Schon von der Mainbrücke bietet sich über dem silbernen Band des Mains eine umfassende Sicht auf die Altstadt Gemündens mit Scherenburg, Ronkarzgarten und Peter- und Paulkirche. Man sieht es der Stadt nicht an, dass sie im Krieg wegen ihrer bedeutenden Bahnverbindungen Ziel schwerer Angriffe war. Am Ende waren annähernd 80 Prozent der Bausubstanz vernichtet – Gemünden war 1945 die am meisten zerbombte Kleinstadt Bayerns.
Das zwei Kilometern entfernte Hofstetten war früher nur mit der Fähre erreichbar. Urkundlich wurde der Ort erstmals 1159 erwähnt, war aber weit vorher besiedelt, das belegen steinzeitliche Funde und Hinweise auf drei keltische Lager- oder „Hofstätten“. Die auf einer kleinen Anhöhe thronende Echterkirche St. Michael ist Mittelpunkt der seit 1400 bestehenden Pfarrei und birgt bemerkenswerte Kunstschätze.
Die stammen teilweise aus der Klosterruine Schönrain, der nächsten Station der Wanderung. Im Außenbereich ziert ein Eckstein mit typischem Hirsauer Schachbrettmuster das Blumenbeet – Schönrain war ein Priorat des Klosters Hirsau im Schwarzwald. Ebenfalls von Schönrain stammt das zu einem Taufstein umgestaltete Säulenkapitell links vom Altar und die den Altarraum beherrschende, der Riemenschneiderschule oder dem Umfeld des Bildhauers zugeschriebene, spätgotische Pieta.
Noch etwas früher datieren Kunsthistoriker die kleinere Darstellung „Anna Selbdritt“ eines unbekannten fränkischen Meisters über dem Chorbogen, die erst vor wenigen Jahren auf dem Dachboden entdeckt und zu neuem Glanz erweckt wurde. Neben dem Kirchhof mit einigen alten Grabsteinen rundet das 1714 errichtete Pfarrhaus den Dorfkern ab.
Eine Wanderstunde später grüßt die Ruine Schönrain. Die zwei hoch aufragenden Giebel mit dem begehbaren Treppenturm sind markante Reste des 1556 vollendeten Schlosses. Es diente Margarete, der Gemahlin des 1559 verstorbenen letzten Grafen von Rieneck, als Witwensitz.
Heute fühlen sich in den durch Eisengitter gesicherten Gewölbekellern seltene Fledermausarten wohl. Weitere Mauerreste im Vorfeld und die am Eingang platzierten mächtigen romanischen Säulenfragmente erinnern an die einstige Bedeutung des Benediktinerklosters mit einer dreischiffigen Basilika auf dem sonnigen Bergsporn über dem Maintal, dessen Ursprung auf eine Schenkung papsttreuer Thüringer Grafen im Investiturstreit um 1080 zurückgeht. Urkundlich wird Schönrain erstmals 1134 erwähnt. Die Benediktiner haben wohl segensreich in den umliegenden Dörfern gewirkt, weil die Brandschatzung und Zerstörung des Klosters im Bauernkrieg 1525 durch auswärtige Bauern erfolgte, dem Bildhäuser Haufen aus der Rhön.
Auf und aus den Resten der Gebäude entstand das Rienecker Renaissance-Schloss. Nach dem Tod Margaretes fiel das Lehen zurück an Würzburg, das Schloss diente später als Amtssitz und zuletzt bis 1818 als Forstamt. Danach verfielen die Bauwerke und die begehrten Mauersteine fanden sich nicht selten in den Häusern und Scheunen der umliegenden Dörfer wieder. Seit einigen Jahren haben sich die „Freunde und Gefährten Schönrains“ der Ruine angenommen und eine übersichtlich gestaltete Informationstafel aufgestellt, die fundiert die bewegte und wegen der Abgeschiedenheit des Ortes lange vergessene Geschichte darlegt.
Durch herrlichen Buchenwald geht es auf alten Wegen nach Massenbuch. Wege, auf denen man stellenweise unter der Humusschicht die uralte Natursteinpflasterung entdecken kann, wechseln mit kurzen Strecken auf ausgebauten Forstwegen. Die Gräben beidseits können sich nach der Schneeschmelze in romantische Wildbachschluchten verwandeln, überall sind moosbewachsene Findlinge auf den Waldboden verstreut.
