Mit einem leisen Schmatzen taucht die tennisballgroße Kelle in die blubbernde Mischung aus Fleisch, braunen Kidneybohnen, Mais und Tomaten. Dann wieder ein Schmatzen: Die gefüllte Kelle ergießt ihren zäh fließenden Inhalt auf den weißen Porzellanteller. „Einmal Chili, bitte schön.“ Schwester Helma schiebt die warme Mahlzeit über die schimmernde Edelstahltheke. Raue Hände greifen danach. Die Glasscheibe beschlägt vom dampfenden Essen. Ein leises Murmeln auf der anderen Seite: „Vergelt's Gott.“
Die Gäste der Elisabethstube an der Bibrastraße unweit des Würzburger Kiliansdoms sind keine Freunde der großen Worte, berichtet der Pressedienst des Bischöflichen Ordinariats. In erster Linie wollen sie ihre hungrigen Mägen stillen. An sechs Tagen in der Woche bieten die Erlöserschwestern mit der Elisabethstube eine Anlaufstelle für alle diejenigen, die sich kein warmes Mittagessen leisten können. Es gibt eine Suppe, eine Hauptspeise, Tee oder Kaffee und auf Wunsch eine Brotzeit zum Mitnehmen. Ein Nachweis der Bedürftigkeit ist nicht erforderlich. „Zwischen 60 und 100 Menschen nutzen täglich das Angebot – die einen mehr, die anderen weniger regelmäßig“, sagt Generalassistentin Schwester Herigard Schneider.
Es riecht stark nach gewürztem Fleisch und ein bisschen nach Mottenkugeln und muffiger Kleidung. Vor den Fenstern hängen geblümte Vorhänge. Das Licht ist schummrig, obwohl draußen die Sonne scheint. Die weiß gestrichene Kopfseite des Raums ziert ein schlichtes Holzkreuz. Vier lange hölzerne Esstische füllen den Raum. An jeder Tafel sitzen mehrere Menschen in dicken Wollpullis gebeugt über einen dampfenden Teller. Stahl kratzt auf Porzellan. Leises Klimpern, Gurgeln, Schmatzen. Gesprochen wird wenig. Mal ein Nicken – man kennt sich. „Aber wir sind nicht hier, um Freunde zu finden“, sagt Rudi.
Rudi gehört zu der Gruppe der regelmäßigen Besucher. Die dunklen Augen in seinem wettergegerbten Gesicht blicken aufmerksam. Seine grauen Haare sind kurz und bedecken nur spärlich den Hinterkopf. Rudi ist 70 Jahre alt. Abwesend löffelt er in der Buchstabensuppe auf dem Teller vor ihm. Die Hälfte der klaren Brühe tropft auf dem Weg des Löffels vom Teller zum Mund herunter. „Eigentlich wollte ich nur die Hauptspeise, muss auf meine Figur achten.“ Er sei eitel, sagt er. Aber zu schade, das kostenlose Angebot der Erlöserschwestern anzunehmen, sei er sich nicht. „Ein armer Rentner muss sehen, wo er bleibt.“ Seit fünf Jahren kommt er drei Mal in der Woche in die Bibrastraße. An den übrigen Tagen nutze er andere Suppenküchen, sagt er.
Montags bis samstags jeweils von 10.45 bis 13 Uhr geben Schwester Helma Pangerl und Schwester Reginata Dietrich die warme Mahlzeit aus. Dadurch sind sie zu wichtigen Bezugspersonen für die überwiegend männlichen Gäste geworden. Wer Redebedarf hat, für die haben die Schwestern immer ein offenes Ohr. „Die meisten aber schweigen über ihr Leben und die Beweggründe zu uns zu kommen“, sagt Schwester Herigard. Das sei auch völlig in Ordnung. Viele würden sich schämen, seien scheu und zurückhaltend. Auch Sprachbarrieren würden die Kommunikation erschweren.
Die 74-Jährige Russin kennt das. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Seit 14 Jahren lebt sie nun in Würzburg. Deutsch kann sie nur radebrechend. Gebeugt sitzt sie auf dem schlichten Holzstuhl. Ihr orange gefärbtes kurzes Haar leuchtet in der schummrigen Stube. Mit der Gabel spießt die Vegetarierin mehrere Salatblätter auf. „Schmeckt gut.“ Ein Mittagessen, das sie aus eigener Tasche nicht bezahlen könnte. 150 Euro blieben ihr im Monat, sagt sie. „Ich muss hier hinkommen.“ Aber das Essen sei gut, die Schwestern nett und: „Ich bin katholisch“.
Rudi, Stammgast in der Elisabethstube der Erlöserschwestern
Ohne die Zuwendungen der Würzburger Tafel sowie Spenden von Geschäften und Privatpersonen würden Menschen wie die russische Frau oder der Rentner Rudi mittags nicht satt werden. „Wir bekommen keine öffentlichen Zuschüsse“, sagt Schwester Herigard. Die Erlöserschwestern sind auf das Wohlwollen der Bevölkerung angewiesen. Und die hilft: „In der Adventszeit kommen besonders viele Spenden zusammen.“
Ein Mehr an Gästen sei jetzt in der kalten Jahreszeit dennoch nicht auszumachen. Im September haben an einem Tag 108 Menschen in der Elisabethstube gegessen – Rekord. Ende November schwankten die Besucherzahlen zwischen 91 am Dienstag und 64 am Montag.
Ein Mittvierziger mit brauner Baseballmütze und halblangem Haar darunter schiebt einen leer gegessenen Teller über die Theke. Lediglich einige Kartoffelreste kleben am Rand. „Nachschlag?“ Schwester Helma greift zur Kelle und taucht sie ins Chili. Wieder schmatzt es.