Arg geknickt blicken die Sonnenblumen drein auf dem Büchig, der Anhöhe vor den Toren Ostheims in der Rhön. Zwei, drei Blütenstände wurden so entkernt, dass aus den gelben Blätterkränzen Gesichter zu Boden blicken, teilnahmslos und griesgrämig.
Man könnte meinen, die Blumen seien eingeschnappt, weil sie ihre Köpfe nicht bewegen können. Denn an ihnen vorbei rauscht immer wieder ein schwarzes Etwas, wirbelt Staub ins Sonnenblumenfeld, lässt Kieselsteine durch die Luft fliegen, schickt quietschende Bremsgeräusche durch die stille Rhöner Luft und lässt auch die blauen Blütenköpfe der Wegwarte am Straßenrand erzittern.
Etwas weiter unten, wo sich hinter den Stoppelfeldern der Blick auf das mittelalterliche Ostheim und die Rhöner Berge öffnet, verliert das schwarze Etwas an Tempo. Alte Bundeswehrstiefel, auf deren Sohlen zentimeterdicke Profile von Autoreifen geklebt sind, bremsen die Geschwindigkeit ab. Es staubt, es rauscht, es schleift, und aus dem schwarzen, verwischten Etwas wird ein Mensch in schwarzer Lederkluft.
„Es ist der Adrenalin-Kick, es ist das tolle Gefühl beim Fahren“, lacht Max Graumann. 20 Jahre ist der Ostheimer alt. Er hat starke Arme, wie sie ein Zimmermann braucht. Aber seine Hände greifen am liebsten nach einem Kinderspielzeug. Genauer: nach einem Bobby Car.
Das ist nicht unbedingt eine Vernunftentscheidung. Vielmehr scheint etwas Pathologisches im Spiel zu sein, etwas Ansteckendes. Denn auch seine Schwester Pia hat das Bobby-Car-Virus längst gepackt. „Am Anfang hab ich über meinen Bruder schon etwas den Kopf geschüttelt. Dann bin ich aber einmal selbst gefahren und seitdem bin ich dabei“, sagt die 18-Jährige. Ein Gefühl der Angst bei den ersten Abfahrten will sie nicht verleugnen. Das ist aber längst dem der Sicherheit gewichen.
Für Zartbesaitete ist so ein Ritt auf der roten Plastikschüssel aus dem Burghaslacher Werk gewiss nichts. Denn mit einem drolligen Ausritt auf Kinderbeinen hat die Schussfahrt der Bobby-Car-Piloten vom Schlage der Graumanns nichts zu tun. „In diesem Jahr knacken wir die 100“, setzt Max Graumann die Messlatte hoch. Das soll die Spitzengeschwindigkeit sein, wenn am 14. und 15. September in Ostheim zum zweiten Mal die bayerische Bobby-Car-Meisterschaft stattfinden wird.
Dann wird die Straße zum Büchig zur Rennpiste für die Plastik-Boliden. Rund 1,1 Kilometer ist die Strecke über 70 Höhenmeter vom Startpunkt auf der Kammhöhe bis ins Tal lang. Die Rennfahrer werden sogar die neue Umgehungsstraße queren, die an den beiden Wettkampftagen gesperrt sein wird, um es dann auf der Straße „Unter der Bündt“ sanft auslaufen zu lassen.
Mit einem Standardmodell aus dem Spielzeugladen kommt man bei solchen Pistenverhältnissen freilich nicht weiter. Die Ostheimer Bobby Cars sind technisch hoch gezüchtete Rennmaschinen. Zumindest wird fleißig getunt im großen Schuppen der Familie Graumann und in den Werkstätten der Bobby-Car-Fans.
Der Mister Q der Bobby-Car-Freunde ist Mathias Kümmeth. Er ist der Konstrukteur der Bobby Cars, die mit Spezialbereifung, Aluminiumplatten und Lenksystemen hohe Geschwindigkeiten und gute Wettkampfplatzierungen erreichen sollen.
