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WÜRZBURG
Folge 1: Im Labyrinth des Bacchus
Staatliche Hofkellerei Sie gilt als eine der schönsten und größten Kelleranlagen Europas. Und nicht nur der Geist von Baumeister Neumann ist unter der Residenz zu spüren.
Von unserer Mitarbeiterin Ursula Düring
 |  aktualisiert: 26.04.2023 17:42 Uhr

Was für die Pariser das Phantom der Oper, das sind in Würzburg die Flaschen-, Keller und Weingeister. Sie sind die Herrscher einer unterirdischen Welt. Das putzmuntere Volk, das vornehmlich in den Tiefen der Würzburger Residenz, also im Hofkeller, sein Wesen treibt, hat Jahr um Jahr Kellermeister erlebt, stolze Händler, eitle Diener, fleißige Fassmacher, polternde Despoten und heitere Weintrinker, genug, um sich jahrhundertelang in der weingeschwängerten Aura des Kellerlabyrinths nicht zu langweilen.

Schon bei dem Gedanken an all die Geister wird mir ein bisschen schummrig. Obwohl ich keinen auch nur kleinsten Schluck des edlen Saftes gekostet habe, der hier, unter dem „schönsten Pfarrhaus Europas“, blubbernd in seinen göttlichen Geschmack hineinwächst. Tritt für Tritt steige ich hinab in den Schoß der Erde. Düster ist es. Nur die flackernden Kerzen werfen zittrige Schatten an Wände und Gewölbe, in Ecken und lange Gänge.

Dann tauchen sie auf: dick, behäbig, bauchig. Keine Geister, aber Fässer. Eines nach dem anderen. Insgesamt sind es 343 Holzfässer, die früher auf Naturboden, heute auf Beton stehen. Sie leben und scheinen manch kuriose Weisheit, manch frechen Spruch, manch frommen Satz in die erdige Kellerluft zu hauchen. Während ich vor drei besonders voluminösen Exemplaren stehe, studiere ich die geschnitzte Aufschrift des mittleren: „Aus alterlegnem Holz ward endlich ich gemacht, durch Vorsicht, Kunst und Fleiß zu dieser Zier gebracht. . . Du aber, der du trinkst/ leb wohl und denk dabei/ dass Gott von dieser Gab/ der höchste Schöpfer sei“.

Es sind die drei, die Beamten- oder Deputatsweinfässer genannt werden. In ihnen waren die 50 000 Liter Wein gelagert, mit denen die Beamten – übrigens noch bis 1905 – bezahlt wurden. Zu fürstbischöflicher Zeit und später noch zu Königlich-Bayerischer Zeit war es nämlich Usus, die Entlohnung der Beamten großenteils in Naturalien zu entgelten und von hier und da den Wein dazu abzuzapfen. Doch manche Höflinge, die sich mit minderwertigem Gebräu abgespeist fühlten, beschwerten sich, denn es gab schon damals Gütestufen des edlen Traubensaftes.

Einer der Fürstbischöfe, der gerechte Franz Ludwig von Erthal, hatte so gar keine Lust auf Streit und ließ kurzerhand die drei Fassriesen anfertigen, aus denen fortan der fürstliche Sold floss und somit alle Hofbediensteten gleich bezahlt wurden. In das dickste von ihnen passten sage und schreibe 616 Eimer und 24 Maß. Dazu muss man wissen, dass ein Eimer einer großen Butte mit 76 Litern Fassungsvermögen entsprach und ein Maß mit 1,13 Litern gemessen wurde.

Begonnen hat die Geschichte der herrschaftlichen Weinkeller laut einer Urkunde im Staatsarchiv schon 1180 mit der Schenkung von Weinbergen eines reichen, aber kranken Würzburgers an den Bischof. Als Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn im Jahr 1719 seinem Baumeister Balthasar Neumann den Auftrag zur Errichtung eines Stadtschlosses erteilte – bis dato wohnten die Herrscher noch auf dem Festungsberg –, orderte er auch einen „vortrefflichen Weinkeller“. Dank dem genialen Barockbaumeister entstand mit dem Würzburger Hofkeller eine der schönsten und größten Kelleranlagen in ganz Europa, die im Lauf der Jahrhunderte mehrmals die Besitzer wechselte und heute ein Staatsbetrieb ist.

Die 4557 unterirdischen Quadratmeter sind eine Welt für sich, aufgeteilt in Nord- und Südflügel und seit einiger Zeit durch einen spektakulären Gang miteinander verbunden. Der Mittelteil der Residenz ist nicht unterkellert, da Baumeister Neumann um Grundwasseradern, Sand und Kalk an dieser Stelle wusste.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Deputatsweinfässer gibt es solche, auf deren Front die Lagen der Hofkellerei geschnitzt sind. Und das Schwedenfass, dessen unglaubliche Geschichte alle Wein- und Kellergeister zum Kichern und die auf Bocksbeutel aufgesteckten Kerzen besonders hell leuchten lässt. Im Schwedenfass lagerte der legendäre Weinjahrgang 1540, eine kleine, aber feine Köstlichkeit, die nur zu besonderen Anlässen ausgeschenkt wurde.

