WÜRZBURG
Fake News als Gefahr für die Demokratie
Oft vergessen wir die Quelle einer Nachricht, aber nicht die Nachricht selbst, sagt der Medienpsychologe Frank Schwab, Lehrstuhlinhaber am Institut Mensch-Computer-Medien der Universität Würzburg. Welche Folgen das für die Verbreitung von Fake News hat und warum wir angesichts des Phänomens dennoch nicht den Kopf in den Sand stecken sollten, verrät er im Interview.
FRAGE: Fake News und manipulierte Nachrichten begegnen uns in den sozialen Netzwerken recht häufig. Sind sie eine Gefahr für die Demokratie?
FRANK SCHWAB: Fake News und die damit einhergehenden digitalen Filterblasen, in denen sich die Menschen bewegen, sind ein Phänomen, das wir in der Medienforschung schon seit Jahren kennen. Früher hieß das defensive Selektivität. Verkürzt bedeutet das: Menschen interessieren sich eben nur für die Dinge, für die sie sich interessieren. Es ist keineswegs so, dass man Nachrichten rezipiert wie ein gänzlich rationaler Nutzer. Maximal 20 Prozent der Nachrichten werden tatsächlich behalten, meist ist es das Wetter.
Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
SCHWAB: Fake News sind in den medialen Fokus gerückt. Die Konsequenzen ähneln jenen, die häufig im Bereich der Kriminalität zu erkennen sind. Die mediale Berichterstattung kann eine gefühlte Kriminalität erzeugen, die uns relativ dramatisch erscheint, ein Blick in die Polizeistatistik verrät allerdings, dass sie in vielen Bereichen rückläufig ist. Es gibt also einen Unterschied zwischen der wahrgenommenen Bedrohung und der tatsächlich nachgewiesenen. Das gilt auch für Fake News. Die Frage, ob Fake News oder Social Bots die Demokratie gefährden, sollte daher nicht übereilt aus dem Bauch heraus, sondern nur auf Grundlage von belastbaren Studien beantwortet werden.
Die bisherigen Studien – vor allem aus dem Bereich der klassischen Medien – sprechen eher dafür, dass die Effekte von Fake News überschaubar sind. Werden Fake News also überbewertet?
SCHWAB: Moralisch gesehen, ist es eindeutig, dass Fake News nicht okay sind. Aber man sollte die Effekte nicht dramatisieren und überreagieren. Erste Überlegungen beispielsweise vom Technikfolgenabschätzungsbüro des Bundestages gehen davon aus, dass Fake News, etwa bei der Bundestagswahl, eventuell einen Effekt haben könnten, wenn es recht knapp würde.
Fake News könnten also dafür sorgen, dass kleinere Parteien gerade noch so über die Fünf-Prozent-Hürde springen?
SCHWAB: Ja, in einem solchen Fall kann eine Fake News der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber sie sind nicht die zig Liter, die das Fass erst füllen.
Welche Rolle spielen Soziale Medien bei der Verbreitung? Sind sie der Stammtisch der Gegenwartsgesellschaft?
SCHWAB: Der Vorteil aller Medien vor allem auch der Sozialen Medien ist die Überwindung von Kommunikationsbarrieren. Früher musste man zumindest in ein Gasthaus oder in den Nachbarort gehen, um Gleichgesinnte zu treffen. Heute funktioniert das unter anderem über soziale Webseiten. Das ist nicht nur sehr kostengünstig, es geht auch extrem schnell. Distanzen werden problemlos überwunden. Das ist einerseits ein immenser Vorteil, etwa für Weltpolitik und -wirtschaft. Zugleich birgt es auch Nachteile.
Durch die fehlenden Barrieren ergibt sich die Möglichkeit, viel Blödsinn, Verschwörungstheorien oder eben Fake News zu kommunizieren. Auch, weil man keine Konsequenzen fürchtet?
