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„Es gab eine gute Küche“
Fastenzeit: Vor Ostern soll sich der Gläubige aufs Wesentliche besinnen und verzichten, 40 Tage lang. Theologe Guido Fuchs über Fastenrezepte und kulinarische Freuden.
„Klosterküche zur Fastenzeit“: Im Gemälde von Eduard Grützner von 1897 blieb der Herd der Mönche trotz der Fastengebote nicht kalt.BPK PICTURES
Foto: Foto: | „Klosterküche zur Fastenzeit“: Im Gemälde von Eduard Grützner von 1897 blieb der Herd der Mönche trotz der Fastengebote nicht kalt.BPK PICTURES
Das Gespräch führte Alice Natter
 |  aktualisiert: 26.04.2023 17:36 Uhr

Von Aschermittwoch bis Ostern fasten – das hieß früher in der katholischen Kirche: 40 Tage lang kein Fleisch, kein Speck, keine Eier, keine Milch und nur eine volle Mahlzeit täglich. Was und wann man zur Fastenzeit essen und nicht essen durfte, wandelte sich im Laufe der Zeit freilich stark. Und besonders in den Klöstern war man einfallsreich und erfand Speisen, die den Verzicht erträglicher machten. Die Mönche brauten extrastarkes Fastenbier, die Nonnen buken den Teig in reichlich Öl aus und hielten sich mit gesüßtem Kakao bei Kräften. Trotzdem – bis ins vergangene Jahrhundert hinein war die Fastenzeit eine ernste Angelegenheit, sagt der Theologe Guido Fuchs. Laut den Regeln im Kirchenrecht galten alle Werktage von Aschermittwoch bis Karsamstag als Fastentage, dazu kamen noch zehn Abstinenztage, an denen keine Fleischspeisen auf den Tisch kommen durften. Heute ist die Fastenzeit in der katholischen Kirche eine vergleichsweise kommode Angelegenheit – nur noch Aschermittwoch und Karfreitag sind strenge Fastentage.

Frage: Professor Fuchs, heute fasten wir der Gesundheit wegen. Welchen „Sinn“ hatten denn früher die strikten kollektiven Fastenregeln?

Prof. Guido Fuchs: Eine kollektive Regelung schafft einen gemeinsamen Rahmen, der das Fasten besser gelingen lässt. Jeder, der für sich allein fastet, merkt, wie schwer es ist, das durchzuhalten. Die weitgehende Aufgabe dieses allgemein gehaltenen, früher sehr strengen Rahmens hat ja auch wesentlich dazu beigetragen, dass das allgemeine Fasten verloren ging.

Musste man einst nicht einfach fasten, weil am Ende des Winters die Vorratskammer leer war? Und das kirchliche Gebot war dann eben die praktische Begründung?

Fuchs: Nein, das hat damit nichts zu tun. Es gab ja früher nicht nur die Fastenzeit vor Ostern, sondern auch vor Weihnachten und dazu regelmäßige Fastentage: den Mittwoch, Freitag und Samstag und vor besonderen Tagen im Jahr, wie das noch in der Orthodoxie üblich ist. Mit der Vorratssituation hat das nichts zu tun.

Also gut. Fasten nach allen Regeln der Bibel – was würde das wirklich bedeuten?

Fuchs: Schwierige Frage. Vielleicht kann man Maß nehmen an der Bergpredigt Jesu. Dort spricht Jesus auch über das Fasten und empfiehlt, es nicht äußerlich und heuchlerisch zu gestalten (Matthäus 6,16-18). Das Fasten steht hier im Zusammenhang des Almosengebens und des Betens. Almosen, Fasten und Gebet zeigen, dass das Fasten nicht nur den eigenen Körper und Geist betrifft, sondern sinnvollerweise begleitet sein muss von der Beziehung zu Gott im Gebet und zu den anderen Menschen im Wahrnehmen ihrer Not. Fasten im Sinne der Bibel ist daher – ähnlich dem Essen – in ein dreidimensionales Beziehungsgefüge eingebunden: Wer fastet, möchte Veränderung, eine Revision nicht nur seiner selbst, sondern auch in Bezug auf Gott und die Menschen. Daher steht der Ruf zur „révision de vie“, das „Kehret um“, auch am Beginn der christlichen Fastenzeit. Das Fasten ist keine biblische Vorschrift, sondern eine kirchliche Regelung. Gerade weil es nicht biblisch vorgegeben ist, wurde es auch von den Kirchen der Reformation abgelehnt.

Drei Bissen Brot und drei Schluck Bier oder Wasser – wer hält das aus? Sind solche strikten Regeln ein Grund, dass anno 1486 der Papst dann auch Milchprodukte in der Fastenzeit erlaubte?

