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Hartes Gemüse ohne den goldenen Löffel im Mund
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Foto: FOTO FABIAN FRÜHWIRTH
Das Gespräch führte JÜRGEN HÖPFL
 |  aktualisiert: 16.12.2020 14:26 Uhr
Die staatstragende Beflaggung weist in Tauberbischofsheim seit Tagen auf ein sehr spezielles Ereignis hin: Zu Ehren von Dr. Thomas Bach, dem weltweit wohl bekanntesten Sohn der Main-Tauber-Kreisstadt, laden Bürgermeister Wolfgang Vockel und die "Michael Weinig AG" als größtes Unternehmen vor Ort am heutigen Freitag ab 11 Uhr die erlesene Schar von 200 Gästen zum "Geburtstags-Empfang". Bach, der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wurde bereits am 29. Dezember 50 Jahre alt.

Geboren in Würzburg, war Bach einer der ersten, von "Medaillenschmied" Emil Beck persönlich zu olympischen Gold-Ehren geführten Fecht-Asse "made in TBB". Seinen Weg abseits der Planche begann der Jurist, der 1983 sein Studium in Würzburg mit "magna cum laude" abschloss, als Aktivensprecher, der sich offen gegen den Boykott der Spiele 1980 in Moskau aussprach. 1991 wurde er im IOC nationaler Nachfolger von Willi Daume. Dass er zum umstrittenen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch einen sehr direkten Draht pflegte, brachte ihm dabei nicht nur Beifall ein.

Seit 2000 ist er IOC-Vizepräsident - und seit der Fußball- und Club-Fan Bach bei der deutschen Bewerbung zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eine maßgebliche Rolle mitspielte, ist er auch abseits der Sportpolitik zu einer häufig konsultierten Größe erwachsen. Die Liste seiner heutigen Ehrengäste liest sich entsprechend ansprechend: Es kommen der neue IOC-Chef Jacques Rogge und Amts-Vorgänger Samaranch, die Herren des WM-Organisationskomitees mit Franz Beckenbauer an erster Stelle, Bundesinnenminister Otto Schily - und andere Hochkaräter.

Fünf Jahrzehnte Thomas Bach - das bedeutet über vier Jahrzehnte Leben im Sport und für den Sport. Was war Ihr bislang bedeutsamster Moment?

Thomas Bach: Im Sport ist das ganz zweifellos mein Olympiasieg mit der Florett-Mannschaft 1976 in Montreal. Wobei es von der Leistung her fast noch bemerkenswerter war, dass wir bei der WM 1977 in Buenos Aires in der so genannten 'Olympia-Revanche' die Italiener nach einem 1:7-Rückstand trotzdem nochmals geschlagen haben.

Sie sind immer wieder bei den größten Sport-Veranstaltungen zu Gast. Woran erinnern Sie sich am liebsten?

Bach: O weh, ich bin ein solcher Fan von Live-Sport, und es waren so viele schöne Sachen dabei. Ich bin leider nicht gut in solchen Rückschau-Geschichten, mir fällt da nichts ein. Mein Thema ist absolut die Zukunft. Sie müssten eher meine Frau fragen. Die würde dann sagen, Mensch, du weißt doch noch, wie du damals bei dem und dem begeistert gewesen bist. Ja, sie wüsste das.

Sie kriegen ein wenig Bedenkzeit und sagen uns derweil, was das Schlimmste war, das Sie je erlebt haben.

Bach: Jener Unfall bei der Fecht-WM 1982 in Rom, ich weilte in der Halle, als der russische Weltmeister Wladimir Smirnow zu Tode kam, weil eine Klinge durch die Maske in den Kopf gedrungen war.

Worin sehen Sie die größten Gefahren für den Welt-Sport?

