
Im Kinderspielzentrum „Spieli“ im Würzburger Stadtbezirk Zellerau spielen und toben Kinder drinnen und draußen. Manchmal reden sie, manchmal streiten sie. Manchmal ziehen sie sich zurück. Manchmal schütten sie ihr Herz aus. Den wenigsten sieht man an, dass bei ihnen zu Hause etwas nicht stimmt.
Familien brauchen Strukturen und Unterstützung in Bereichen, in denen sie zu scheitern drohen, und genau das ist bei gar nicht so wenigen Familien der Fall. Gerade Kinder orientieren sich an dem, was ihnen die Erwachsenen vorleben. Und weil das Familienbild von früher, wonach die Mutter Kochen und den Großteil der Erziehung übernommen hat, während der Vater für das Geld sorgte, längst ein ganz anderes ist, braucht es Alternativen, um Kindern ein heimeliges Zuhause zu schaffen, ihnen Werte zu vermitteln und Zeit zu geben.
Doch genau diese Entwicklung hinkt ganz offensichtlich hinterher, wenn Kinder sich selbst überlassen werden. Schlechte Vorbilder sind die eine Sache; echte finanzielle Armut ist die andere in einer Spirale von Not. Nicht selten reicht sie bis in die Kriminalität.
„Wodurch merkt man, dass es Familien schlecht geht?“ wollten wir für die Familienserie dieser Zeitung wissen und fragten im Kinderspielzentrum „Spieli“ mit seiner offenen Kinder- und Jugendarbeit nach – wobei das „Spieli“ nur stellvertretend für viele Einrichtungen in der Region stehen kann, in denen wache Eltern, Nachbarn und Ehrenamtliche sich um das Kindeswohl bemühen.
Kinder wollen ernst genommen und mit Respekt behandelt werden wie jeder andere auch. Sie entwickeln sich. Werfen immer neue Fragen auf. Manchmal ist es anstrengend, da immer Geduld zu wahren – und trotzdem den Respekt nicht zu verlieren.
60 bis 100 Kinder kommen am Tag
Starre Rezepte gibt es nicht; aber es gibt Grundvoraussetzungen für die richtige Richtung in ein gelingendes Leben. Von den vielen Kindern, die das „Spieli“ besuchen – nicht selten 60 bis 100 am Tag – kommen 98 Prozent aus Hartz-IV-Familien oder aus Elternhäusern, wo noch dazuverdient werden muss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, berichtet die Heilpädagogin und systemische Familienberaterin Schwester Ruperta Krieger, stellvertretende Leiterin der Einrichtung. Diese vielen Kinder sind von Armut bedroht.
Das „Spieli“ bietet sieben Mitarbeiter mit psychologischer und pädagogischer Ausbildung auf, darunter auch Studenten aus den jeweiligen Bereichen. Immer können sich die Kinder an die Pädagogen wenden, gerne an ihren Lieblingsbetreuer.
Dass es Familien schlecht geht, wird oft durch das Verhalten der Kinder offensichtlich. Bei der Entstehung von Konflikten gebärden sie sich seltsam, selbst in positiven Situationen geben sie sich nicht der Norm entsprechend. Das bedeutet: Die Kinder sind sehr belastet, sagt Ruperta. Fast immer glauben sie, „dass alles mit Gewalt gelöst wäre, für Konfliktlösungen haben sie wenig Verhaltensrepertoire. Sie haben mangelndes Selbstwertgefühl und meinen, sie müssten sich verteidigen.“ Sie seien oft nicht ihrem Alter entsprechend entwickelt oder gefördert. So könnten beispielsweise viele die Uhr nicht lesen, sagt Ruperta. „Wir hatten auch einen Elfjährigen darunter.“
Neben Spielen, Basteln und Betreutwerden kochen die Kinder hier auch mit dem Team und lernen Rezepte lesen und Zutaten abwiegen – Alltagsfähigkeiten, die keineswegs in jedem Elternhaus vorhanden sind. Die meisten Kinder sind in Förderschulen, die wenigsten in Mittel- oder weiterführenden Schulen. „Sie sind nicht blöder als andere“, ist für die Heilpädagogin ganz klar, „aber sie kommen aus bildungsfernen Familien, sind ins alltägliche Leben der Familie nicht eingebunden. Sie kommen entwicklungsverzögert hier an.“ Wo die Eltern Alkohol- oder Drogenprobleme haben, ist es nicht selten, dass „die Grundversorgung an Essen, Trinken, Emotionen und Zuwendung fehlt“. Mitarbeiter Bernd Vormwald ergänzt: „Oft sind die Eltern so mit ihren eigenen Problemen belastet, dass sie keine Zeit und Möglichkeiten mehr haben, die Kinder zu fördern.“
Ruperta: „Die Eltern geben zum Teil schon oft auch ihr Bestes. Aber oft ist es nicht das Richtige, und die Kontinuität fehlt. Das heißt, sie können ja keine verlässlichen Partner für die Kinder sein.“ Die für die Kinder und ihre Familien kostenlose Betreuung im „Spieli“ beinhaltet neben Familienausflügen immer wieder auch die sogenannte aufsuchende Arbeit, in bestimmten Fällen besucht Ruperta also auch die Familien.
