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Ein Garten für Blinde
Ein Garten nur für Schmetterlinge: Die bunten Falter fühlen sich wohl auf der Schmetterlingswiese.                 Fotos: VERA KATZENBERGER
| Ein Garten nur für Schmetterlinge: Die bunten Falter fühlen sich wohl auf der Schmetterlingswiese. Fotos: VERA KATZENBERGER
Von unserer Mitarbeiterin Vera katzenberger
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:18 Uhr

Zwei große Löwen säumen den Eingang zum Schlosspark. Stolz liegen sie im Schatten alter Kastanien und blicken in den Garten des barocken Schlosses in Kleinheubach (Lkr. Miltenberg). Der Landschaftspark der Fürsten zu Löwenstein hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verändert. „Hier ist alles ständig im Wandel“, sagt Alf Dieterle. Der pensionierte Biologielehrer schlendert oft durch den Schlosspark, der sich von Kleinheubach bis weit nach Miltenberg zieht. Entlang des Mainufers führen verschlungene Wege in dem fürstlichen Garten durch schattige Wälder vorbei an einem alten Römerkastell, Baumschulen und einem ganz besonderen Garten: dem Blindengarten.

Seit Jahrhunderten ist das barocke Schloss in Familienbesitz: Die Fürstenfamilie zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg lebt bis heute in dem Gebäude. In seinem Garten ist der Fürst allerdings nur noch selten unterwegs. Am liebsten ziehe er sich in die ruhige Orangerie im Schlossgarten zurück. Dieterle spaziert selbst oft im Schatten der Bäume im Park. „So viel hat sich verändert“, sagt der promovierte Botaniker. Zunächst war das Schloss als Tagungs- und Bildungszentrum genutzt, später an Post und Telekom verpachtet. Mittlerweile gehört das barocke Gebäude einem französischen Unternehmen. Vor ein paar Jahren sei die ganze Gemeinde noch regelmäßig im Hof zusammengekommen, um Konzerten zu lauschen oder gemeinsam auf Weinfesten zu feiern. Das ist lange vorbei. Nur der Park ist noch zugänglich für die Öffentlichkeit.

Mutige spähen trotzdem ins Schloss: Durch die hohen Fenster blickt man in den Marmorsaal mit seinen Spiegeln und Gemälden, in dem sich eine verspielte Treppe in die höheren Stockwerke empor windet. Im rechten Flügel wohnt die fürstliche Familie, die beim Blick aus ihrem Fenster auf das ehemalige Marstallgebäude herabblickt. Heute gärt und reift hier der Wein aus der fränkischen Spitzenlage am Homburger Kallmuth. Auf 15 Hektar pflanzen die adligen Weinbauer ihre Rebsorten an. Mit 80 Prozent stellt das Fürstentum überwiegend Weißwein her.

Auch vor dem Schloss gedeihen einige Reben. Aber im Garten fühlen sich ebenso viele andere Pflanzen heimisch. „Hier gibt es eine einzigartige Vielfalt an alten und seltenen Bäumen“, weiß Dieterle. Eine Schülerin hat Blätter der Pflanzen gesammelt, getrocknet und gepresst und ein Herbarium erstellt. Darunter fächerähnliche Ginkgoblätter, herzförmige Lindenblätter und satt grüne Ahornblätter. Fünfzig Laub- und Nadelbaumarten hat sie so archiviert. Der Garten ist aber nicht nur für Botaniker interessant. Geschichtsfreunde entdecken das alte Kastell am Mainufer.

Entlang des Radweges siedelten hier im zweiten Jahrhundert Römer und trieben regen Handel. Auf dem damligen Schutzgraben sind heute Radler und Wanderer unterwegs. Das Römerkastell ist eines der südlichsten entlang der Mainlinie. Der Main gilt heute als als nasser Limes. Zur Römerzeit war dort eine ganze Kohorte untergebracht – das sind rund 500 Soldaten. Mit Militärbad, umliegenden Lagerdörfern und einem Hafen für die römische Mainflotte . Allerdings ist das Kastell erst spät entdeckt worden. „Vor mehr als 100 Jahren haben Bauerarbeiter beim Bau der Eisenbahnlinie die römischen Ruinen entdeckt“, so Dieterle.