Fuchs: Woher haben Sie diese Maßeinheiten? Das ist doch allenfalls Gefängniskost . . . Aber stimmt, die Geschichte des Fastens im abendländischen Christentum ist auch eine Geschichte der zunehmenden Erleichterung. Tatsächlich ist das, was sich Mönche und Asketen zumuteten, nicht allen zuträglich und möglich. Die Erleichterungen betrafen die Reduzierung der Fastenzeiten und auch dessen, was nicht gegessen werden durfte. „Butterbriefe“ nannte man die Fastendispense, durch die der Genuss bestimmter Laktizinien – also Milch, Käse, auch Eier – in der Fastenzeit erlaubt wurde.

Ausgerechnet die Klosterküchen waren erfinderisch und versuchten, die verordnete Mäßigung abwechslungsreich zu gestalten.

Fuchs: Nicht „ausgerechnet“. Die Klosterküchen waren ja Orte einer kulinarischen Kultur, aus verschiedenen Gründen: Es gab eine gute Küche, denn man war durch die oft reichen Klosteranlagen auch entsprechend gut mit Nahrungsmitteln versorgt. Gartenbau, Viehzucht und Wälder gehörten zum Kloster. In den Klöstern entstehen die Kochbücher. Klöster dienten auch oft als Stätten für Begegnungen mit hohen Gästen, denen entsprechend etwas vorzusetzen war. In vielen Klöstern war die Tischkultur ausgeprägt, sie förderte auch die feine und üppige Küche – und die abwechslungsreiche in den Fastenzeiten.

Galt da dann das Motto: Hauptsache kein Fleisch?

Fuchs: Der Fleischverzicht ist ursprünglich typisch für monastische Frömmigkeit. Der Verzicht auf Fleisch, die Abstinenz, ist auch Ausdruck des Wunsches nach einem engelgleichen Leben, das frei ist von Leidenschaften der Seele und das bewusst anknüpft an einen paradiesischen Ursprung und die Zeit vor der Sintflut, als die Menschen kein Fleisch aßen, wie es der Kirchenvater Hieronymus beschreibt. Allerdings gab es auch Ausnahmen, was das Fleisch anbelangt, da die mittelalterlichen Kriterien anders waren als heutige Definition. So galt etwa Fisch nicht als Fleisch.

Hat man wirklich gedämpften Biber gegessen?

Fuchs: Tatsächlich hat man über verschiedene Tiere, die mit dem Wasser enger zusammenhängen, diskutiert, darunter auch verschiedene Vogelarten. Leider muss das Biber-Beispiel immer dafür herhalten, wie die Mönche früher doch angeblich geprasst hätten. Kein glückliches Beispiel.

Aber was man sagen kann: Die Fastenregeln mit dem Fleischverzicht haben einige der köstlichsten und süßesten (Mehl-)speisen hervorgebracht.

Fuchs: Um es klar zu sagen: Fasten in der mittelalterlichen Auffassung hat nichts mit dem zu tun, was wir heute als „Fasten“ und Verzicht auf Süßes und so weiter verbinden. „Ich will so bleiben, wie ich bin – Du darfst“ ist genau das Gegenteil. Das gab es in der Art ja auch im Mittelalter nicht. Von daher konnten durchaus süße Speisen auf den Tisch gelangen und trotzdem war damit das Fasten gewährleistet. Die Einschränkung in den Nahrungsmitteln macht auch erfinderisch, wie auch Peter Peter in seiner „Kulturgeschichte der deutschen Küche“ so schön schreibt: „Dabei geht es weniger um bezeugte Nottaufen von Braten zu Karpfen als um einen Speisezettel, der statt riesiger Fleischportionen auf Abwechslung achtet. Denn Bruder Koch kann sich aus dem Garten bedienen und sich aus der Bibliothek exotische Würztipps holen.“

Was hat es mit dem mittelalterlichen Blancmanger, einer populären Fastenspeise aus weißen Zutaten, auf sich?

Fuchs: Es ist eine Mischung aus Mandeln, Mandelmilch, klein gehacktem Hühnerfleisch und anderen, vor allem süßen Zutaten. Mandeln und Mandelmilch waren Ersatz für Eier und Milch, die ja teilweise verboten waren. Im Mittelalter liebte man das Zerkleinern von Speisen – einmal, um sie nach damaliger Anschauung bekömmlicher für den Menschen zu machen, aber sicher auch, weil viele Menschen sehr schlechte Zähne hatten. Dass das Blancmanger sicher süß war, tat dem Fastengedanken – im Gegensatz zu heutigen Vorstellungen – keinen Abbruch.

Wie strikt wurden die Fastenzeiten denn früher wohl eingehalten? Gab es Kontrollen?

