschern gelingt es bald, Knorpel und Knochen im Labor zu züchten. Auch in Würzburg gibt es seit 2009 einen eigenen Lehrstuhl für Regenerative Medizin, den Heike Walles innehat.

Gemeinsam mit ihrem 40-köpfigen Team entwickelt sie auch Luftröhrentransplantate. „Unsere Patienten gelten als austherapiert“, sagt sie. Es sind Menschen, die einen Lungen- oder Luftröhrentumor haben, die lange intubiert (beatmet) wurden oder deren Speiseröhre geschädigt ist. Um eine Luftröhre im Labor herzustellen, benötigt Walles nur etwas Muskelgewebe aus dem Oberschenkel und Haut. „Daraus isolieren wir drei Zelltypen.“ Nach zwei bis drei Wochen ist das Gewebe gezüchtet, dann wird die Luftröhre geformt und an den jeweiligen Patienten angepasst. Auf das Gerüst könnten auch Stammzellen ausgesiedelt werden, die aus dem Knochenmark des Patienten gewonnen wurden. „Die Zellen fühlen sich auf dem Gerüst wie zu Hause.“

„Wir haben bislang fünf Patienten therapiert“, freut sich die Wissenschaftlerin. Alle Patienten konnten nach zwei bis drei Wochen die Klinik gesund verlassen und müssen keine weiteren Medikamente einnehmen. Die Transplantation von Knorpeln in Knie-, Hüft- und Sprunggelenke ist medizinisch anerkannt. „Die Kassen bezahlen das auf freiwilliger Basis.“ Doch alle Tissue-Engineering-Produkte fallen unter das Arzneimittelgesetz. Daher dauert es viel länger, bis die Produkte auf den Markt – also in die Klinik – kommen. „Allein in Deutschland laufen derzeit über 123 Studien.“

Warum Luftröhren? „Die dreidimensionale Struktur mit Blutgefäßen hat mich von Anfang an interessiert“, sagt die Biologin. An der Medizinischen Hochschule in Hannover hat sie zunächst Herzklappen aus Schweineklappen hergestellt. 2004 wechselt sie an das Fraunhofer-Institut nach Stuttgart und beginnt dort mit der Forschung an Luftröhren. Als Grundlage neuer Luftröhren dient ein Stück Schweinedarm. Die Zellen des Schweins werden im Labor abgebaut, die Blutgefäße aber erhalten. Der Darm dient als Gerüst. In einem Inkubator würden die Zellen dazu gebracht, sich zu den Zellen einer Luftröhre zu entwickeln. Nach vier Wochen kann die künstliche Luftröhre dann verpflanzt werden.

Können mit diesem Verfahren in Zukunft auch andere Organe produziert werden, etwa Herzklappen, Nieren oder Lebern? Die Medizin könnte diese gut gebrauchen. Die Wartelisten für Transplantationen von Spenderherzen, -lungen, -lebern oder -nieren sind lang. Täglich sterben Patienten, weil ihnen nicht rechtzeitig ein Spenderorgan eingepflanzt wurde. Allein in Deutschland stehen 11 000 Menschen auf Wartelisten für Transplantationen, so die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). „Der Bereich des Tissue Engineering ist ein sehr vielversprechender Forschungszweig. Es sind bereits bemerkenswerte Forschungsergebnisse gelungen, die Verwendung in der medizinischen Routine ist noch nicht abzusehen. Die Züchtung von Organen befindet sich in einem sehr frühen experimentellen Stadium“, sagt der Geschäftsführende Arzt der DSO-Region Bayern, Dr. Thomas Breidenbach.

„Wir werden vielleicht nicht in der Lage sein, ein ganzes Herz aus dem Schrank zu holen“, sagt Walles. „Doch wahrscheinlich brauchen wir das gar nicht.“ Es gebe bereits Studien bei Patienten mit Herzinfarkt, die eine Zelllösung gespritzt bekommen, damit sich das Herz selbst regeneriert. „Tissue Engineering kann erkranktes Gewebe wiederherstellen und funktionstüchtig machen.“ Auch bei Nierenerkrankungen gebe es Versuche, Gewebe mit Zellen zu heilen. Getestet werden auch Dialyseverfahren mit Zellmembranen. „Wir werden uns von der Idee lösen müssen, dass wir immer ein ganzes Herz oder eine ganze Niere neu einsetzen.“ Bislang ist es nicht gelungen, Organe nachzubilden. Deren Struktur ist zu komplex.

Haut aus dem Labor wird bereits hergestellt und eingesetzt. Zum Beispiel bei Menschen, die offene Wunden am Unterschenkel oder am Fuß haben. „Was wir im Tissue Engineering brauchen, ist eine Automatisierung oder Teilautomatisierung“, sagt Walles. Damit Patienten schneller und standardisierter eine Chance auf Genesung bekommen. Heike Walles Ziel ist es, Haut auch großflächig herzustellen. Zum Beispiel für Verbrennungsopfer. „Meine Vision ist, dass wir in Verbrennungskliniken Automaten stehen haben, mit denen Haut quasi gedruckt werden kann.“ Ein Teil ihrer Vision ist bereits Realität: Vier Fraunhofer-Institute haben 2011 unter ihrer Federführung die erste voll automatisierte sterile Anlage entwickelt, um Haut schneller und in größerer Menge zu erzeugen: „In einem mehrstufigen Prozess werden die Hautproben sterilisiert, per Roboter in die Anlage transportiert, zerkleinert, isoliert und zum Wachsen gebracht – nach drei Wochen ist die künstliche Haut fertig.“

In Aldous Huxleys Roman gibt es keine Krankheiten mehr, die Menschen sind gesund und leistungsfähig. Tissue Engineering ist vielleicht ein Schritt in diese Richtung.

Regenerative Medizin

Tissue Engineering ist eine Heilkunst, die auf die Wiederherstellung funktionsgestörter Zellen, Gewebe und Organe abzielt. Dies geschieht entweder durch Anregung der körpereigenen Regenerations- und Reparaturprozesse oder durch den biologischen Ersatz in Form von lebenden Zellen oder eigens im Labor gezüchteten Geweben. Lebende Zellen sind das zentrale Werkzeug der Regenerativen Medizin. Seit den 1990er Jahren züchten Biotechnologen verstärkt lebendes Ersatzgewebe im Labor heran. Dies wird Tissue Engineering genannt, heute ein wichtiger Bereich der Regenerativen Medizin. Der Fokus auf der Regenerationsfähigkeit des Körpers könnte dabei helfen, Probleme der medizinischen Versorgung zu lösen. Leiden wie Schlaganfall, Diabetes, Herzinfarkt, Alzheimer, aber auch Nierenversagen und Gelenkverschleiß gehören zu den Volkskrankheiten in Deutschland. Die Vision der Regenerativen Medizin ist es, die medizinischen Probleme nicht nur symptomatisch zu behandeln, sondern die Ursache zu bekämpfen und zu heilen. Seit 2009 gibt es auch an der Universität in Würzburg einen Lehrstuhl für Tissue Engineering, den Professorin Heike Walles innehat.

Versuchsaufbau: Diplomingenieur Steffan Krziminski vor einem Lungenreaktor mit einer Rattenlunge.
| Versuchsaufbau: Diplomingenieur Steffan Krziminski vor einem Lungenreaktor mit einer Rattenlunge.
Professorin mit Visionen: Heike Walles.
Foto: Szymon | Professorin mit Visionen: Heike Walles.
Im Labor: Matthias Schweinlin präpariert eine Dünndarmprobe.
| Im Labor: Matthias Schweinlin präpariert eine Dünndarmprobe.
 
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