„Es ist zu spät“, kommentiert der Würzburger Historiker Professor Wolfgang Altgeld die Ermittlungen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher, die im KZ Auschwitz-Birkenau als Aufseher gearbeitet haben sollen. Die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen (Ludwigsburg) hat bundesweit 30 Ermittlungsverfahren angeregt. Es könnte sein, dass die Würzburger Staatsanwaltschaft zwei Verfahren aus dem Oberlandesgerichtsbezirk bekommt, sagt Oberstaatsanwalt Dietrich Geuder. Die Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg ist für Ober- und Unterfranken zuständig.
Der Wohnort eines Beschuldigten könne Kriterium sein, welche Behörde tätig wird. Es sei aber auch möglich, dass die Ermittlungen für den Oberlandesgerichtsbezirk in Würzburg konzentriert werden, so Geuder. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt nach epd-Informationen bereits gegen einen Mann aus dem Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim.
Die Strafjustiz als Hüterin gesellschaftlicher Normen stellt nun die Frage nach Schuld und Sühne für weit zurückliegende Taten. „Nach unserem Rechtsverständnis müssen Täter die Möglichkeit zur Reue haben“, sagt Altgeld, Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg. Bei den über 90-Jährigen, die nun im Zentrum der Ermittlungen stehen, sei das jedoch kaum noch gegeben.
Dabei seien viele Fälle schon längst bekannt gewesen. „Doch die Strafjustiz hatte Probleme, das profund anzugehen“, sagt Altgeld. „Die Justiz hatte da nicht immer die nötige Energie.“ Ähnlich sieht das der Würzburger Historiker Roland Flade. In seinem Buch „Die Würzburger Juden“ beschäftigt er sich auch mit der juristischen Vergangenheitsbewältigung. Sein Fazit der NS-Prozesse in Würzburg: Die Richter ließen großzügig Gnade vor Recht ergehen.
Jetzt, knapp 70 Jahre nach dem Krieg, hat die NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg gegen 49 Verdächtige wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vorermittelt. Anlass war die gewandelte Rechtslage. Seit dem Prozess gegen den KZ-Wächter John Demjanjuk 2011 genügt anders als früher jede Tätigkeit in einem KZ für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord.
Ursprünglich umfasste die Liste 6000 Namen, die das hessische Landeskriminalamt in den 1970er Jahren während der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt zusammengestellt hatte, sagt der Chef der Zentralstelle, Kurt Schrimm. Sie lag in Ludwigsburg, bis die Ermittler 2011 die alte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von 1969 für überprüfenswert hielten, derzufolge noch individuelle Tatbeteiligung bewiesen werden musste.
Viele der Verdächtigen kommen aber wohl nicht mehr vor Gericht. Während der Vorermittlungen starben schon neun der Verdächtigen, zehn sind im Ausland. Seit der Übergabe der 30 Namen an die Staatsanwaltschaften gab es mindestens einen weiteren Todesfall, sagt Kurt Schrimm. Und dann sei nicht sicher, ob der Bundesgerichtshof nicht doch noch die konkrete Tat ermittelt haben möchte. Wegen Demjanjuks Tod kam dessen Fall nämlich nicht bis nach Karlsruhe.
Doch eigentlich stehe nicht mehr die Strafe im Vordergrund, sondern die Aufarbeitung, sagt Schrimm. Da sei es gleichgültig, dass Taten lange her und Täter vielleicht mitleiderregende Greise seien. Mit Hunderten Überlebenden sprach er in 30 Jahren. „Wenn Sie die Einlieferungslisten von Auschwitz sehen würden...“, sagt er. „Menschen vom sechs Monate alten Säugling bis zum Greis wurden ohne Mitleid in den Tod geschickt.“
Und das ist auch dem Würzburger Historiker Altgeld wichtig zu betonen: Die Überlebenden sahen die Täter sich durchmogeln, Karrieren machen. „Wir müssen auch deren Gerechtigkeitssinn anerkennen.“
Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
Sieben Ermittler arbeiten in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) in der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Sie forschen nach Taten mit unbekannten Tätern. Schwerpunkte sind Archive in Osteuropa, Süd- und Nordamerika. Die Liste mit den 6000 Namen der Auschwitz-Wächter lag seit den 1970er Jahren im eigenen Archiv. 30 Frauen und Männer fanden die Ermittler vor kurzem noch in der Bundesrepublik. Die 1958 gegründete Zentralstelle kann die Verdächtigen nicht selbst anklagen, sondern überlässt die Hauptermittlungen den zuständigen Staatsanwaltschaften. Die Behörde bearbeitete bisher über 110 000 Fälle.
In Bayern leben derzeit sieben der mutmaßlichen Kriegsverbrecher, in Baden-Württemberg sechs, in Nordrhein-Westfalen vier, in Niedersachsen drei, in Sachsen-Anhalt und Hessen je zwei. Je einen Fall gibt es in Rheinland-Pfalz, Hamburg, Schleswig-Holstein, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Untersuchungen erleichtere in den aktuellen Fällen, dass die Vorgänge im Lager Auschwitz-Birkenau gut dokumentiert seien, sagt der Chef der Zentralstelle, Kurt Schrimm. Es gebe viele Quellen, wie Kommandanten- und Einsatzbefehle und darüber hinaus eine Reihe Gutachten. Text: dpa/bea