Fuchs: Ich glaube, dass man sich schon weitgehend daran gehalten hat. Wie ernsthaft man mit diesem Thema umging, zeigt etwa die Diskussion in einer Zeitung vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wo es um die Frage ging, ob der Fleischextrakt „Maggi“ an Freitagen erlaubt sei. Heute ist das höchstens ein Kulturkuriosum. Es gab, bedingt durch die weitgehende Deckungsgleichheit von Kirche und Gesellschaft zumindest in katholischen Gegenden eine Art Sozialkontrolle. Hübsch beschrieben findet man das übrigens in Leonhard Franks „Räuberbande“, wo gleich am Romananfang eine Szene auf der Würzburger Alten Mainbrücke spielt: Ein Junge schiebt sich gerade eine Leberwurst in den Mund, als er von seinen Kameraden schadenfroh auf den „Fasttag!“ aufmerksam gemacht wird.

Welche Fastenbräuche werden heute noch wirklich gepflegt? Und wo vor allem?

Fuchs: Zu den Fastenbräuchen zählt ja nun nicht nur der Nahrungsverzicht. Im Zusammenhang Gebet und Almosen gibt es besondere Gottesdienste, es gibt das „Almosen“ bei Misereor, es gibt die „Fastenpredigt“, die ja auch zur Umkehr führen will, es gibt Bußgottesdienste, Beichtangebote, gemeindliche „Fastensuppen-Sonntage“. Und natürlich gibt es auch das Fasten, das oft von Einzelnen oder Gruppen sehr ernsthaft eingehalten wird, etwa auch mit regelmäßigen Treffen zum Gebet, zum Gottesdienst, zum Austausch und zum Essen natürlich. Im großen Stil ist das Fasten, wie es früher einmal war, bei uns sicher nicht mehr gegeben. Eher im Gegenteil: Man trinkt am Aschermittwoch ein „Fastenbier“ und macht so richtig einen drauf.

Fastenbräuche gibt es in vielen Religionen – überall mit demselben Sinn?

Fuchs: Das Fasten ist eine uralte religiöse Übung, von daher auch in vielen Religionen als eine wichtige körperlich-geistige Ausdrucksform beheimatet. Allerdings können mit dem Fasten ganz verschiedene Beweggründe verbunden sein. Manche Menschen können nichts essen und trinken, weil ihnen die Trauer buchstäblich die Kehle zuschnürt und erst gar nicht den Gedanken an Essen aufkommen lässt. Mit dem „Trauerfasten“ begann auch die Entwicklung einer christlichen Fastenzeit, ein bis zwei Tage vor Ostern.

Was ist mit dem Fasten als bewusster Verzicht auf die Freuden des Essens und Trinkens?

Fuchs: Sicher, viele fasten, weil sie Buße tun, bewusst verzichten wollen – typisch ist das etwa für das Freitagsfasten in Erinnerung an das Kreuzesopfer Christi, für das „Fastenopfer“. Menschen fasten, weil sie sich innerlich reinigen und entschlacken, von inneren und äußeren Abhängigkeiten befreien wollen. So wie es in einem Gebet der katholischen Kirche heißt: „Durch das Fasten des Leibes hältst du die Sünde nieder, erhebst du den Geist“. Und manche fasten, um damit politisch etwas durchzusetzen – wie Gandhi! – oder aus Solidarität mit den hungernden Menschen neben ihnen. Das kommt beispielsweise im Ramadan des Islams zum Ausdruck.

Und am Ende fasten heute viele doch nur, weil sie Gewicht verlieren wollten . . .

Fuchs: . . . was ja auch nicht schlecht ist: Ambrosius, Bischof der Stadt Mailand im 4. Jahrhundert, hat das Fasten als ein „Heilmittel“ bezeichnet, die Ärzte des Mittelalters sprachen von einem „inneren Arzt“.

Professor Guido Fuchs

Der Liturgiewissenschaftler, Jahrgang 1953, ist seit 1999 außerplanmäßiger Professor an der Universität Würzburg, Herausgeber des Periodikums „Liturgie konkret“ und Verfasser zahlreicher Bücher über gottesdienstliche Riten und deren Alltagskontext. Guido Fuchs leitet das „Institut für Liturgie- und Alltagskultur e. V.“ in Hildesheim und beschäftigt sich insbesondere mit „Kulinaristik und Religion“ – wie im Buch „Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens“, Claudius-Verlag 2010. Zuletzt erschienen: „Gastlichkeit“, Verlag Friedrich Pustet 2012. Infos zum Institut: www.liturgieundalltag.de

Die Maultasche wäre ohne Fastenzeitwomöglich gar nicht erfunden worden. Der Legende nach hatten die Mönchedes schwäbischen Klosters Maulbronnirgendwann im 30-jährigen Kriegzur Fastenzeit ein großes Stück Fleischbekommen. Sie hackten es klein,mischten es mit Kräutern und Spinatund versteckten die Mischungin einem Nudelteig – fertig warendie „Herrgottsbscheißerle“.Foto: THINKSTOCK
| Die Maultasche wäre ohne Fastenzeitwomöglich gar nicht erfunden worden. Der Legende nach hatten die Mönchedes schwäbischen Klosters Maulbronnirgendwann im 30-jährigen Kriegzur Fastenzeit ein großes Stück ...
 
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