Bach: Im Doping, keine Frage, und zwar nicht allein in seiner heutigen Funktion - künftig könnte das Gen-Doping zu einem Sturm werden, gegen das aktuelle Praktiken nur ein laues Lüftlein sind. Es gibt genügend Anhaltspunkte in der Genmedizin, menschliche Substanz gezielt auf eine Sportart hin verändern zu können, zum Beispiel die Muskeln, das Lungenvolumen und die Blutzusammensetzung. Es gleicht einem Horrorkabinett.

Die Sicherheit bei Olympia ist nicht das eigentlich größte Problem?

Bach: In Athen wird dafür alles Menschen-mögliche getan werden; mit 650 Millionen US-Dollar hat es für die Sicherheit bei egal welcher Veranstaltung auf der Welt noch nie ein höheres Budget gegeben. Es gibt trotzdem ein gewisses Rest-Risiko, das Sie niemals ausschließen können - doch würden wir davor den Kopf einziehen, hätte der Terrorismus den größten Erfolg errungen.

Sie reisen demzufolge ohne jede Furcht zu den Sommerspielen?

Bach: Im Bewusstsein der Tatsachen fahre ich ohne Bedenken hin. Für die Olympischen Spiele ist es besonders vorteilhaft, dass alle Nationen der Welt anwesend sein werden. Wer Olympia angreift, greift sich damit automatisch selber an.

Was hält die olympische Idee denn nach wie vor so exemplarisch, so einzigartig am Laufen und am Leben?

Bach: Die Universalität ist für mich der alles entscheidende Faktor. Die Olympischen Sommerspiele sind das einzig wirkliche, den ganzen Globus umspannende Weltereignis.

Neben der Fußball-WM.

Bach: Fußball-Weltmeisterschaften erreichen diese umfassende Größe nicht, weil maximal 32 Nationen am Endturnier teilnehmen. Natürlich ist unsere Universalität Verpflichtung und Chance zugleich: Im Moment kann es nur das IOC leisten, im Irak oder Afghanistan wieder sportliche Strukturen aufzubauen.

Für Olympia ist es zwar positiv, aber schade bleibt, dass viele Sportarten nur noch bei den Sommerspielen öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, sonst aber ein Rand-Dasein fristen.

Bach: Öffentliche Aufmerksamkeit ist doch für keinen echten Athleten die Motivation, um Spitzensport zu betreiben. Und wenn ich mir die Sportler in den wirklich großen Sportarten ansehe, dann tun die mir inzwischen fast Leid. Die sind nie mehr unbeobachtet. Wir konnten zu meiner Zeit auch noch ein Bier trinken, ohne dass dann gleich von einer Orgie in der Zeitung gestanden hätte. Diese Zeiten früher waren mir insofern sympathischer.

Kehren wir bei dieser Gelegenheit doch zu Ihrem erinnerungswertesten Sport-Live-Erlebnis zurück . . .

Bach: . . . stellen wir's bitte noch ein Weilchen zurück . . .

Sie sind einer der einflussreichsten Sport-Funktionäre, die Deutschland je hatte. Wie bringen Sie den Zeitaufwand mit Ihrer Kanzlei in Einklang?

bach: Der Zeitaufwand ist derart enorm, dass es geschäftsschädigend wäre, wenn ich ihn bemessen würde. Inhaltlich am wichtigsten sind die Kommissionen, die ich betreue. So leite ich die Juristische Kommission des IOC, bin Verhandlungsführer für die olympischen Fernsehrechte in Europa und nehme unterschiedliche Marketingaufgaben wahr.

Ist es eigentlich ein Ehrenamt?

Bach: Ein absolutes Ehrenamt. Ich werde immer wieder gefragt, wie ich all das bewältige, und kann nur sagen, ich arbeite gerne und arbeite gerne viel, ich arbeite generell gerne viel. Dafür habe ich ein glänzend funktionierendes Büro, so dass ich mich auf Aufsichtsrats- und Beirats-Tätigkeit beschränken kann.

