Im großen Wohn- und Schlafsaal, wo 30 zweistöckige Bettgestelle zwischen großen schwarzen Plastikplanen stehen, sitzen fünf Männer auf alten Sofas vor einem alten Fernseher und schauen fern. Über den Planen hängen Kleider. Neben den Betten stehen Koffer und Plastiktüten. In einer zweiten Ecke ratschen drei Bewohner und rauchen.
Von oben brennt das Neonlicht, fast immer. Lampen an den Betten gibt es nicht. Nahe am Fernseher stehen die Stockbetten dicht an dicht, ohne Sichtblenden. Ein Mann liegt auf dem Rücken, starrt apathisch zur Decke, das Bettzeug bis unter die Nase hochgezogen. Ein anderer legt sich ein Handtuch auf die Augen.
Hier, im größten Schlafsaal der Notunterkunft im Technikum, leben 30 Männer. In drei weiteren sind noch mal 30 Flüchtlinge untergebracht, die wenigen Frauen und Kinder getrennt von den Männern. Platz ist nach Regierungsangaben für bis zu 100 Leute. Außer den Habseligkeiten am Bett haben sie nichts: keine Privatsphäre, keine Rückzugsmöglichkeit, keine Stille, keine gute Luft. Wer hier wohnt, braucht gute Nerven.
Zweimal in der Woche kommt die pensionierte Lehrerin Maria Kauczok, um die Flüchtlinge ehrenamtlich Deutsch zu lehren. Sie wirft der Regierung vor, einen „untragbaren, unwürdigen Zustand“ geschaffen zu haben. Sie sagt, die Flüchtlinge bräuchten „mehr als dringend Ansprechpartner tagsüber und abends“.
Johannes Hardenacke, der Sprecher der Regierung, entgegnet, die Behörde sei vor- und nachmittags „durch Mitarbeiter präsent“. Kauczok meint, das seien „Stifte“ – unerfahrene Leute; die Regierung verlasse sich darauf, dass sich andere engagieren.
Im Keller stehen zwei Waschmaschinen für die Kleidung von 60 Menschen; eine dritte soll in diesen Tagen dazukommen. Im großen Aufenthaltsraum im Erdgeschoss, wo die Bewohner sich treffen, essen, Deutsch lernen und die Zeit totschlagen, weil sie nicht arbeiten dürfen, riecht man, dass zwei Waschmaschinen nicht reichen für so viele Leute.
Im Eingangsbereich, einer Art Glaskasten, sitzt ein verängstigter junger Mann. Er hat sein linkes Hosenbein hochgezogen. Auf dem Schienbein ist eine großes Schwellung, offenbar entzündet. Es sieht aus, als habe ihn etwas ziemlich Großes gestochen. Bei ihm steht Christiane Kerner, die Vorsitzende des Bürgervereins Heuchelhof. Sie erzählt, er sei in der Missionsärztlichen Klinik gewesen, der Arzt habe nicht feststellen können, was das ist. Der junge Mann hat Schmerzen. Kerner versucht zu erklären, mit deutsch-englischen Brocken und Zeichensprache, dass bald ein Arzt mit einem Medikament käme. Doch der Kranke versteht sie nicht.
Die Verständigung ist schwierig. Kerner sagt, sie funktioniere irgendwie, mit Händen und Füßen, fürs Notwendigste. Für ein Arzt-Patienten-Gespräch reicht das nicht. Hardenacke sagt, die Regierung habe „nicht vorgesehen, Kranken einen Dolmetscher zur Seite zu stellen“. Die Regierungsmitarbeiter kämen mit Englisch, Französisch und Arabisch zurecht. Tatsächlich aber ist mit vielen Bewohnern schon das Besprechen einfachster Dinge eine zeitraubende, oft erfolglose Angelegenheit.
