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WÜRZBURG
Großes Theater um Gustl Mollath
Porträtierter war bei der Premiere unter den Gästen und lobte die Eigenproduktion und das Ensemble – Beklemmendes Schauspiel entstand nach Originaldokumenten des Falles – In der Wirklichkeit beginnt am 7. Juli in Regensburg der Wiederaufnahmeprozess.
Der feste Griff des Staates als Schauspiel: Ein martialisch bewaffneter Polizist nimmt Gustl Mollath (gespielt von Georg Zeies) fest.
Foto: Thomas Obermeier | Der feste Griff des Staates als Schauspiel: Ein martialisch bewaffneter Polizist nimmt Gustl Mollath (gespielt von Georg Zeies) fest.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:45 Uhr

Das Theater will ein Stück verkehrter Welt zeigen. Also sitzen 140 Besucher bei der Premiere auf der Bühne und blicken in Richtung Zuschauerraum. Zwischen den Stuhlreihen irrlichtert Claudia Kraus als Gustl Mollaths Ehefrau umher: „Ich mach' dich fertig!“ Am Bühnenrand schildert Georg Zeies als Mollath – nüchtern, ohne Attitüde und gerade deshalb beklemmend eindrucksvoll – wie er in die Mühlen von Justiz und Irrenhaus gelangt. Und über ihnen schwebt – der Wirklichkeit ein Stück entrückt – Petra Hartung als Justizministerin Beate Merk.

Ihre zunehmend absurd wirkenden Presseerklärungen zum Fall Mollath entlocken den Zuschauern wenigstens ab und zu ein befreites Lachen – in einem Stück, das sonst kaum zum Lächeln Anlass gibt. Das Würzburger Mainfranken Theater wagt ein Experiment, das von Akteuren und Zuschauern Geduld und Hingabe verlangt. Acht Schauspieler arbeiten sich dokumentarisch an einer zähen Materie ab: Knochentrockene Urteilsbegründungen, die einen Paragrafen nach dem andern gnadenlos aneinanderreihen, Gutachten, Briefe, ärztliche Atteste. Eine zähe Rohmasse, aus der Wiebke Melle aber ein beklemmendes Stück Realität geformt hat: „Mollath – Neues von der bayerischen Justiz“.

Regisseur Stephan Suschke zeigt zuvor den Klassiker „Der Kaufmann von Venedig“ und stellt ihm den fränkischen Justizskandal gegenüber. Er „wagt damit nicht nur den Spagat zwischen dem 16. Jahrhundert und der Gegenwart, sondern auch zwischen der Kunstsprache William Shakespeares und der Fachterminologie von Justiz und Psychiatrie“, heißt es am Theater.

Auf der Bühne wird Mollath immer wütender, immer hilfloser. Irgendwann verstummt er, gefangen in einer grauenhaft-stillen Sprachlosigkeit, die dem Zuschauer den Schauder über den Rücken treibt. Ein gepanzerter Polizist wirft ihn zu Boden, ein Psychiater versichert: „Herr Mollath, gegen das System kommen Sie nicht an!“

An der Stelle schüttelt in Reihe drei mitten unter den anderen Zuschauern ein Mann im feinen Zwirn seinen grauen Kopf – ob verneinend oder nur aus Fassungslosigkeit, ist nicht ganz klar. Der echte Mollath hat sich unauffällig ins Publikum gemischt und blickt von dort aus als Zuschauer auf die Bühne und sein Leben. Angespannt wirkt er, fasziniert auch ein bisschen darüber, dass er es nun auf die Bühne geschafft hat.

Der Abend wird lang für ihn, zuvor hat er sich „Der Kaufmann von Venedig“ angeschaut – in dem sich ebenfalls ein Einzelner in den Untiefen eines Rechtssystems verliert. Beide Stücke werden in Würzburg nacheinander bis Mitte Juli gezeigt – wenn in Regensburg das Theater um den echten Wiederaufnahmeprozess begonnen hat. Er wird später in einem Interview gefragt, ob es ihn nach diesem Theaterabend nicht in den Fingern jucke, aus Shakespeares Stück auch einmal im Gerichtssaal zu zitieren – vielleicht Shylocks zunehmend zynisches Lob: „Oh, Ihr höchst gerechter Richter“. Da schmunzelt er und sagt nur: „Da gäbe es manches, was man sagen könnte.“

Mollath lobt bei der Premierenfeier kurz vor Mitternacht die Autorin, das Ensemble, sogar das Bühnenbild in seinem gemütlichen Nürnberger Dialekt, der so gar nicht zu seinem harten Los zu passen scheint. Geduldig schüttelt er Hände, gibt Interviews, genießt das Rampenlicht. Es gefällt ihm sichtlich, von Zuschauern erkannt zu werden, die ihn umringen und Mut zusprechen. Ruhiger wirkt er als vor einem halben Jahr. In seinem neuen Anzug sieht er fast aus wie der Unternehmer, der er war, ehe er unter die Räder der Justiz kam. „Das kann jedem Bürger passieren, das ist ganz normal“, warnt in dem Würzburger Stück ein Gutachter auf der Bühne – und Mollath nickt zustimmend.

