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MARKELSHEIM
„Es scheißt sich keiner mehr um sein Leben“
Feldpost 800 Briefe schickte der Soldat Lang von der Front nach Hause ins Taubertal. Sein Enkel hat die Dokumente nun veröffentlicht.
Erinnerungsstücke: Stifte, Abzeichen und Fotos aus jener Zeit, als der Soldat Valentin Lang aus Markelsheim über 800 Karten, Briefe und Zeichnungen von der Front an seine Familie daheim schickte.
Foto: Angelika Becker | Erinnerungsstücke: Stifte, Abzeichen und Fotos aus jener Zeit, als der Soldat Valentin Lang aus Markelsheim über 800 Karten, Briefe und Zeichnungen von der Front an seine Familie daheim schickte.
Angelika Becker
Angelika Becker-Völker
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:48 Uhr

So haben wir aus nichts den schönsten Christbaum in unserem Bunker im hohen Norden gemacht“, schrieb Valentin Lang aus Markelsheim (Main-Tauber-Kreis) vor 70 Jahren, am 21. Dezember 1943 als Sanitäter der 7. Gebirgsdivision aus Nordfinnland. Ausführlich schilderte er Eltern und Geschwistern, wie die Soldaten den Baum geschmückt haben. „Den Baum haben wir naß gemacht, dann Fußpuder darauf gestreut, daß er weiß ist.“ Wattebäusche, Nussschalen, umwickelt mit Zigarettensilberpapier, gezeichnete Herzen und Tannenzapfen am Baum, Glockengeläut aus dem Radio - „auch bei uns im hohen Norden, an der linken Flanke der Ostfront, ist stille Hl. Weihnachten.“ Heile Welt inmitten des Artilleriefeuers.

Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde der damals 20-jährige Valentin von der Arbeitsstelle als Knecht in Sächsenheim (Lkr. Würzburg) zum Militär einberufen, am 3. Oktober 1940. Noch am selben Tag schickte er die erste Postkarte an die Familie daheim. In den folgenden Jahren schrieb und schrieb er, manchmal mehrmals am Tag. Vielleicht habe er durch regelmäßige Lebenszeichen einfach die Mutter beruhigen wollen, sagt sein Enkel Christian Lang. Oft schrieb Valentin: „Habt keine Angst, wenn ein paar Tage kein Brief ankommen sollte.“

Fast 800 Karten, Briefe, Fotos und Zeichnungen sollten es bis zu Valentins Heimkehr aus französischer Gefangenschaft am 20. April 1948 werden. Christian Lang sichtete sie in den vergangenen Jahren und veröffentlichte jetzt eine kommentierte Auswahl als Buch. Dabei sei es ihm nicht darum gegangen, sich in die Diskussionen der Fachhistoriker einzumischen. „Ich wollte Einblick in das Leben eines einfachen Soldaten geben“, sagt Lang.

Als Junge mochte er es, wenn der Opa die Schachtel mit Fotos öffnete und erzählte. Vom Aufschreiben wollte der Großvater allerdings nichts hören. „Ach, es waren so viele im Krieg. Wen interessiert das“, habe er immer gesagt. Nun hat es der Enkel doch getan. Gelungen ist ihm dabei nicht nur, dem unbekannten Soldaten Lang ein Gesicht zu geben. Die Briefe zeigen auch die Entwicklung eines jungen Mannes, der die erste Zeit nach der Einberufung noch als Abenteuer sieht, bis zum Erwachsenen, der als Krankenträger vor dem belagerten Kiew und in Lappland an vorderster Front Entsetzliches gesehen haben muss. Am 12. Oktober 1940 berichtet er noch stolz von der Fahrausbildung in Erlangen. Am 4. Februar 1945 schreibt er an eine Schwester: „Oft ist man so lebensmüde, aber wir müssen aushalten.“

Wer will, kann noch viel mehr aus den Karten und Briefen herauslesen. So sind sie ein Beispiel für die Kommunikation während der Zensur. Der junge Knecht schrieb anfangs noch naiv alles nieder, was ihm in den Sinn kam, etwa von der Vorbereitung auf den Kriegseinsatz aus Oberthulba am 24. Januar 1941: „Hätte ich meiner Lebtag nicht daran gedacht, daß ich einmal zur Gebirgstruppe (...) komme. Aber nichts weiter sagen. Ist eine ganz neue Zusammensetzung, wie noch keine Division da war. Daher auch geheim.“

Bald begann er allerdings, seiner Familie verschlüsselte Botschaften zu schicken. So im Brief vom 1. Mai 1941: Heimlich teilte er mit, wie der Erste in seiner Kompanie starb: Er hatte sich erhängt. Auch über seine Standorte informiert er verschlüsselt. Manche Briefe schickte er nicht mit der zensierten Feld-, sondern mit der Zivilpost oder er gibt sie Urlaubern mit nach Hause. Und immer wieder ist die Rede davon, dass seine Briefe oder solche von zu Hause nicht ankommen.