Aus manch heftigem Durcheinander in der Wohnung werde klar, dass dort eine Tagesstruktur ebenso fehlt wie Essen oder jegliche Überlegung, welches Essen für ein Kind gut sein könnte. Ruperta findet, wie sie es ausdrückt, „Armut in ihrer ganzen Kargheit: alles sauber wie geleckt, aber es ist nicht genug da, auch kein Essen. Und oft auch keine Konsequenz.“ Armut hat viele Schattierungen, viele Gesichter. „Dadurch, dass du nicht über die Menschen urteilst, sondern Vertrauen bringst, vertrauen sie dir auch sehr viel an, ihre Lebensgeschichten, erlebten Missbrauch, Emotionalität aus Heimen, Drogensüchte, Alkohol-, Tablettenmissbrauch, Kaufsucht, Kriminalität, oft schon aus der Jugendzeit“, berichtet sie. Einigen ist es auch sehr ernst, sich daraus zu befreien, zum Beispiel durch Therapie, durch Beziehung oder durch die Einsicht ,so will ich nicht leben' – es ist einfach zu viel Stress mit der Polizei.“ Dieses vertrauensvolle Aufeinanderzugehen ist harte Arbeit. Es muss erst wachsen. Hier werden die misslichen Lagen offensichtlich.
Not oft schwer zu erkennen
Und es gibt sie auch, die kleinen, gefallenen Engelchen – „Schmuddelkinder“, mit Schmutz an Körper und Kleidern, ihrem Stinken „nach Urin, Dreck und Sonstigem, mit ungewaschenem Gesicht . . .“ – auch sie geben unverkennbare Signale: In der Familie stimmt etwas nicht. „Aber es gibt auch die andere Fraktion. Die, die sehr gepflegt erscheint – zu Hause aber das gleiche Drama hat“, so Ruperta. Wenn sie mit jahrzehntelanger Erfahrung schon sagt, dass die Not teils schwer zu erkennen ist – wie schwierig muss es da manchmal für Menschen sein, die keine Fachleute im Sozialen sind. Wachsamkeit ist gefragt. Und die kommt mit dem Willen zu helfen.
Helfen heißt auch, „Kindern Grenzen setzen, ihnen Orientierung geben durch Klarheit, Greifbarkeit und Nachvollziehbarkeit, gepaart mit liebevoller, wertschätzender Zuwendung“, so Bernd Vormwald. Ausflüge nicht nur mit den Kindern, auch zusammen mit den Eltern auf „Spieli“-Kosten oder – ebenfalls mit Eltern – Bauen auf dem Gelände, ein eigenes Mütterfrühstück: Das alles soll Vertrauen und Hilfe zur Selbsthilfe fördern.
Spenden ans „Spieli“ können auch so aussehen: Ein Würzburger Unternehmer bezahlt für zwei bis drei Tagesreisen im Jahr die Omnibusfahrt und übernimmt auch noch Eintrittsgelder. Sich wohlfühlen ist oft nicht nur eine neue Erfahrung für vernachlässigte Kinder, sondern auch eine neue Perspektive, die ihnen hilft, in anderen Bereichen mal über ihren Schatten zu springen: einlenken zum Beispiel statt Gewalt. Sich helfen lassen und dadurch eigene Fähigkeiten entdecken und weiterzuentwickeln. Und deswegen sind die „Spieli“-Mitarbeiter auch da, wenn Kinder oder Eltern außerhalb der eigentlichen Öffnungszeiten anrufen, um ihr Herz auszuschütten. Auf einmal helfen sie anderen zu erkennen, dass sie in Not sind. Und helfen ihnen zu erkennen, dass sie etwas dagegen tun können.
Träger des Kinderspielzentrums „Spieli“ in der Zellerau sind der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und die Stadt Würzburg.
Spendenkonto: Sozialdienst katholischer Frauen Würzburg e.V. Stichwort Spieli-Spende, Liga Bank EG Würzburg, BLZ 750 903 00 / Kto.-Nr. 1003009114; IBAN: DE60 7509 0300 1003 0091 14; BIC: GEN0DEF1M05. Info: Sr. Ruperta Krieger, Tel. (0931) 9 70 94 04 oder Kinderspielzentrum Tel. (0931) 4 26 63, E-Mail: spieli@skf-wue.de.