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WÜRZBURG
Eine Branche im Aufwind: Die Liebe zum Naturstein
In den Steinbrüchen der Region gehen Industrie und Naturschutz Hand in Hand. 200 Firmen sind im Deutschen Natursteinverband mit Sitz in Würzburg vereint. Highlight ist die Messe Stone+tec in Nürnberg inklusive Verleihung des Deutschen Natursteinpreises. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.
Stein nach Maß: Steinmetzmeister Markus Brückner mitten im Kirchheimer Muschelkalk bei der Auswahl des richtigen Steins.
Foto: Thomas Obermeier | Stein nach Maß: Steinmetzmeister Markus Brückner mitten im Kirchheimer Muschelkalk bei der Auswahl des richtigen Steins.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:52 Uhr

Riesige Steinquader krachen auf den Boden, eine Staubwolke geht in die nächste über. Fasziniert schauen die Kinder einer Familie aus Würzburg auf das Geschehen. Sie sind nach Kirchheim im Landkreis Würzburg gekommen, um Steine auszusuchen für eine Natursteinmauer vor ihrem gerade fertiggestellten Einfamilienhaus. „Der Architekt hat uns dazu geraten, und wir finden auch, dass Natursteine am schönsten aussehen“, sagen sie. Bloß über die Größe der von riesigen Maschinen glatt geschnittenen Quader sind sie sich noch nicht einig, über den heimischen grau-melierten Muschelkalkstein schon. „Der passt optimal zum Haus!“

Steine für Haus und Garten vor Ort aussuchen zu können, das fasziniert heute viele Menschen. Die meisten Neubau-Anlagen werden seit Jahren mit Natursteinmauern oder großen Quadern gestaltet. Doch während dieser Trend laut Experten schon wieder rückgängig ist, rücken Fassaden und Innengestaltung mit Naturstein in den Fokus. Ob Bad, Küche oder Fußböden: der Rotstift bei der Planung wird nicht mehr wie noch vor 30 Jahren automatisch beim Material angesetzt.

„Qualität und Design gehen Hand in Hand, darauf legen immer mehr Menschen wert“, bestätigt Reiner Krug, Geschäftsführer des Deutschen Natursteinverbandes mit Sitz in Würzburg und bundesweit zuständig für über 200 Firmen in der Steinindustrie. In Unterfranken gibt es etliche Steinbrüche. Ob Buntsandstein aus dem Spessart, Basalt aus der Rhön oder Muschelkalk aus der Region Würzburg – die Steine sind begehrt. Die günstige Waschbetonplatten-Lösung, früher ein Renner, ist für die meisten Bauherren heute keine Lösung mehr. Vielmehr besteht eine hohe Nachfrage nach Naturstein in all seinen Facetten aus der heimischen Region.

Immer häufiger machen deshalb deutsche Firmen den bislang kaum schlagbaren italienischen Exportfirmen in der Branche Konkurrenz. Von einem richtigen Boom mag Krug dennoch nicht reden, eher von einem Aufwind mit viel Luft nach oben. „Man muss ja bedenken, dass wir jahrzehntelang gegen günstigeres Material wie Beton keine Chance hatten.“ Doch jetzt wiegen die Argumente für den wertvollen Naturstein offenbar zunehmend schwer. „Naturstein ist schadstofffreies Material, das nicht aufwendig oder mit viel Energieverbrauch bearbeitet werden muss. Und es kann problemlos wiederverwendet werden“, so Krug.

Allerdings machen Billigimporte von Natursteinprodukten aus osteuropäischen Ländern und Fernost vielen Firmen zu schaffen. Um sich von der Herstellung künstlich produzierter Steine abzugrenzen, ist vom Europäischen Natursteinverband Euroroc die Einführung eines einheitlichen Natursteinlogos in Europa beschlossen worden. Und um Architekten ins Boot zu holen, lobt der Deutsche Natursteinverband seit vielen Jahren den Deutschen Natursteinpreis aus, eine Auszeichnung, die besonders innovative, qualitätsvolle und nutzerorientierte Baukonzepte in Europa würdigt.

Die Verleihung auf der zweijährlichen Fachmesse Stone+tec in Nürnberg im kommenden Mai gilt als Highlight. 20 000 Besucher, vor allem Steinmetze und Natursteinhändler, werden erwartet, die Messe-Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Im Büro von Geschäftsführer Reiner Krug in Würzburg ist dementsprechend viel los. Doch Krug wirkt gelassen, so als habe ihn der tägliche Umgang mit Steinen und Natur geerdet.

