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Durchdrehen mit Deichkind
Wenn Knicklichter von der Decke des Clubs rieseln. Verkleidete Freaks sich in Hüpfburgen verausgaben. Slogans der Marke „99 Bierkanister“ und „Krawall und Remmidemmi“ ins Mikrofon gepfeffert und von Tausenden Kehlen erwidert werden.
Ganz schön schräg: Die Jungs von Deichkind.
Foto: Universal Music | Ganz schön schräg: Die Jungs von Deichkind.
Das Interview führt Alexander Nickel-Hopfengart
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:41 Uhr

Frage: Ihr habt euren Song „Illegale Fans“ als kostenlosen Download auf eure Homepage gestellt. In dem Lied ruft ihr zum illegalen Herunterladen von Songs auf. Schneidet ihr euch damit nicht ins eigene Fleisch?

Porky: Nein. Mir persönlich ist es scheißegal, ob jemand unsere Musik kauft oder nicht – das Wichtigste ist, dass die Fans unsere neuen Stücke gut finden. Die Kids sind es doch überhaupt nicht mehr gewöhnt für Musik zu zahlen. Im Internet geht es gerade zu wie im Wilden Westen und das finden wir aufregend. Außerdem ist diese Art von Aufmerksamkeit doch super für uns: Deichkind sind in erster Linie ein Live-Act. Als Band haben wir sowieso nicht besonders viele Platten verkauft.

Ein interessanter Standpunkt?

Porky: Ganz im Ernst: Es ist doch Quatsch jetzt reihenweise Kids zu verklagen, weil sie ihre Musik aus dem Internet herunterladen. Bei Deichkind muss sich keiner einkaufen, um ein Fan sein zu dürfen.

Macht es dann überhaupt noch Sinn für euch, Alben aufzunehmen?

Porky: Na klar. Ich muss Alben aufnehmen, weil ich sehr viel kreatives Potenzial in mir spüre. Das muss einfach raus.

Warum seid ihr eigentlich nach eurem zweiten Album vom Hip-Hop ins Elektrogenre gewechselt?

Porky: Wir haben das Ganze gemacht, um die Band mit voller Kraft gegen die Wand zu fahren. Unsere Trotz-Haltung hat dann aber so eine Wucht erzeugt, dass wir geradewegs durch die Wand hindurch gekracht sind.

Nach „Arbeit nervt“ habt ihr mit „Bück dich hoch“ erneut eine Single veröffentlicht, die sich kritisch mit dem Kapitalismus auseinandersetzt. Wie wichtig ist euch der politische Aspekt eurer Musik?

Porky: Uns ist es wichtig, niemandem mit unserer Musik eine bestimmte Meinung aufzudrängen. Deichkind sind ein leeres Haus, in welches sich jeder seine eigenen Möbel hineinstellen kann.

Wenn Deichkind für einen Tag ins Kanzleramt einziehen dürften, was würde geschehen?

Porky: Ich würde rechte Plattformen verbieten und jedem eine Krankenversicherung umsonst zur Verfügung stellen. Außerdem würde ich einigen mächtigen Staaten die Meinung geigen, denen wir aus kapitalistischen Gründen zu gefallen versuchen. Ich bin für Freiheit, Pazifismus und völlige Gewaltlosigkeit.

Was hat es mit eurem Albumtitel „Befehl von ganz unten“ auf sich?

Porky: Der Titel stand schon fest, bevor wir überhaupt einen Song geschrieben hatten. Der Slogan könnte sich sowohl auf die Ereignisse in Ägypten als auch auf die Ausschreitungen in London beziehen. Ich will den Titel aber nicht durch Erklärungen entkräften, sondern so stehen lassen, wie er ist. „Befehl von ganz unten“ ist einfach ein starker Satz.

Er könnte sich auch auf euren im Jahre 2009 verstorbenen Produzenten Sebastian „Sebi“ Hackert beziehen. Ihr habt nach seinem Tod lange überlegt, ob ihr als Band weiter macht?

Porky (unterbricht): . . . das stimmt nicht. Wir haben nur der Öffentlichkeit erzählt, dass wir lange überlegt haben. Für uns war von Anfang an klar, dass wir weitermachen. Unser kreatives Potenzial hat mit der persönlichen Tragödie um Sebi nichts zu tun. Denn das ist es nun mal: eine persönliche Tragödie. Mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen.

Ihr habt in Hamburg und Graz eine „Diskurs-Operette“ namens „Deichkind in Müll“ aufgeführt. Was sagst du im Nachhinein zu der Show?

Porky: Für mich war das eine einmalige Sache. Die ganze Aufführung wurde überschattet von Sebis Tod. Wir waren alle total traurig. Noch dazu waren wir ausgebrannt und brauchten unsere Ruhe. Für mich hat es überhaupt keinen Sinn gemacht, mich auf einer Theaterbühne zu offenbaren. Ich bin Musiker und kein Schauspieler. Und deshalb kann ich verstehen, dass viele Fans von der Show enttäuscht gewesen sind.

Eure Auftritte sind in den letzten Jahren immer verrückter geworden? Kannst du uns schon einen kleinen Vorgeschmack auf die anstehende Tour geben?

Porky: Es wird neue Technologien geben, wie zum Beispiel Säulen, die selbstständig auf der Bühne herumfahren. Überall werden Kameras installiert sein. Die Show wird so verrückt, das kann man nicht beschreiben – das muss man sehen. Deshalb auch noch mal meinen Appell an alle: Wenn ihr nicht genug Geld habt, saugt euch das Album aus dem Netz und kommt lieber zu unserer Show. Bei Deichkind-Konzerten verlieren die Fans gerne mal die Kontrolle.

 
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