An der minen- und stacheldrahtbewehrten Trennlinie des Kalten Krieges ist es an diesem Festtag bitter kalt. Eisig bläst der Wind aus dem Westen. Zwei dick vermummte Gestalten mühen sich, die Grenzlinie zu kennzeichnen. Mit klammen Fingern verbinden sie zwei Baken durch ein schwarz-rot-goldenes Band und eines in thüringischem Rot-Weiß. Das weiß-blaue Band fehlt noch: "Das bringen die Bayern selbst mit."
Wo, wenn nicht an dieser Grenzlinie, sollen die Politiker die Bänder zerschneiden, den Verkehr auf der neuen Magistrale symbolisch freigeben und damit einen wichtigen Schritt tun, damit auch in Nordbayern und Südthüringen "zusammenwächst, was zusammengehört"?
Vor dem großen Schnitt heißt es aber zunächst einmal warten. So schlendern tausende Neugierige unter den wachsamen Blicken zahlloser Polizisten fröstelnd umher, zig Dutzende von Journalisten und Fernsehteams verfluchen die Kälte und suchen nach spannenden Motiven und den besten Positionen für spätere Aufnahmen. Die schreibende Zunft leidet nicht nur unter kalten Fingern, sondern auch, weil die Kugelschreiber eingefroren sind.
Derweil gibt es organisatorische Probleme zu bewältigen. "So etwas hätte es bei uns früher nicht gegeben", schimpft einer über das wilde Parken. Und zwar in einem Dialekt, der belegt, dass das "bei uns" seit 15 Jahren nicht mehr existiert. Aber er setzt sich durch. Selbst Polizeifahrzeuge müssen von da weg, wo der bayerische Ministerpräsident ankommen wird.
Zehn Meter tiefer auf thüringischer Seite, hinter dem überdachten Podest, auf dem die Politiker ihre Eröffnungsreden halten werden, herrscht Hektik. Eine Ansprache hat sich geändert, mit steifen Fingern müssen die Pressesprecher das hinfällig gewordene Manuskript in den Pressenmappen austauschen.
In der nahe gelegenen Verpflegungsstation ist viel tun. Thüringer Bratwürste werden im Akkord gegrillt und für 1,50 Euro an Fröstelnde vergeben. Die Kälte fördert auch den Umsatz am Glühweinstand. Richtig in Hektik geraden die Verkäufer, wenn nach einer kräftigen Windböe auch noch die Deckel der großen Töpfe über den Asphalt kollern.
Dann kommen sie. Umringt von einem Pulk aus Leibwächtern und Kamerateams kämpfen sich zunächst von der Ostseite Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und sein Verkehrsminister Andreas Trautvetter und wenig später Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zum Rednerpodium. Dasselbe Spiel wenig später, als auf bayerischer Seite Edmund Stoiber und Günther Beckstein eintreffen.
Die Politiker geben sich leutselig und genießen das Bad in der (Journalisten-) Menge. Man habe die Fahrt auf der neuen Autobahn genossen. "Früher war die Fahrt nach Mellrichstadt eine halbe Tagesreise. Jetzt habe ich nicht einmal eine Stunde gebraucht", frohlockte Althaus bester Stimmung. Günther Beckstein treibt es derweil die Tränen ins Gesicht. Grund dafür ist einmal mehr der eiskalte Wind.
Entsprechend launig fallen die erfreulich kurzen Ansprachen der fünf Ministerialen aus. Im Mittelpunkt stehen die ehemalige Grenze und der Beitrag der A 71, die Trennlinie zu überwinden. Natürlich wird die wirtschaftliche Bedeutung der Autobahn nicht vergessen, wie auch die technischen Meisterleistungen ihrer Erbauer. Einige giftige Worte finden sich für Autobahngegner, einige Sticheleien zum Brat- und Weißwurst-Streit.
Während die neue Straße noch den kirchlichen Segen erhält, drängen Wachleute in die Menge, bilden ein Spalier, damit die Politiker unbedrängt zum symbolischen Schnitt schreiten können. Den sehen dann höchstens zwei Dutzend Besucher und einige Kameramänner - der Rest friert in dem Gedränge wenigstens nicht so sehr.
Schnell sind die Reste des Bandes verteilt und Interviews über die Beschlüsse des EU-Ministerrats gegeben. Dann steigen Tiefensee und Beckstein in einen Opel Admiral Baujahr 38 mit charmanter Fahrerin, Stoiber in einen schweren BMW. Vorbei an den Resten des vom Sturm zerstörten Festzeltes bewegt sich bald ein langer Konvoi auf der Autobahn Richtung Mellrichstadt. Im warmen Feuerwehrhaus warten Weißwürste und Fleischkäs.
Während sich die letzten Autos noch einreihen, beginnen schon die Aufräumarbeiten. Rednerpodium und Glühweinstand werden abgebaut. Wenige Stunden später soll der Verkehr schon fließen. Dass hier einst eine Grenze war, daran werden lediglich ein Schild "Freistaat Bayern" und ein Wechsel des Reifengeräusches erinnern.