SCHWAB: Wegen der – auch hier oft nur gefühlten – Anonymität in den Netzwerken und wegen der mangelnden Sanktionen, werden Dinge kommuniziert, die sonst nicht gesagt würden. Stattdessen findet sich immer jemand, der die Meinung teilt, egal wie krude sie scheint. Mit diesem schließt man sich zu einer Gemeinschaft zusammen. Einige leben digital quasi nur noch am Stammtisch, in einer selbst gewählten Mediennische, hinter sauerstoffarmen Rauchschwaden aus heißem Qualm.
In den sogenannten Filterblasen.
SCHWAB: Jeder hat eine Art Aktenschrank im Kopf. Was da hineinpasst, nimmt der Mensch gut auf, was nicht reinpasst, übersieht er gerne. Oder es wird passend gemacht und verzerrt abgelegt.
Zugleich wird die Außenwelt immer komplexer und für den Einzelnen immer schwerer nachzuvollziehen.
SCHWAB: Ins eigene Weltbild passen immer nur Dinge, die man auch versteht. Dinge, die man nicht versteht hingegen, erzeugen ein unangenehmes Gefühl. Populistische, einfache Lösungen für komplizierte Probleme werden gerade auch wegen der guten Verständlichkeit akzeptiert. Wenn man das versteht, stärkt das unser Selbstwertgefühl. Fake News ziehen ihre Stärke einerseits aus der Selbstbestätigung und andererseits aus der Bequemlichkeit vieler, sich nicht mit komplexen Inhalten auseinandersetzen zu wollen.
Andere Studien sagen, diese Gutgläubigkeit ist Teil des menschlichen Überlebensinstinkts. Es bringt dem Menschen schließlich nichts zu hinterfragen, ob der Säbelzahntiger ihn wirklich angreifen will.
SCHWAB: Hinter solchen Ansätzen steckt der Grundsatz „Better safe than sorry“, also lieber läuft man einmal zu oft weg, als einmal zu wenig. Der Mensch ist nicht das rationale Wesen, für das ihn viele halten. Im Gegenteil: Er musste sich immer auf Fressfeinde und andere Gefahren einstellen. Heute fallen auch angstauslösende Nachrichten und verunsichernde Geschichten in diese Kategorie. Gerade in dem Bereich Angst funktionieren Menschen nicht immer besonders rational. Oft schätzen sie Wahrscheinlichkeiten falsch ein. Es ist statistisch gesehen wahrscheinlicher, vom Auto überfahren als vom Hai gefressen zu werden. Dennoch fürchten sich viele vor Haien. Auch diejenigen, die versuchen mit Fake News gezielt zu manipulieren, wissen aus Erfahrungen um diese Schwäche und nutzen sie. Sie spielen beispielsweise mit Schlagworten wie Lebensgefahr oder Sexualität.
Werden Fake News glaubwürdiger, je öfter man sie liest?
SCHWAB: Über die Zeit entkoppeln wir die Quelle von der Nachricht. Man spricht hier vom sleeper-effect, also vom Schläfer-Effekt. Wenn wir Nachrichten lesen und bemerken, dass die Quelle nicht ganz seriös oder belastbar ist, glauben wir sie zunächst nicht. Einige Wochen später jedoch haben viele Menschen die Quelle vergessen, an die Nachricht jedoch erinnern sie sich – und glauben sie dann auch. Grund ist, dass wir über die Nachricht nachdenken, sie einordnen und sie so in unserem Gedächtnis tiefer einsinkt. Die Quelle hingegen registrieren wir nur auf einer oberflächlichen Ebene, dadurch vergessen wir sie auch gern wieder.
Die Bundestagswahl steht bevor. Werden wir in der nächsten Zeit mit Fake News überflutet?
SCHWAB: Definiert man den Begriff Fake News sehr großzügig als Verzerrungen, als Weglassen oder leichtes Verbiegen der Wirklichkeit, ist davon auszugehen, dass sich solche Dinge im Wahlkampf weiter ausbreiten. Dabei ist es gar nicht immer ein böser Kopf, der manipulative Nachrichten verbreitet, sondern es entstehen vielmehr Stille-Post-Phänomene. So etwas gab es schon immer in Wahlkämpfen, in denen Gruppen um die Hoheit über die Wirklichkeitsdeutung streiten.