Eine Dauer-Frage, die Sie nicht mögen, wir aber stellen müssen, sei gestattet: Was wird kommen, wenn Ihre IOC-Vizepräsidentschaft endet?

Bach: Sie endet in diesem Jahr mit dem Verlöschen der olympischen Flamme. Und was danach kommen wird, das weiß ich nicht.

Sie kennen doch die Gerüchte, dass 'der Bach' garantiert eines Tages noch IOC-Präsident sein werde . . .

Bach: Es gibt keine entsprechende Planung von mir. Ich weiß wirklich nicht, was kommen wird.

Für die Politik wären Sie doch sicherlich ein geeigneter Mann.

Bach: Es hat mehrfache Gespräche in dieser Richtung gegeben. Meine Einstellung ist, um Politik machen zu können, muss man persönlich vollkommen unabhängig sein. Weil ich nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, habe ich diesen Status nicht erreicht. Sinnvoll kann man Politik nur betreiben, wenn man nicht vom nächsten Wahltag abhängig ist.

Dennoch: Was raten Sie dem deutschen Staat mit seinen Problemen?

Bach: Viel mehr Optimismus. Viel mehr über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, als sich in den eigenen oder nur so empfundenen Problemen genüsslich zu aalen. Und endlich mehr über die Lösungen nachzudenken als fortwährend über Problembeschreibungen.

Wem möchten Sie Ihre Meinung sagen oder nicht privat begegnen?

Bach: Was ich verabscheue, sind Menschen, die Macht über andere Menschen um ihrer selbst willen nutzen und ausleben.

Ist Ihnen derweil Ihr schönstes Sport-Live-Erlebnis eingefallen?

Bach: Sie lassen nicht locker. Aber ich ahne, dass Sie mich gleich fragen wollen, wem ich umgekehrt gerne privat begegne. Und da gibt es einen Mann, den ich durchaus bewundere, mit dem ich meine besten Erlebnisse verbinde, ein guter Freund seit 1981, Kip Keno, der erste Olympiasieger Kenias 1968 und 1972, natürlich im Langlauf, menschlich für mich eine der größten Persönlichkeiten dieser Welt, da schrecke ich vor keinem Superlativ zurück. Kip ist ein Mann, der trotz seiner Erfolge mit seiner Frau bescheiden auf einer Farm lebt und, obwohl er lange nicht gewusst hat, wie er seine Familie ernähren soll, Hunderte von Waisenkindern aufgenommen hat. 1972 hab ich ihn in München live erlebt.

Zu derartigen Superlativen lassen Sie sich selten hinreißen.

Bach: Mir fallen drei Personen ein. Neben Kip sind das Nelson Mandela sowie der Papst.

Der Papst? Sie outen sich als Christ?

bach: Ich muss mich nicht outen, ich bin Christ. Ja, ich bewundere auch Johannes Paul II., wie er seine Ansichten gegen jedweden Zeitgeist verteidigt und wie er spürt, dass er vielleicht der einsamste Mensch der Welt geworden ist.

Ein Bild auf Ihrem Schreibtisch zeigt Sie mit dem Papst. Welche Orte der Erde außer Rom behagen Ihnen?

Bach: Ich liebe die Vielfalt der Welt und fühle mich überall dort wohl, wo ich Freunde treffe. Und wenn ich mal Probleme habe, genügen mir überall auf der Welt ein paar Schritte in frischer Luft, um wieder klarer zu denken. Trotz der vielen Reisen bin ich meinen Wurzeln treu geblieben, aber nicht in einem Ausmaß, der es mir erschweren würde, all die Reisen antreten zu wollen. Denn Menschen zu treffen ist und bleibt wiederum meine Antriebsfeder.

Fällt Ihnen mit zunehmendem Alter das Reisen nicht schwerer?

Bach: Nein. Auch der Jetlag, kein Problem. Mein Vorteil ist, dass ich immer und überall schlafen kann - im Flugzeug, als Beifahrer im Auto, egal wie, egal wo. Wenn ich Zeit habe zum Schlafen, kann ich sofort schlafen. Ein Riesenvorteil.