„Angefangen hat alles mit einem Ferienprogrammangebot der Feuerwehr“, erzählt Kümmeth. Mit 15 Jahren saßen sie damals auf den Bobby Cars, flitzten den Büchig hinunter und waren fortan für ein normales Jugendlichen-Hobby verloren. 2010 taten sich dann sieben Freunde des knallroten Gefährts zum „Bobby Car Club Ostheim e.V.“ zusammen, der seitdem bei nationalen und internationalen Wettkämpfen Furore macht.
Dafür ist einiges an Arbeit nötig. Die luftgefüllten Reifen, die eigentlich für Sackkarren verwendet werden, stammen aus chinesischer Produktion. Das Profil wird aber abgetragen, um die Pneus schneller werden zu lassen. Aufgezogen werden sie auf Aluminiumfelgen, die extra für den Ostheimer Club angefertigt werden.
Auffälligstes Merkmal ist ein massiver Unterboden aus einem Aluminiumblock, der den Bobby Cars Stabilität verleiht. Kollege Max Wienröder fährt noch ein schwarzes Modell, das mit einer eisernen Unterbodenkonstruktion versehen ist. „Das war mein erster Entwurf, den hatte ich noch vor meiner Lehre zum Mechatroniker gemacht“, erzählt Mathias Kümmeth. Das technische Interesse hat er vom Vater. Der ist Werkzeugmacher und stand dem Sohnemann mit Rat und Tat zur Seite.
„Oh, ich habe jede Menge Konstruktionen in der Schublade“, sagt der Jung-Ingenieur, der auch mit dem CAD-Programm am Computer die Designs der Bobby Cars optimiert. Aber bis einmal ein Modell mit Einzelradaufhängung das Licht der Welt erblickt, dürfte es noch ein wenig dauern.
Eine stabile Konstruktion ist auch das Lenkgestänge, dem man die Reaktionsschnelligkeit ansieht. „Ja, das ist eine sehr direkte Lenkung“, sagt Sebastian Heuring aus dem Nachbarort Stockheim. Die Lenkräder selbst sind entweder aus Eisen gebogene Eigenkonstruktionen oder aber alte Wasser-Schieber. Die passen von ihrer Proportion offenbar ideal zu den Flitzern.
Fahrbar ist ein Bobby-Car-Bolide damit für junge Erwachsene aber immer noch nicht. Eine breite Sitzfläche aus einem an den Seiten leicht gebogenen Stück Aluminium gehört zu den wesentlichen Umbauten der roten Rennschüssel. Varianten gibt es hier nur hinsichtlich der Komfortansprüche. Während Sören Klee zum Beispiel ein knautschiges Kunstlederpolster beansprucht, begnügen sich andere mit dem blanken Leichtmetall. Und Mathias Kümmeth bevorzugt den Mittelweg mit einer dünnen Hartschaum-Auflage.
Mittlerweile haben Kümmeth und Kollegen ein Fahrzeug für den Dachverband entworfen. Diese Special Edition soll künftig bei Wettkämpfen in ganz Deutschland zum Einsatz kommen. Eingebaut wurden neben verstärkter Hinterachse und verstärkter Lenkung spezielle Scooter-Räder mit Kugellagern. Der Dachverband kümmert sich auch darum, dass ein international einheitliches Reglement eingehalten wird, in dem zum Beispiel Schutzkleidung, die Bereitstellung von Renninspektoren sowie die zulässigen Umbauten festgeschrieben sind, um gemeinsame Sicherheitsstandards zu gewährleisten.