FRAGE: Fake News und manipulierte Nachrichten begegnen uns in den sozialen Netzwerken recht häufig. Sind sie eine Gefahr für die Demokratie?
FRANK SCHWAB: Fake News und die damit einhergehenden digitalen Filterblasen, in denen sich die Menschen bewegen, sind ein Phänomen, das wir in der Medienforschung schon seit Jahren kennen. Früher hieß das defensive Selektivität. Verkürzt bedeutet das: Menschen interessieren sich eben nur für die Dinge, für die sie sich interessieren. Es ist keineswegs so, dass man Nachrichten rezipiert wie ein gänzlich rationaler Nutzer. Maximal 20 Prozent der Nachrichten werden tatsächlich behalten, meist ist es das Wetter.
Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
SCHWAB: Fake News sind in den medialen Fokus gerückt. Die Konsequenzen ähneln jenen, die häufig im Bereich der Kriminalität zu erkennen sind. Die mediale Berichterstattung kann eine gefühlte Kriminalität erzeugen, die uns relativ dramatisch erscheint, ein Blick in die Polizeistatistik verrät allerdings, dass sie in vielen Bereichen rückläufig ist. Es gibt also einen Unterschied zwischen der wahrgenommenen Bedrohung und der tatsächlich nachgewiesenen. Das gilt auch für Fake News. Die Frage, ob Fake News oder Social Bots die Demokratie gefährden, sollte daher nicht übereilt aus dem Bauch heraus, sondern nur auf Grundlage von belastbaren Studien beantwortet werden.
Die bisherigen Studien – vor allem aus dem Bereich der klassischen Medien – sprechen eher dafür, dass die Effekte von Fake News überschaubar sind. Werden Fake News also überbewertet?
SCHWAB: Moralisch gesehen, ist es eindeutig, dass Fake News nicht okay sind. Aber man sollte die Effekte nicht dramatisieren und überreagieren. Erste Überlegungen beispielsweise vom Technikfolgenabschätzungsbüro des Bundestages gehen davon aus, dass Fake News, etwa bei der Bundestagswahl, eventuell einen Effekt haben könnten, wenn es recht knapp würde.
Fake News könnten also dafür sorgen, dass kleinere Parteien gerade noch so über die Fünf-Prozent-Hürde springen?
SCHWAB: Ja, in einem solchen Fall kann eine Fake News der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber sie sind nicht die zig Liter, die das Fass erst füllen.
Welche Rolle spielen Soziale Medien bei der Verbreitung? Sind sie der Stammtisch der Gegenwartsgesellschaft?
SCHWAB: Der Vorteil aller Medien vor allem auch der Sozialen Medien ist die Überwindung von Kommunikationsbarrieren. Früher musste man zumindest in ein Gasthaus oder in den Nachbarort gehen, um Gleichgesinnte zu treffen. Heute funktioniert das unter anderem über soziale Webseiten. Das ist nicht nur sehr kostengünstig, es geht auch extrem schnell. Distanzen werden problemlos überwunden. Das ist einerseits ein immenser Vorteil, etwa für Weltpolitik und -wirtschaft. Zugleich birgt es auch Nachteile.
Durch die fehlenden Barrieren ergibt sich die Möglichkeit, viel Blödsinn, Verschwörungstheorien oder eben Fake News zu kommunizieren. Auch, weil man keine Konsequenzen fürchtet?
SCHWAB: Wegen der – auch hier oft nur gefühlten – Anonymität in den Netzwerken und wegen der mangelnden Sanktionen, werden Dinge kommuniziert, die sonst nicht gesagt würden. Stattdessen findet sich immer jemand, der die Meinung teilt, egal wie krude sie scheint. Mit diesem schließt man sich zu einer Gemeinschaft zusammen. Einige leben digital quasi nur noch am Stammtisch, in einer selbst gewählten Mediennische, hinter sauerstoffarmen Rauchschwaden aus heißem Qualm.
