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WÜRZBURG
Fuß fassen trotz Handicap
Von unserer Mitarbeiterin Pat Christ
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:44 Uhr

Seit vielen Jahren wird versucht gegenzusteuern. Mit magerem Resultat: Menschen mit Behinderung haben noch immer deutlich geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Frauen und Männer ohne Handicap. Während die Arbeitslosenquote in Unterfranken derzeit bei 3,6 Prozent liegt, beträgt sie für schwerbehinderte Menschen laut Arbeitsagentur Würzburg 8,2 Prozent. Rund 2140 Männer und Frauen mit einem Handicap versuchen aktuell, auf dem unterfränkischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Gäste der Heidingsfelder „Büttnerstuben“ haben es in den meisten Fällen indirekt mit einem behinderten Arbeitnehmer zu tun: Ihr Beilagensalat wurde wahrscheinlich von Benjamin Hanglberger oder Franziska Becker zubereitet. „Benjamin hatte sich auf eine Stellenausschreibung ganz normal bei uns beworben“, schildert Gastwirt Michael Schloßareck, Inhaber der Büttnerstuben. Das war vor mehr als eineinhalb Jahren.

Zunächst war Schloßareck gar nicht klar gewesen, dass Hanglberger lernschwach ist. Als er es erfuhr, zögerte er dennoch nicht, den jungen Mann probeweise bei sich arbeiten zu lassen. Nach vier Wochen erhielt Hanglberger einen Job als Küchenhilfe.

Vor allem für private Arbeitgeber erscheint die Einstellung Behinderter oft inakzeptabel. Deutschlandweit geben mehr als 37 000 beschäftigungspflichtige Firmen Menschen mit Handicap keine Arbeit. Wobei „beschäftigungspflichtig“ laut Arbeitsagentur-Pressesprecher Wolfgang Albert bedeutet: „20 Beschäftigte und mehr.“ Unterfrankenweit gibt es knapp 13 300 Pflichtarbeitsplätze. Davon sind nicht viel mehr als 11 500 besetzt. Die Ist-Quote von 4,1 Prozent liegt damit unter der gesetzlichen Soll-Quote von fünf Prozent. Von öffentlichen Arbeitgebern wird das Soll mit 5,7 Prozent allerdings übererfüllt. Die unterfränkische Privatwirtschaft kommt hingegen auf nur 3,9 Prozent.

Es sei schwer, sich als behinderter Arbeitssuchender nicht kleinkriegen zu lassen, sagt Benjamin Hanglberger. Ein halbes Jahr war der gelernte Schuhmacher vor seiner Anstellung bei Schloßareck arbeitslos: „Das war ganz schön belastend.“ Mut machte ihm in dieser Zeit das Team des Würzburger Integrationsfachdienstes (ifd). Der ifd betreut und begleitet Arbeitnehmer mit Handicap und hilft Arbeitgebern in der Region, schwerbehinderte Mitarbeiter zu integrieren. Über den ifd kam nicht nur Benjamin Hanglberger, sondern, drei Monate später, auch Franziska Becker in die Büttnerstuben. Die 24-Jährige bewährte sich ebenso rasch in der Spülküche und bei der Salattheke.

In Kürze sollen Hanglberger und Franziska Becker auch beim Catering eingesetzt werden. Wie viel Spaß es machen kann, Speisen für Gäste außerhalb des Restaurants zuzubereiten, das hat Liridona Troni in den vergangenen Wochen erfahren. Die 20 Jahre alte Würzburgerin, die eine Schule für Menschen mit geistiger Behinderung besucht hat, ist seit dem 1. September feste Mitarbeiterin von Werner Hanke. Der betreibt in Waldbüttelbrunn bei Würzburg den Dienstleistungs-Service „Kochtöpfle“: „Wir versorgen zum Beispiel Kindergärten mit warmen Essen.“ Mit seiner neuen Beschäftigten Liridona Troni ist er höchst zufrieden: „Es gibt keine Probleme.“

Die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen bleibt solange eine Mär, solange sich nicht Unternehmer für Männer und Frauen mit einem Handicap öffnen. Dass sie es nur so zurückhaltend tun, ist insofern verwunderlich, als es große Vergünstigungen gibt: „Zum Beispiel Lohnkostenzuschüsse oder technische Hilfen“, sagt Christiane Heemskerk, Teamleiterin vom Zentrum Bayern Familie und Soziales.

Neuerdings wird zusätzlich ein Inklusionszuschuss für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz in Höhe von bis zu 10 000 Euro bezahlt. Dadurch sollen bayernweit bis 2015 mehr als 600 neue Jobs für ältere Schwerbehinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt entstehen.

 
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