280 Figuren beleben zwischen 14 Kilometer Hecken den Veitshöchheimer Hofgarten. Wer durch die 270 mal 475 Meter große Anlage flaniert, findet sich in einer Welt voller Märchen, voller Zauber und Geheimnisse. Garten und Schloss Veitshöchheim – überwiegend im Stil des Rokoko gestaltet – erlauben einen Blick auf die Weltsicht der Menschen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. „Man hatte eine Vorliebe für das Geheimnisvolle und Exotische“, erklärt die Kunsthistorikerin Ulrike Bausewein. Die gebürtige Veitshöchheimerin führt immer wieder durch Garten und Schloss Veitshöchheim. Im Rokoko, der Spätzeit des Barock, tanzten Faune und Satyrn fröhlich durch die Formenwelt der Bildhauer und Maler.
Der Mensch entdeckte auch seinen Spieltrieb. Rokoko-Künstler trieben die Formensprache des Barock auf die Spitze. Ornamente wurden immer komplizierter, immer reicher, immer feiner. Manchmal, so scheint es heute, war es weniger wichtig, Inhalte zu transportieren. Vielmehr sollten die Sinne des Besuchers erregt werden. Genutzt wurde das Schlösschen von Würzburgs Fürstbischöfen. „Rokoko-Typisches zeigt sich vor allem in der Innendekoration“, erklärt die Kunsthistorikerin und weist im ersten Stock des Veitshöchheimer Schlösschens an die reich verzierten Zimmerdecken. Dort ließ der Stuckateur Antonio Bossi – seinerzeit einer der Besten seines Faches – aus C- und S-förmigen Grundformen Blattwerk ranken, Vogelklauen entstehen und Menschenköpfe wachsen. Nicht, um noch wie in früheren Zeiten böse Geister abzuwehren, sondern aus Spaß an der dekorativen Form.
„Man muss sich Zeit nehmen“, empfiehlt Ulrike Bausewein. Menschen des hektischen 21. Jahrhunderts neigen dazu, die reiche Ornamentik mit einem Blick zu streifen, sie als „überladen“ abzutun und das nächste Objekt ins Auge zu fassen. Dabei gebe es so viele Details zu entdecken, schwärmt die Kunsthistorikerin. Besonders angetan hat es ihr eine Szene, die Bossi an der Decke des ersten „Toskana-Raums“ zeigte: Aus Blattwerk- und Muschel-Ornamentik – der Begriff Rokoko leitet sich vom französischen Rocaille (Muschel) ab – wachsen organisch eine barbusige Nixe und ein kleiner Knabe („Putto“), der munter einen Wasserstrahl in die Luft spuckt.
Das Veitshöchheimer Schloss ist vergleichsweise klein, die Zimmer haben wohnliche Ausmaße. Das Bauwerk diente zunächst als Jagdschloss. Die Fürstbischöfe kamen mit ihren Gästen aus Würzburg, schossen im Park ausgesetzte Tiere und reisten wieder zurück in die Residenzstadt. Der erste Stock des Bauwerks diente zunächst lediglich zur Aufbewahrung von Jagd-Utensilien. Balthasar Neumann, Architekt der Würzburger Residenz, gestaltete zwischen 1749 und 1753 das 1680 bis 1682 erbaute Schlösschen um. Eine breite Treppe ersetzte die kleine Wendeltreppe, Anbauten und der Ausbau des ersten Stocks machten das Gebäude wohnlich. Bausewein: „Dass der Fürstbischof jetzt auch längere Zeit hier wohnte und nicht in der Residenz-Stadt Würzburg, zeigt, wie sich das Leben geändert hatte.“ Was der Fürstbischof und seine Gäste im Garten zwischen all den frivolen Figürchen trieben, ist nicht völlig geklärt. Im Schlösschen jedenfalls wurde auch gespielt – unter anderem auf dem großen Billardtisch. Der Zerstreuung des Herrschers und seiner Gäste diente auch die Innenausstattung. Eine Marmorskulptur, die auf einer Konsole steht, zeigt einen pummeligen Knaben, der allerliebst mit einem Hund spielt. Die Szene ist nicht symbolisch, nicht tiefsinnig. Sie ist letztlich bedeutungslos – aber sie ist nett anzusehen.
Ein paar Schritte weiter gerät der Schlösschen-Besucher in eine neue Epoche. Er gelangt aus der Welt des Rokoko in die des Klassizismus. Zwischen 1806 und 1814 nutzte Ferdinand von Toskana, der in Würzburg residierte, Veitshöchheim als Sommersitz. Der Großherzog ließ die Räume nördlich des Treppenhauses im Stil der Zeit einrichten. Möbel und Tapeten sind noch weitgehend original erhalten. Wer aus den schnörkeligen Rokoko-Sälen kommt, findet hier Möbel mit geraden, klaren Linien. Die Toskana-Säle wirken nahezu nüchtern und modern.
Der Wille zur Vereinfachung in Kunst und Alltagskultur zeigt, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert hatten. Der Klassizismus ist ein bewusstes Gegenmodell zur „Verschwendungssucht“ des Barock und Rokoko. Ein Zimmer war nicht mehr zum Repräsentieren da, wie noch im Barock. Es sollte wohnlich und gemütlich sein.
Auch im Hofgarten erlebt der Spaziergänger den Stil-Wandel. Mit wenigen Schritten kommt er aus der Welt der frivolen Barbusigen in die Welt ernsthafter Antiken-Verehrung: Entlang der Ost-Mauer des Gartens hat der Klassizismus das Rokoko abgelöst. „Hier wirkt alles viel strenger“, fasst Ulrike Bausewein den Wechsel des Geschmacks zusammen, der ab etwa 1770 um sich griff. In Veitshöchheim kann sich der Besucher noch heute auf die kleine Zeitreise zwischen Rokoko und Klassizismus machen. Im Schloss nutzten voriges Jahr 18 000 Besucher diese einmalige Möglichkeit. Die Spaziergänger im Hofgarten sind unzählbar.