Wesentlich jünger ist der alte Bauerngarten. „Anders als moderne Gärten, die wir als Ruheoase benutzen, war der Bauergarten ausschließlich zur Selbstversorgung gedacht“, weiß Dieterle. Umgeben von einem Holzzaun, pflanzen die Gärtner heute noch Kräuter und Gemüse in den Beeten an. Zwischen Kornblumen und Malven wachsen in den Beeten neben dem Römerkastell heute vor allem Tomaten, Salatköpfe, Kürbisse und Kräuter. Schmetterlinge sitzen auf den strahlend gelben Sonnenblumen und spannen ihre schillernden Flügel aus, um Sonnenstrahlen einzufangen. „Wer einen Bauerngarten anlegen will, sollte auf die sonnige Südseite setzen, denn die meisten typischen Pflanzen für diese Gartenart wie Fenchel stammen ursprünglich aus südlichen Ländern“, so Dieterle. So eine Anlage braucht viel Pflege: Regelmäßig muss die Erde aufgelockert und Unkraut entfernt werden.

Glatt, rau oder stachelig – ein Garten für alle Sinne ist der Blindengarten Sankt Odilia im Schlosspark. In ihm können Sehbehinderte Pflanzen mit ihren Händen erfühlen. Das Grün ist in Hochbeeten so angelegt, dass die Pflanzen auch für Rollstuhlfahrer gut zu ertasten sind. In hölzernen Beeten wachsen Kletterrosen, aber auch viele duftende Kräuter. „Blinde haben oft einen besonders ausgeprägten Tast- und Duftsinn“, erklärt Dieterle. Im Blindengarten erfüllt der süße Duft des Pfeifenstrauchs die warme Sommerluft. Vor allem die Kräuter entfalten ihren Duft aber erst, wenn ihre Blätter gerieben werden: Dann verbreiten Salbei oder Thymian ihr würziges Aroma. Neben jeder Pflanze steckt ein Namensschildchen. In Blindenschrift ordnen die Schilder jedem Geruch und Gefühl auch einen Namen zu. Zwischen den Holzbeeten sind vereinzelt Edelsteine aufgestellt: Mit viel Fingerspitzengefühl ertasten Blinde die schimmernden Heilsteine, darunter Bergkristalle und Achat.

Am Ende des Wanderpfades finden müde Wanderer ein Kneippbecken. Wer will, kann hier seinen Ausflug durch den Schlosspark beenden, die Wanderstiefel ausziehen und seine Beine im eiskalten Wasser des Steintrogs erfrischen.

Mit diesem Beitrag endet unsere Serie „Gärten & Parks“.

Schlosspark Löwenstein

Der Schlosspark umgibt das Schloss Löwenstein der Fürsten zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. Das barocke Gebäude ist heute in Privatbesitz und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der Park ist ganzjährig geöffnet. In dem Landschaftsgarten entlang des Mainufers wachsen auf 16 Hektar viele alte und seltene Bäume. Im Südwesten des Parkes liegen ein Bauerngarten mit Schmetterlingswiese, eine Forstschule und ein Blindengarten, in dem die Vielfalt an Pflanzen auch ertastet, erschnuppert und erfühlt werden kann.

Führungen bietet die Tourist-Info in Miltenberg nach Absprache unter Tel. (0 93 71) 40 41 19. Mehr Informationen gibt es im Internet unter www.lowenstein.de sowie unter www.kleinheubach.de.

ONLINE-TIPP

Alle bisher erschienenen Artikel und weitere Bilder zur Gartenserie finden Sie unter www.mainpost.de/gartenserie

Barocker Prunk: Das Schloss Löwenstein liegt inmitten eines Landschaftsparkes.
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Fühlen statt sehen: der Blindengarten.
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Majestätisch: die adeligen Wappentiere.
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Ein Garten für Blinde
 
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