Nach der Landtagswahl war es ruhig geworden um ihn. Fast schien es, als wachse Gras über die für die bayerische Justiz so peinliche Affäre. Doch nun bringt das Theaterstück ihn zurück ins Rampenlicht. Er weiß: Seine Prominenz ist seine Waffe, nur so wird er ernst genommen. „Ich rechne mit allem und sehe noch nicht, wie sich die bayerische Justiz um 180 Grad zur wirklichen Wahrheitsfindung wendet, ich hoffe darauf und wünsche es mir“, sagt er.

Denn seine Wirklichkeit muss Mollath noch immer wie absurdes Theater vorkommen: Einerseits hat die Justiz nach zähem Ringen zugegeben, dass er zu Unrecht in der Psychiatrie festgehalten wurde. Sogar nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft rechtfertigten „die vorgebrachten und zum Teil berechtigten Vorwürfe am Gang des Verfahrens und an einzelnen Prozesshandlungen der befassten Richter durchaus inhaltliche Kritik“. Aber gegen keinen der Verfahrensbeteiligten werden Ermittlungen eingeleitet. Es gebe „keine Veranlassung“, gegen Richter, Staatsanwälte, Gutachter, Ärzte, Mollaths frühere Ehefrau sowie Verantwortliche der Hypo-Vereinsbank zu ermitteln. Immerhin will der Landtag Lehren aus dem Fall Mollath ziehen. In einer Anhörung im Parlament mahnten Experten übereinstimmend Reformen beim Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter an.

Mollath ist das nicht genug. Mit seinem Anwalt Gerhard Strate hat er erneut Verfassungsbeschwerde eingelegt: Mit der Sturheit, die an Michael Kohlhaas erinnert, will er das Oberlandesgericht Bamberg zum Schwur zwingen: Die sollen bekennen, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. „Ich hoffe nach wie vor, dass sich in meiner Sache alles zum Guten wendet.“

Das Theaterstück hält den Fall im öffentlichen Bewusstsein, ehe am 7. Juli in Regensburg das Theater um den Wiederaufnahmeprozess beginnt: Dann wird es auch um die (selbst)befleckte Ehre der bayerischen Justiz gehen – und um eine weitere Absurdität im Fall Gustl Mollath: Mit Wolfhard Meindl vertritt ausgerechnet der Oberstaatsanwalt die Anklage, der mit seinem mutigen Wiederaufnahme-Antrag einen neuen Prozess erst ermöglicht hatte. Mollath wird dann nicht – wie in Würzburg – unter den Zuschauern sitzen, sondern auf der Anklagebank, mitten auf der Bühne. Und jene Anklage vom August 2006, die jetzt im Würzburger Theater im Mittelpunkt stand, wird wie 2006 erneut verlesen, als sei nichts passiert: Mollath wird sich anhören müssen, seine Ex-Frau mit Fäusten geschlagen, gewürgt und in den Arm gebissen zu haben. Er soll Reifen seiner Ex-Ehefrau, eines Gerichtsvollziehers und eines Gutachters zerstochen haben. Mollath wurde damals angeklagt und freigesprochen, weil er angeblich psychisch krank sei. Das aber war wohl falsch.

Einen Schuldspruch muss er nicht fürchten, in der Strafprozessordnung gilt ein Verschlechterungsverbot. Allerdings soll der renommierte Forensiker Norbert Nedopil als Gutachter Auskunft geben, ob Mollath gefährlich war und vielleicht noch ist. Am Ende dieses Theaters könnte auch Mollaths neuerliche Einweisung stehen – theoretisch. Das wird ein Theater, wie es nur die Wirklichkeit der Justiz hervorbringen kann.

Applaus für ein Stück Zeitgeschichte: Wiebke Melle, Autorin des Theaterstückes über Gustl Mollath, gab und erhielt bei der Premierenfeier viel Beifall.
| Applaus für ein Stück Zeitgeschichte: Wiebke Melle, Autorin des Theaterstückes über Gustl Mollath, gab und erhielt bei der Premierenfeier viel Beifall.
 
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