Wann haben Sie zum letzten Mal in einem Kino geschlafen?

Bach: Mein letzter Kinobesuch muss zu Studenten-Zeiten gewesen sein, ich glaube 'Chariots of Fire'.

Mit der Klassemusik von Vangelis.

Bach: Das wüsste ich nicht mehr. Damals war ich zweimal die Woche im Kino. Nun bin ich ein TV-Gucker geworden, Informationssendungen verschlinge ich geradezu.

Zuletzt sehen Sie sich ja immer häufiger selbst im Fernsehen . . .

Bach: Ich sehe mich nicht gerne selber im Fernsehen an. Und ab und an kommt es vor, dass meine Frau berechtigte Kritik hat und sagt, da, schau mal, da hast du wieder viel zu viele 'Ähs' gemacht.

Äh, können Sie E-Mails schreiben, mit Computern umgehen?

Bach: Ein fürchterliches Thema. Von E-Mails habe ich keine Ahnung. Ich bin froh, ernsthaft, dass ich mit modernen Telefonen telefonieren kann. Ich lese lieber. Zum Jahresende hatte ich mir die Gedanken Pater Anselm Grüns vorgenommen. Aber mein Lieblings-Buch ist 'Garp' von John Irving - 'Garp und wie er die Welt sah'.

John Irving? Das überrascht. Und was hören Sie sich am liebsten an, wo wir schon bei solchen Themen sind?

Bach: Klassik. Drei Stunden Bach wären mir aber trotz des Namens zu viel. Ich bevorzuge die Abwechslung - beim Moderneren bin ich ein Kind der Beatles-Generation.

Wissen Sie, wie ein Hamburger bei McDonald's schmeckt?

Bach: In Sydney hab ich mal einen probiert. Seitdem habe ich keinen kulinarisch vermisst. Ich rühre mit Begeisterung im Wok, Gemüse noch härter als al dente. Im Essen bin ich jedoch besser als im Kochen.

Kritiker werfen Ihnen trotzdem eine gewisse Nüchternheit vor.

Bach: Die sollen zu mir kommen und mir das mal persönlich sagen. Ich bemühe mich, ich selbst zu sein, bin keiner, der versucht zu spalten. Mein Bestreben gilt der Integration; ich akzeptiere, dass es für jede Sache mehr als eine Sichtweise gibt.

Auch dass Sie den Bundeskanzler sehr schätzen, ahnt nicht jeder.

Bach: Wer Gerhard Schröder einmal privat erlebt hat, der weiß, dass er ein äußerst bodenständiger, charmanter Mann sein kann, der mir durchaus sympathisch ist, obwohl wir uns im wirtschaftspolitischen Bereich stark unterscheiden.

Auch mit Franz Beckenbauer arbeiten Sie gerne zusammen.

Bach: Als er mich gefragt hat, ob ich dabei bin, mit Schröder und Claudia Schiffer für die WM in Deutschland zu werben, da musste ich keine 30 Sekunden überlegen. Ich kenne ihn seit meiner Zeit in den Achtziger-Jahren als Promotions-Direktor bei 'adidas' und mag ihn einfach, weil er ein netter, verlässlicher Mensch ist. Es gibt keinen Zweiten, der eigenen Problemen mit größerer Leichtigkeit begegnen würde.

Blicken Sie mit Stolz auf das zu Ihrem 50. Geburtstag Erreichte?

bach: Der 50. Geburtstag ist ein zu früher, um zurückzublicken.

Welches größte Vergnügen gönnen Sie sich nicht nur zum Geburtstag?

Bach: Für Vergnügungs-Sucht bin ich nicht bekannt. Aber ein schönes Glas Rotwein mit Freunden darf von Zeit zu Zeit gerne sein. Zum Glück mangelt es weder an Freunden noch an schönem Rotwein.

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