„Jetzt sollte ich mal Urlaub haben, aber der Chef lässt oft nicht fahren, denen es zusteht. Ein echter Nazi ist er, hat's goldene Parteiabzeichen.“
Valentin Lang in einem Brief an seine Familie

Manchmal äußerte er sich dann erstaunlich offen über seinen Ärger. Beispielsweise am 5. Januar 1943: „Der arme Landser ist immer der Kleine, muss den Karren aus dem Dreck ziehen.“ Oder am 27. März 1943: „Jetzt sollte ich mal Urlaub haben, aber der Chef lässt oft nicht fahren, denen es zusteht, ein echter Nazi ist er, hat's goldene Parteiabzeichen.“ Und am 8. April 1943: „(...) jedes zweite Wort heißt Arrest und Kriegsgericht. (...) Bald jeden Tag wird ein anderer bestraft, ohne dass man daran denkt. Darf nur ein Loch sein oder ein Knopf fehlen.“

Im Brief von Ostern 1943 schilderte Valentin Lang, wie sich die Offiziere Urlaub genehmigen, den Soldaten aber nicht, wie die Offiziere nächtelang saufen und anderntags die Mannschaft schikanieren. „Es tut so lange gut, bis einer seine Nerven verliert u. haut ein paar über den Haufen, die schuld sind. (...) Es scheißt sich keiner mehr um sein Leben.“

Nach dem ersehnten Urlaub schreibt er im Juli 1943 ein satirisches, fiktives Stückchen über die Heimkehr der vergessenen Lapplandkrieger 1959: Unbeeindruckt von der Zivilisation in den Berliner Straßen bauen sie Bunker. Das einzige deutsche Wort, das sie sprechen, ist „Urlaub“. Sie werden in die Alpen geschickt, wo sie irgendwann wegen Mangels an Tubenkäse und Ölsardinen zugrunde gehen. Der Text zeigt einen Valentin, der sich seine Würde und Unverzagtheit mit Humor erhält. Er spiegelt aber auch die Ängste des Großvaters wider, sagt Christian Lang. Und er erzählt von der Lebensweise der Soldaten im Norden.

Über Einheimische, denen er im Krieg begegnete, schreibt Valentin Lang wenig und wenn, dann meist positiv über Kriegsfeind wie -freund. Wenn Jahrzehnte nach dem Krieg irgendjemand über Ausländer geschimpft habe, habe er immer deren Partei ergriffen, sagt sein Enkel Christian. Zu dem Verhalten der eigenen Kameraden gegenüber der Bevölkerung schreibt er nichts. Auch nicht über die SS-Verbände in unmittelbarer Nähe. „Als mir das auffiel, konnte ich ihn nicht mehr fragen, weil er inzwischen gestorben war“, sagt Christian Lang.

Selten schilderte der Opa in seinen Briefen das Schlimme, das er erlebte, nur wenn es ganz schlimm kam. Da schrieb er von höllischem Artilleriefeuer, Angstschweiß und zitternden Leibern. „So könnte ich manches erzählen“, heißt es im Brief vom 10. August 1941. Aber seine Gefühle äußerte er nicht. „Ich will aber Euch (...) das Herz nicht noch schwerer machen.“ (11. Juli 1943). Er schilderte Beobachtungen: Verbrannte Dörfer, gesprengte Lappenhäuschen, verlassene Ernte, erschlagene Hunde.

Die meisten Briefe drehen sich um Alltägliches. Vielleicht wollte er die Familie beruhigen, vielleicht sich selbst. Vielleicht wollte er in all dem Grauen Normalität erzwingen, damit es auszuhalten war. Er geht regelmäßig zu Gottesdiensten, nimmt Beichte und Kommunion wahr, bastelt aus Flak-Patronen Vasen und Aschenbecher für die Familie daheim. Und er feiert mit den Kameraden Weihnachten mit Wunderkerzen, Engelshaar und „Musik aus der lieben Heimat“.

Christian Lang aus Bad Mergentheim veröffentlichte die Feldpostbriefe seines Opas Valentin Lang aus Markelsheim.
| Christian Lang aus Bad Mergentheim veröffentlichte die Feldpostbriefe seines Opas Valentin Lang aus Markelsheim.
 
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