In diesen Tagen leben etwa 900 Flüchtlinge in Würzburg. Mit den meisten hat die Caritas zu tun, von der Asylsozialberatung über die Hilfe bei Behördengängen bis zur Versorgung mit Kleidung. Caritas-Sprecher Sebastian Schoknecht berichtet, die Flüchtlinge, getürmt vor Terror und Gewalt, seien unterwegs Freiwild. Sie würden ausgenommen, angefeindet und missbraucht. In Deutschland angekommen, fänden sie „äußerlich erst mal Frieden“, plagten sich aber mit Heimweh, Verlustgefühl und Angst um die Daheimgebliebenen. Sie seien „hochgradig traumatisiert“.
Wer im Technikum wohnt, hat die mehrfach überfüllte Erstaufnahme-Einrichtung in München hinter sich und ein notdürftiges Lager in den überfüllten Räumen der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in der Veitshöchheimer Straße. Helfer gehen davon aus, dass einige seit Monaten unterwegs sind, ohne Ruhe zu finden und ohne therapeutisches Gespräch. Im Technikum warten sie darauf, in andere Unterkünfte weiterverteilt zu werden. Maximal eine Woche soll das nach Regierungsplänen dauern. Die Bürgervereinsvorsitzende Kerner berichtet, manche seien schon seit zwei Wochen hier. Regierungssprecher Hardenacke sagt, das könne sein.
Kerner erzählt, viele wollten wissen, wie es mit ihnen weitergeht, was als nächstes kommt, aber niemand sei da, der antworten kann.
Die Bewohner des Technikums kommen aus Afghanistan, Syrien, Iran und Irak, aus Somalia, Nigeria, Äthiopien und Eritrea. Die verschiedenen Sprachen, Sitten und Gebräuche machen das Zusammenleben schwierig. Diese Gemeinschaft ist willkürlich zusammengewürfelt, die Bewohner finden keine Verständigung auf gemeinsame Regeln, sie organisieren sich nicht selbst. Das Zusammenleben ist konfliktträchtig.
Oberbürgermeister Christian Schuchardt sagt, die Verhältnisse im Technikum entsprächen nicht seinen Vorstellungen. Es gebe „Anlaufschwierigkeiten“. Fürs Technikum und die Flüchtlinge ist die Regierung zuständig. Aber Schuchardt bat die Greising-Schule an, die schwarzen Plastikplanen gegen hölzerne Trennelemente auszutauschen, und die gemeinnützige Diakonie-Tochter Brauchbar, Nachttische und Nachtlampen zu bringen. Der OB schickt zudem zwei städtische Mitarbeiter, die sich halbtags um die Flüchtlinge kümmern sollen. Und er rühmt das Engagement des Bürgervereins Heuchelhof.
Die Hilfsbereitschaft ist enorm. Kerner und die Tierärztin Doris Lohse sind in jeder freien Minute hier, mit ihnen mehrere andere. Kerner sagt, „das Netzwerk funktioniert“. Am Sonntag berichte Pfarrer Max von Egidy in der Gethsemane-Kirche, was die Flüchtlinge brauchen. Die Gemeinde besorge es. Im Technikum tauchen Leute wie die Lehrerin Petra Censkowski auf, die in Riesenkartons Rasierschaum und Cremes und Chips mitbringt. Sie findet die Umstände trostlos: „Wie schrecklich das sein muss, wenn man so viel erlebt hat, wenn Familie und Freunde weg sind, alles, was vertraut ist, dahin ist, und man sich nicht zurückziehen kann.“
Unter den Helfern gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Maria Kauczok meint, die Regierung betreue die Flüchtlinge „nicht ordentlich“, spricht von Unmenschlichkeit und Gedankenlosigkeit. Lohse berichtet dagegen von einer „Riesengemeinschaft“ und meint damit die Allianz der Helfer. „Alle reißen sich die Beine aus.“ Lohse bezieht die Wachmänner vom Sicherheitsdienst mit ein – „die sind mit dem Herzen dabei, das sind keine Rambos“ – und die Mitarbeiter der Regierung, „die machen 101 Prozent, auch menschlich“. Dreimal in der Woche komme ein Arzt, täglich werde die Lage besser, „das ist ein tolles Klima hier“, sie könne „nur Gutes berichten“.
Fragt man einen Flüchtling, lächelt er freundlich.