Vereinsgründer Kümmeth gehört derzeit nicht zu den Aktiven. Eine Beinverletzung muss noch auskuriert werden. Ohne Verletzungen geht es in dem rasanten Sport nicht ab. Max Graumann hatte sich bei der ersten bayerischen Meisterschaft vor einem Jahr in der Rhön kurz zuvor eine Beinverletzung zugezogen. Auf der Leder-Juppe von Max Wienröder zeugen lange, graue Striemen und abgeriebene Flächen vom Kampf zwischen Mensch und Bodenbelag.
Kein Wunder, dass die Bobby-Car-Freunde aus Ostheim für die Ausrichtung der bayerischen Meisterschaft am nächsten Wochenende insgesamt 2000 Strohballen gepresst haben, um im Falle des Falles für eine möglichst weiche Landungen zu sorgen. Gebremst wird normalerweise aber mit dem dicken Profil von aufgemotzten Bundeswehrstiefeln. „Wir kleben alte, praktisch unverwüstliche Autoreifen auf die Sohlen“, erzählt Sebastian Heuring. „Am besten funktioniert das mit alten Trabi-Reifen. Die haben kein metallisches Geflecht, somit gibt es keinen Funkenschlag, der den Reifen schaden könnte“, verrät Heuring.
Von dem ein oder anderen Sturz, von der ein oder anderen Blessur haben sich die Bobby-Car-Fans gewiss nicht die Freude an ihrem Hobby nehmen lassen, das sie immerhin bis über die Grenzen Deutschlands bringt. „Die Gemeinschaft untereinander ist das Schönste am Club-Leben“, sagt denn auch Mathias Kümmeth und blickt auf den Mannschaftswagen, der Material und Fahrer zur Deutschen Meisterschaft nach Michelau bringt oder zu Wettkämpfen nach Österreich oder Luxemburg, von wo die Ostheimer Jahr um Jahr Trophäen mit nach Hause nehmen. Ende August wurde Max Graumann in Michelbach Deutscher Meister der Amateurklasse, Kumpel Sebastian Heuring landete auf dem Vizemeistertreppchen in dieser Klasse.
„Ein Platz auf dem Treppchen sollte auch am nächsten Wochenende bei uns in Ostheim drin sein“, rechnet sich Max Graumann aus, schließlich habe man Heimvorteil. Solange starten sie fleißig vom Hausberg Büchig hoch über Ostheim zu ihren Trainingsfahrten hinunter ins Streutal mit rauchenden Sohlen in engen Kurven und fliegenden Kieselsteinen in der Zieleinfahrt.
Und wer weiß, ob die mürrischen Ostheimer Sonnenblumen am großen Wettkampfwochenende der Bobby-Car-Verrückten im Vorland der Hohen Rhön nicht doch noch das Strahlen über ihre triumphierenden Lokalmatadoren lernen.
Bobby Car Meisterschaften
Zum zweiten Mal veranstaltet der Bobby Car Club Ostheim am 14. und 15. September auf dem Hausberg Büchig die Bayerische Bobby Car Meisterschaft. Unterstützt werden die Rhöner dabei vom Dachverband, dem Bobby Car Sportverband. Hauptsponsor ist die Firma BIG aus Fürth, Produzent der weltweit beliebten Rutschfahrzeuge für Kinder. Auf der rund 1,1 Kilometer langen Piste können Hobbyfahrer, Amateure und Profis, Gruppen oder Vereine um den Sieg kämpfen. Die Profis werden am Sonntag, 15. September, um 14 Uhr um den bayerischen Titel antreten. Am Sonntagmorgen ab 9 Uhr finden die Rennen in der Kinderklasse zwischen drei und zwölf Jahren statt. Um 12 Uhr steht dann noch ein witziges Mülltonnenrennen auf dem Programm. Der Samstag gehört der Jugend, den Amateuren und den Mannschaften. Die Anmeldung für das Rennen kann bis eine Stunde vor Start im Wettkampfbüro vor Ort erfolgen, eine Registrierung über das Internet mit entsprechenden Haftungsausschuss-Erklärungen ist ebenfalls möglich:
www.bobbycarclub-ostheim.de