Die Liebe der Unterfranken zum heimischen Naturstein ist nicht neu. Schon die Steine für den Bau der Würzburger Residenz oder der Neubaukirche stammen aus Steinbrüchen im damaligen Stadtgebiet. Mineralogen von der Uni Würzburg und Kunsthistorikerinnen vom Institut von Kunstgeschichte zeigten sich vor einigen Jahren erstaunt darüber, dass es zu damaliger Zeit auch in der Stadt Steinbrüche gab, die Werksteine für den lokalen Gebrauch lieferten.

So stammte das Baumaterial für die Würzburger Residenz unter anderem aus einem Werksandsteinbruch am Würzburger Faulenberg, der 1596 erstmals urkundlich erwähnt wurde und bis ins 20. Jahrhundert in Betrieb war. Die Forscher fanden auch heraus, dass es 1360 einen Steinbruch an der Zeller Steige gegeben hat, belegt wird dies durch eine Urkunde des Klosters Himmelspforten. Auch auf dem Würzburger Steinberg arbeiteten in den Jahren um 1675 etliche Steinbrecher.

Steinbrüchen lastete in jüngster Zeit vorwiegend der Ruf an, sie seien laut und schmutzig – und nach ihrer Ausbeutung klafften unschöne Krater, auch gerne als „offene Wunden“ bezeichnet, mitten in der Landschaft. Reiner Krug winkt ab. Dieses einseitige Bild sei widerlegt. Im Gegenteil.

„Biologen sind begeistert von der Artenvielfalt, die sich gerade in stillgelegten Steinbrüchen entwickelt.“ Tatsächlich arbeiten die Verantwortlichen der Rohstoffindustrie längst Hand in Hand mit Naturschutzverbänden.

Als sei es verabredet, taucht an diesem sonnigen Mittag in einem ehemaligen Steinbruch in der Nähe der Gemeinde Sommerhausen im Landkreis Würzburg eine kleine Kröte hinter einem Steinhaufen auf – fast sieht es so aus, als würde sie die warme Oberfläche küssen.

Im Sommer duftet es hier wie auf einem Wanderweg in Italien. Salbei, Orchideen, Küchenschelle, Arnika, Silberdistel und Katzenpfötchen wachsen neben duftenden Blüten anderer Pflanzen und Kräuter, geben Wildbienen ein Zuhause. Seltene Schmetterlinge und Libellen finden in dem Gemisch aus Felswänden und Feuchtbiotopen in Steinbrüchen ihr Paradies. Uhu, Dohle und Wanderfalke fühlen sich genauso heimisch wie Fledermaus, Grasfrosch oder Gelbbauchunke.

Seit Jahren werden stillgelegte Steinbrüche renaturiert. Aber auch in den Gebieten, in denen der Abbau noch stattfindet, scheinen sich Tiere und Pflanzen in den wärmespeichernden Felshohlräumen wohlzufühlen. Wichtig, so sagt Reiner Krug, sei ein schonender Abbau und das Zusammenwirken von allen Beteiligten. „Der Genehmigung eines Steinbruches gehen etliche Erkundungen, Gutachten und Planungen von Verbänden und Behörden voraus“, erklärt Krug.

Eine Abbaugenehmigung hat häufig über mehrere Jahrzehnte Gültigkeit, eine vorausschauende Planung ist unabdingbar. Es müssen Ausgleichs- und Kompensationskonzepte vorgelegt werden und auch festgelegt werden, wie der Steinbruch nach einer Stilllegung aussehen und gestaltet werden soll. Vieles erledigt die Natur von selbst, doch um eine optimale Renaturierung und den Artenschutz zu gewährleisten, ist ein behutsames Eingreifen unter Federführung von Naturschutzexperten notwendig.

„Genau diese Zusammenarbeit zwischen Industrie und Naturschutzverbänden liegt uns am Herzen“, sagt Reiner Krug. Dass der Einsatz für die Natur vielerorts schon Früchte trägt, zeigt sich beim Wandern durch die Steinbrüche der Region – egal, ob in der Rhön oder südlich von Würzburg.

Stein-Experte: Reiner Krug ist Chef des Deutschen Natursteinverbandes.
Foto: Melanie Jäger | Stein-Experte: Reiner Krug ist Chef des Deutschen Natursteinverbandes.
 
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