Als im Dreißigjährigen Krieg die Schwedentruppen um Gustav Adolf vor Würzburgs Toren standen, versteckte man den Rest des göttlichen Nass' vor ihnen – und vergaß es nach dem Krieg! Erst 1684 tauchte der Restbestand wieder auf. Der erste bayerische König Ludwig – im Fortlauf der Geschichte einer der Besitzer der Hofkellerei – ließ ihn auf Flaschen füllen. Heute gibt es noch zwei davon, eine ist im Besitz des Weinbaumuseums in Speyer. Die andere gehört einem Engländer, der sie als Dauerleihgabe an die Stadt Würzburg gegeben hat. Im Bürgerspital wird sie hinter Panzerglas aufbewahrt.

Ich bewege mich ehrfurchtsvoll an den Fassriesen vorbei. Kerzenlicht zaubert immer wieder seltsame Schemen hervor. Sind das die vorwitzigen Geister? Der Fußboden fühlt sich glatt an, da und dort steht eine kleine Pfütze, in der sich zuckende Lichtwolken spiegeln. Mir wird bewusst, dass die trutzigen Gewölbe über mir das weltberühmte Barockschloss mit dem überwältigenden Deckengemälde des Venezianers Giovanni Battista Tiepolo tragen. Bevor ich im berühmten Stückfasskeller mit seinen 99 Fässern stehe, atme ich tief durch. Sollen die Geister meinetwegen bleiben, wo sie sind.

Ich bin vor Staunen atemlos. Vor mir erhebt sich das Herzstück des Kellers, von wo aus der fürstbischöfliche Prachtbau einst begann: eine monumentale Säule mit einem Zwei-Meter-Durchmesser, von der aus sich bis zu zehn Meter weite Bögen zu den fünf Meter dicken Außenmauern spannen. Da wird mir ähnlich ganz fromm zumute, ähnlich wie in einer gewaltigen Kathedrale. Doch das ist kein Gotteshaus. Das ist der ehemalige Handelskeller. Hier herrschte seinerzeit reges Leben, wurde lautstark gefeilscht, verkostet, gekauft. Wer ein Stückfass erwarb, brachte 1200 Liter Wein mit nach Hause, und wer, um zu prüfen, ob das Fass voll sei, daran klopfte, bekam es mit den weltlichen Geistern zu tun. Sich an den Fässern hochzuklopfen, um die gelagerte Menge zu erfahren, war strengstens verboten. Bei Zuwiderhandlung wurde der Hosenboden stramm gezogen.

Heute bekommt keiner Prügel, der bewundernd über das Fassholz streicht. Möglicherweise erschreckt sich darin nur ein unerfahrener Weingeist. Ganz sicher aber freut sich Weingott Bacchus, im Licht der prunkvollen Kronleuchter auf einer historischen Holzkelter lümmelnd. Sicher grinst er während festlicher Veranstaltungen wie musikalisch-literarischer oder närrischer Weinproben über so manchen Rauschzustand der Genießer. Denn hier unten mundet der Wein gar zu köstlich, und Dichterfürst Goethes Ausspruch „Kein andrer Wein will mir schmecken“ bestätigt sich bei jedem Schluck.

Durch den ästhetisch und architektionisch fein gestalteten Gang in den Südflügel laufend, fliegt die Geschichte vorbei. Ich erfahre, dass laut Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach Wein gegen Pest hilft, denn der Herrscher wollte im 17. Jahrhundert die Menschen vom Trinken aus den Brunnen abhalten. Unter der Hofkirche öffnet sich ein Blick in die moderne Kellerwirtschaft, werden in blitzenden Behältnissen die Trauben zu Wein. Und daneben im ehemaligen Vorratskeller und im angebauten Eiskeller, die seinerzeit durch ein von Neumann entworfenes, ausgeklügeltes Gänge-System mit der Schlossküche verbunden waren, reifen köstliche rote Weine.

Auf meinem Weg dorthin begegnen mir keine Geister mehr, aber ein großer Würzburger: der Künstler Lothar Forster. Auch er hat ein Fass besonders beschnitzt. Es zeigt in der Front einen Genießer, der vor Glück ein Auge zukneift, mit dem anderen in die sonnige Welt blinzelt und mit seinem weinseligen Lächeln im Gesicht alle Schönheit der Welt zu umarmen scheint.

Kellerführungen

Treffpunkt zu den öffentlichen Kellerführungen durch das historische Kellergewölbe und den mit Kerzen illuminierten Weinkeller ist am Frankonia-Brunnen auf dem Residenzplatz:

am Freitag um 16.30 und 17.30 Uhr,

samstags, sonntags und an bundesweiten Feiertagen um 10, 11, 12 Uhr und 14, 15, 16 Uhr, am Samstag auch um 17 Uhr. Eintritt 7 Euro pro Person.

 

Informationen zu den öffentlichen Weinproben im Weinkeller und allen anderen Veranstaltungen wie Literarisches, Kulinarisches, Filmnächte, Feste, Nacht der offenen Weinkeller gibt es beim Staatlichen Hofkeller Würzburg, Rosenbachpalais, Residenzplatz 3, 97070 Würzburg, Tel. 0931 30509-27.

Im Internet gibt es Informationen unter www.hofkeller.de, mail-Kontakt: hofkeller@hofkeller.bayern.de.

Stückfasskeller: Wo früher Wein gehandelt wurde, wird heute gefeiert.
| Stückfasskeller: Wo früher Wein gehandelt wurde, wird heute gefeiert.
Alt wie der Residenzkeller: Bocksbeutel sind traditionell Flaschen für edlen Frankenwein.
| Alt wie der Residenzkeller: Bocksbeutel sind traditionell Flaschen für edlen Frankenwein.
 
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