„Hartz IV hat nicht mehr reguläre Arbeitsplätze geschaffen. Hartz IV hat den Niedriglohnsektor über alle Maßen ausgeweitet – Millionen prekäre, ungeschützte Arbeitsverhältnisse sind entstanden. Damit spaltet Hartz IV die Gesellschaft. Hartz IV ist grundgesetzwidrig und verstößt gegen die Menschenwürde. Hartz IV ist nicht reformierbar und muss deshalb komplett abgeschafft werden.“ Also spricht nach Anhörung mehrerer echter „Schweinfurter“ Fälle Tribunal-„Richterin“ Heike – und bekräftigt ihr Urteil mit Hammerschlag.
Zehn Jahre nach Inkrafttreten der größten Arbeitsmarkt- und Sozialreform in Deutschland kommt die Schweinfurter Arbeitsloseninitiative (SALI) zu diesem vernichtenden Urteil, das sie am Donnerstag am Georg-Wichtermann-Platz zwar in die Form eines Sketches gekleidet hat. Ernst ist es trotzdem gemeint. Bevor „Richterin“ Heike nämlich ihr Abschaffungsurteil raushämmert, tragen SALI-Mitglieder wahre Erlebnisse vor, die Hartz-IV-Empfängern, welche sie beraten, im Schweinfurter Jobcenter widerfahren sind.
Da ist gleich zum Hartz-IV-Beginn im Jahr 2005 die Schnüffelei der Behörde in der Nachbarschaft, die aufgrund eines veralteten Telefonbucheintrags bei einem Hartz-IV-Empfänger eine Mitbewohnerin vermutet – die aber seit neun Jahren ausgezogen ist. Da ist ferner ein Leistungsbezieher, der umziehen musste, weil seine Wohnung generalsaniert wurde, doch sein Antrag beim Jobcenter auf Umzugshilfe wurde abgelehnt. Erst auf Protest bei der Jobcenter-Leitung bekam er das Geld, das ihm zustand.
Die SALI-Akteure schilderten zwei weitere Fälle, die ihrer Meinung eher der Schikane als einer Arbeitsvermittlung dienten. Ein Mann mittleren Alters, schlecht vermittelbar, habe ihnen erzählt, der Arbeitsvermittler habe ihm vorgeschlagen, für einen Job als Zeitungsausträger auf 400-Euro-Basis nach Essen zu ziehen, der Umzug werde bezahlt.
SALI-Sprecher Jürgen Wilk: Mit der dauernd hochkochenden „Faulenzerdebatte“ werde die Menschenwürde der Langzeiterwerbslosen mit Füßen getreten. Dabei seien sie schon Bürger zweiter Klasse, hätten keine freie Berufswahl, ihre Freizügigkeit sei eingeschränkt, ihre informationellen Selbstbestimmung, für sie würden keine Rentenbeiträge gezahlt, was zu Altersarmut führe.
Schon der Zwang, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, greife unverhältnismäßig in die Vertragsfreiheit ein und stelle laut Bundesverwaltungsrichter Professor Uwe Berlit einen „sanktionsbewehrten Zwang zur rechtsgeschäftlichen Selbstunterwerfung“ dar. Durch die Förderung eines Niedriglohnsektors und prekärer Arbeit werde die Gesellschaft gespalten. Die SALI sieht nach zehn Jahren ihre ablehnende Haltung gegenüber Hartz IV bestätigt.