Sie steht nur am Rande und ist dennoch alles andere als eine Randnotiz. Wenn am Montag 22 500 Spitzen- und Freizeitsportler den 111. Boston-Marathon laufen, schlägt wieder die Stunde der Kathrine Switzer. So wie jedes Jahr beim ältesten Städte-Marathon der Welt. Kathrine Switzer wird wieder für das US- Fernsehen kommentieren, und sie wird ihre Geschichte erzählen. Die Geschichte vom 19. April 1967, als sie in Boston als erste Frau der Welt offiziell einen Marathon gelaufen ist.
Was heute völlig normal erscheint, ist vor 40 Jahren verboten. Niemand traut dem weiblichen Geschlecht eine derartige Belastung zu. Die 800 Meter sind für Frauen zu dieser Zeit die längste olympische Laufdistanz. „Ich wollte beweisen, dass Frauen durchaus einen Marathon laufen können“, sagt die im bayrischen Amberg geborene Switzer, die sich 1967 als K.V. Switzer für den 71. Boston-Marathon anmeldet. Ihre Initialen stehen für Kathrine Virginia, doch das hinterfragt niemand.
Das Wetter hilft ihr, als sie an der Startlinie steht. Denn es schneit, Und so verbirgt Switzer ihre langen Haare unter einer Wollmütze und ihre weiblichen Rundungen unter einem dicken Trainingsanzug. „Wäre es ein sonniger Tag gewesen, wäre die Sache schon vor dem Start beendet gewesen“, ist sie noch heute überzeugt. Switzer trägt die Nummer 261, die 739 Mitstreiter um sie herum sind Männer. Zwei von ihnen dienen als Geleitschutz – ihr Trainer Arnie Briggs und ihr damaliger Freund Tom Miller, ein Footballspieler, der 115 Kilogramm auf die Waage bringt.
Schon bald muss Miller sein Körpergewicht einsetzen. Denn an der Zwei-Meilen-Marke fliegt der Schwindel auf. Rennleiter Jock Semple, ein strenger und regeltreuer Schotte, entdeckt die Frau im Männerfeld und rastet aus. „Er sprang vom Begleit-Bus, rannte auf mich zu, schimpfte und wollte mir die Startnummer entreißen“, erinnert sich Switzer. Miller checkt den Rennleiter jedoch in bester Football-Manier zur Seite.
Nicht nur er ist Switzers Glück. Die Fotografen auf dem vorbeifahrenden Presse-Bus halten die Szene fest, die sofort um die Welt geht. Trotz der abgewehrten Attacke ist Switzer verunsichert, denkt ans aufhören. „Aber dann habe ich mir gesagt, wenn ich aufgebe, heißt es, Frauen können einfach keinen Marathon laufen. Deshalb musste ich weiterlaufen.“ Nach 4:20 Stunden läuft sie über die Ziellinie. Viele Zuschauer applaudieren begeistert, andere sind empört.
Gespaltene Reaktionen
Auch die Reaktion in der Presse ist gespalten. Die Hälfte der Journalisten sieht die Männerdomäne Marathon bedroht, die andere schreibt voller Bewunderung über die Frau, die als erste mit einer offiziellen Startnummer einen Marathon gelaufen ist. Bereits ein Jahr zuvor übersteht Roberta Gibb die 42,195 Kilometer in Boston und ist sogar fast eine Stunde schneller als Switzer. Gibb läuft jedoch ohne Anmeldung und Nummer, versteckt sich bis zum Start im Gebüsch.
Es dauert bis 1972, ehe Frauen offiziell beim Marathon starten dürfen – wenn auch unter harten Bedingungen. So ist die Qualifikationszeit für Boston denen der Männer gleichgesetzt und mit 3:30 Stunden für viele Frauen lange unerreichbar. 1975 ist die Wolfsburgerin Liane Winter die erste Ausländerin, die den Boston-Marathon gewinnt. In den Jahren 1994 bis 1996 triumphiert die Berlinerin Uta Pippig drei Mal nacheinander.
Am Montag starten rund 13 000 Frauen in Boston, darunter Vorjahressiegerin Rita Jeptoo aus Kenia. Und eine 41-Jährige schreibt sogar Geschichte. US-Astronautin Sunita Williams absolviert den Marathon im Weltall – auf einem Laufband in der Internationalen Raumstation ISS. 40 Jahre nach Kathrine Switzers Lauf.