Nach eineinhalb Kilometern sprudelt links vom Weg das kristallklare Wasser der Klosterquelle aus einem Rohr und speist im weiteren Verlauf ein mit Wasserlinsen begrüntes Biotop. Das kostbare Nass lief früher in einer aus Stein gehauenen und mit Platten abgedeckten Rinne hinunter zum Kloster. Nach einem erfrischenden kühlen Schluck geht es ohne Steigungen weiter durch das „Hoffeld“. Der Name der Waldabteilung, alte Entwässerungsgräben und einzelne, überwucherte Steinhalden lassen erkennen, dass hier in früheren Zeiten Ackerbau betrieben wurde.
Schließlich lichtet sich der Wald und gibt den Blick auf die Felder von Massenbuch frei. An klaren Tagen sind am Horizont der Kreuzberg in der Rhön und im 60 Kilometer entfernten Grafenrheinfeld die Türme des Kernkraftwerks zu sehen. Als Zeichen der Energiewende wachsen ringsum auf den Höhen die Windräder.
Der Spessartweg Nr. 1 biegt noch vor dem Ort nach links hinunter ins Maintal ab. Man sollte es jedoch nicht versäumen einen Abstecher ins Dorf zu machen, das mehrmals für seinen Blumenschmuck höchste Auszeichnungen erhielt. Kunsthistorisch hat das zu den Schönraindörfern zählende Massenbuch ebenfalls ein Kleinod zu bieten. Über dem Eingang der 1702 erbauten Pfarrkirche St. Ägidius befindet sich ein romanisches Tympanon mit dem Relief zweier vom Lebensbaum fressenden Löwen. Nach Expertenmeinung lasse das mit Palmetten-Ornamenten reich verzierte Kunstwerk langobardische Einflüsse erkennen und gehört in dieser Form zu den besonderen Kunstwerken Frankens aus dieser Zeit.
In Gemünden empfängt die Wanderer auf der anderen Mainseite wieder das 1711 als Amtssitz errichtete Huttenschloss. Die Außenanlage ist neu gestaltet, im Schloss präsentiert der rührige Film-Foto-Ton Museumsverein seine umfangreichen Sammlungen und Filme und im Parterre zeigt der Verein Naturpark Spessart in einer Dauerausstellung Fauna und Flora der Heimat. Wer nach den zwölf Kilometern noch eine kleine Anstrengung hinauf zur Scherenburg wagt, wird mit einem Blick ins Maintal und auf die Spessarthöhen belohnt. Von der Burgruine, die einst die Macht der Grafen von Rieneck und der Würzburger Fürstbischöfe sicherte, führt ein Durchgang zu den obersten Terrassen des Ronkarzgartens, eine vom gleichnamigen Stadtapotheker Mitte des 19. Jahrhunderts im oberitalienischen Stil angelegte Anlage mit hohen Sandsteinmauern.
Spätestens jetzt wird es Zeit für die Schlussrast. In den warmen Jahreszeiten verwandelt sich der Marktplatz um den Brunnen in eine Mischung aus Biergarten und Freiluft-Café. Die Wirtshausschilder in der Altstadt – und darüber hinaus – machen Appetit auf bodenständige, gutbürgerliche und auch internationale Spezialitäten. Vielleicht wären als kulinarischer Abschluss Bratwürste vom Wildschwein oder zum frischen Silvaner ein zartes Zanderfilet das Richtige? Solche Köstlichkeiten gibt es im „Koppen“, einem der ältesten Gasthöfe Frankens. Man muss ja nicht gleich in Joachim Ringelnatz' Fußstapfen treten, der während des Ersten Weltkriegs in Gemünden weilte und in seinem Buch „Als Mariner im Krieg“ schrieb: „Ich stieg aufs Geratewohl in Gemünden aus, fand viel Frohsinn, drollige Gassen und Häuser, logierte mich im Hotel Koppen ein und trank der Kellnerin Therese zulieb fünfzehn Schoppen Wein.“