Frankfurt/Main Im Sommer 2000 begann ein düsteres Kapitel in der Geschichte des Ersten Deutschen Fernsehens. In den Jahren zuvor hatte die ARD erhebliche Zuschauerverluste hinnehmen müssen. Nun reagierte sie mit einem „Optimierungspapier“. Das Konzept sah unter anderem vor, dass die ARD-Tochter Degeto nur noch „spannend, heiter-komisch oder emotional anrührend erzählte, alltagsnahe Geschichten“ in Auftrag geben sollte. Der Freitagabend-Termin im „Ersten“ war fortan anspruchslosen Herz-Schmerz-Schmonzetten vorbehalten.
Damit ist nun zwar nicht endgültig Schluss, weil der Übergang nicht allzu abrupt ablaufen soll, aber die Tendenz ist unübersehbar: Es tut sich was am Freitagabend. Herrschte nach dem 2011 vollzogenen Wechsel in der Geschäftsführung noch erzwungener Stillstand, weil zu viele Gelder bereits verplant waren, so belegen Produktionen wie der Freundschaftsfilm „Kleine Schiffe“, die Demenzkomödie „Nichts für Feiglinge“ oder das doppelte Mutter-Tochter-Drama „Unterwegs mit Elsa“ (Freitag, 7. März, im Ersten, 20.15 Uhr) die neue Philosophie der ARD-Tochter.
Man wolle „origineller, wahrhaftiger und auch relevanter werden, als das in der Vergangenheit oft der Fall war“, gibt Geschäftsführerin Christine Strobl als neue Leitlinie aus: „Wir suchen nach Themen und Konflikten aus der Lebenswirklichkeit der Zuschauer.“
Vor allem in der Produzentenlandschaft stößt der frische Wind, für den die frühere Fernsehfilmchefin des SWR sowie ihre Vorgängerin Bettina Reitz gesorgt haben, rundum auf Zustimmung. Begrüßt wird vor allem die thematische Öffnung der Freitagsfilme. „Eine reine Boy-Meets-Girl-Geschichte, die sich auf den Malediven zuträgt, brauchen wir heute gar nicht mehr vorzuschlagen“, sagt Bavaria-Produzentin Bea Schmidt.
Vielfältigere Stoffe
Für die Produzenten sei das eine gute Nachricht, „denn wir können vielfältigere Stoffe mit tiefgründigen Figuren anbieten“. Früher, ergänzt Claudia Krebs von der Hamburger Produktionsfirma Krebs & Krappen, „waren am Freitagabend in der Regel Liebesfilme gefragt, heute kann man auch andere Beziehungsgeschichten erzählen und Themen von gesellschaftlicher Relevanz bearbeiten“.
Kompagnon Volker Krappen, der das Drehbuch zu „Kleine Schiffe“ geschrieben hat, spricht gar von „Aufbruchstimmung“. Der Film erzählt von einer Frau (Katja Riemann), die von ihrem Mann verlassen wird und kurz drauf feststellt, dass sie schwanger ist. Eine Künstlerin (Aylin Tezel) verhilft ihr zu neuem Lebensmut.
Die Inhaltsangaben der neuen Degeto-Filme mögen mitunter nach wie vor klassisch klingen, doch der Unterschied liegt laut Bea Schmidt im Detail: „Die Auflösung der Konflikte entspricht überhaupt nicht mehr der konventionellen Form“, man könne viel stärker in die Tiefe gehen, „die Handlung resultiert viel stärker aus inneren Beweggründen. Das war bei der Degeto nicht immer gewünscht.“
Aber auch optisch sind Veränderungen zu erkennen, selbst wenn Strobl betont, sie halte nichts von stilistischen Vorgaben: „Nur um ein jüngeres Publikum zu erreichen, werden wir keinen forcierten Schnittrhythmus vorgeben. Jeder Film hat seine eigene Erzählhaltung, zu der die jeweils passenden stilistischen Mittel gefunden werden müssen.“ Trotzdem wirken viele Filme frischer, die Erzählweise scheint insgesamt jünger.
Aufnahmen von hoher Intensität
Bea Schmidt führt als Beleg ihre für eine Ausstrahlung im Mai vorgesehene Produktion „Die Fischerin“ an, eine Romanze über eine junge Frau, die in ihre Heimat an den Bodensee zurückkehrt: „Die Bilder vermitteln keine schöngefärbte Bilderbuch-Atmosphäre. Statt des Sonnenscheins hängt dichter Nebel über dem See. Aber gerade deshalb haben die Aufnahmen eine hohe Intensität.“
Außerdem sei das Spektrum der Darsteller größer geworden. Die Titelrolle der Bavaria-Produktion spielt Alwara Höfels. Sie wäre laut Schmidt als Hauptdarstellerin „vor drei Jahren völlig undenkbar gewesen, weil sie der Zielgruppe des Sendeplatzes nicht bekannt genug war.“
Die Produzenten verweisen zwar darauf, dass die ARD freitags immer wieder auch mal anspruchsvolle Filme gezeigt habe, aber mittlerweile, sagt Iris Kiefer (Filmpool), könne man „offen über Stoffe sprechen, die vor kurzem noch undenkbar gewesen wären“.
Hauptfigur eines geplanten Filmpool-Projekts ist ein siebzigjähriger Mann, der seiner Familie gesteht, homosexuell zu sein. Der nächste Film von Krebs & Krappen, „Vier kriegen ein Kind“, erzählt von einem männlichen und einem weiblichen Paar mit Kinderwunsch. „Noch vor gar nicht langer Zeit wären die Figuren von ihrer Homosexualität geheilt worden und hätten am Schluss über Kreuz zueinandergefunden“, ist Krappen überzeugt. „Aber diese Art von Realitätsferne gibt es in unserer Geschichte nicht mehr.“
Kein Wunder, dass die Produzenten die Umwandlung des Sendeplatzes weniger als Risiko, sondern als Chance sehen, auch wenn sie empfehlen, den Übergang sanft zu vollziehen: Die letzten Filme der Reihe „Liebe am Fjord“ waren nicht nach herkömmlicher Dramaturgie erzählt, was niedrigere Zuschauerzahlen brachte. Strobl weiß, dass der Weg schwierig wird: „Ich sehe diese Entwicklung als stetigen Prozess, der noch Jahre brauchen wird.“
Die Degeto
Einkaufsgesellschaft: Die Deutsche Gesellschaft für Ton und Film (Degeto) ist die Einkaufsgesellschaft der ARD. Gesellschafter sind die Landesrundfunkanstalten. Die Geschäftsführung teilen sich Christine Strobl, Tochter von Bundesfinanzminister Schäuble, und Stefan Lux.
Auftraggeber: Dank eines Etats von etwa 250 Millionen Euro für Eigen- und Co-Produktionen ist die Degeto der wichtigste deutsche Auftraggeber für Fernsehfilme. Ins Gerede kam das Unternehmen, als 2011 kaufmännische Fehler bekannt wurden. Der Geschäftsführer wurde suspendiert. Text: tpg