In den sogenannten Filterblasen.
SCHWAB: Jeder hat eine Art Aktenschrank im Kopf. Was da hineinpasst, nimmt der Mensch gut auf, was nicht reinpasst, übersieht er gerne. Oder es wird passend gemacht und verzerrt abgelegt.
Zugleich wird die Außenwelt immer komplexer und für den Einzelnen immer schwerer nachzuvollziehen.
SCHWAB: Ins eigene Weltbild passen immer nur Dinge, die man auch versteht. Dinge, die man nicht versteht hingegen, erzeugen ein unangenehmes Gefühl. Populistische, einfache Lösungen für komplizierte Probleme werden gerade auch wegen der guten Verständlichkeit akzeptiert. Wenn man das versteht, stärkt das unser Selbstwertgefühl. Fake News ziehen ihre Stärke einerseits aus der Selbstbestätigung und andererseits aus der Bequemlichkeit vieler, sich nicht mit komplexen Inhalten auseinandersetzen zu wollen.
Andere Studien sagen, diese Gutgläubigkeit ist Teil des menschlichen Überlebensinstinkts. Es bringt dem Menschen schließlich nichts zu hinterfragen, ob der Säbelzahntiger ihn wirklich angreifen will.
SCHWAB: Hinter solchen Ansätzen steckt der Grundsatz „Better safe than sorry“, also lieber läuft man einmal zu oft weg, als einmal zu wenig. Der Mensch ist nicht das rationale Wesen, für das ihn viele halten. Im Gegenteil: Er musste sich immer auf Fressfeinde und andere Gefahren einstellen. Heute fallen auch angstauslösende Nachrichten und verunsichernde Geschichten in diese Kategorie. Gerade in dem Bereich Angst funktionieren Menschen nicht immer besonders rational. Oft schätzen sie Wahrscheinlichkeiten falsch ein. Es ist statistisch gesehen wahrscheinlicher, vom Auto überfahren als vom Hai gefressen zu werden. Dennoch fürchten sich viele vor Haien. Auch diejenigen, die versuchen mit Fake News gezielt zu manipulieren, wissen aus Erfahrungen um diese Schwäche und nutzen sie. Sie spielen beispielsweise mit Schlagworten wie Lebensgefahr oder Sexualität.
Werden Fake News glaubwürdiger, je öfter man sie liest?
SCHWAB: Über die Zeit entkoppeln wir die Quelle von der Nachricht. Man spricht hier vom sleeper-effect, also vom Schläfer-Effekt. Wenn wir Nachrichten lesen und bemerken, dass die Quelle nicht ganz seriös oder belastbar ist, glauben wir sie zunächst nicht. Einige Wochen später jedoch haben viele Menschen die Quelle vergessen, an die Nachricht jedoch erinnern sie sich – und glauben sie dann auch. Grund ist, dass wir über die Nachricht nachdenken, sie einordnen und sie so in unserem Gedächtnis tiefer einsinkt. Die Quelle hingegen registrieren wir nur auf einer oberflächlichen Ebene, dadurch vergessen wir sie auch gern wieder.
Die Bundestagswahl steht bevor. Werden wir in der nächsten Zeit mit Fake News überflutet?
SCHWAB: Definiert man den Begriff Fake News sehr großzügig als Verzerrungen, als Weglassen oder leichtes Verbiegen der Wirklichkeit, ist davon auszugehen, dass sich solche Dinge im Wahlkampf weiter ausbreiten. Dabei ist es gar nicht immer ein böser Kopf, der manipulative Nachrichten verbreitet, sondern es entstehen vielmehr Stille-Post-Phänomene. So etwas gab es schon immer in Wahlkämpfen, in denen Gruppen um die Hoheit über die Wirklichkeitsdeutung streiten.
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