
Der Stil der 70er Jahre ist nicht vergessen. Sogar Plateauschuhe sind wieder auf dem Markt, die Muster bei Klamotten können nicht schrill genug sein und auch die Musik feiert eine Renaissance. Doch wie war es damals wirklich? Wir wollen Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit auf eine Zeitreise nehmen, indem wir die Geschichten von damals aufbereiten, Ihnen Politik, Mode, Autos, Fernsehsendungen, Kinofilme, Sportereignisse, Musik, aber auch die dunklen Seiten wie Terror, Rote Armee Fraktion (RAF) und Rezession nahebringen. Erinnern Sie sich und werden Sie selbst aktiv: bei der 70er-Jahre-Party und der Suche nach dem Super-70er-Jahre-Foto.
Welche Spuren hat das Jahrzehnt in Unterfranken hinterlassen? Davon bekommen Sie schon einmal auf diesen Seiten in kurzen Splittern einen ersten Eindruck. Unsere Lokalredaktionen haben noch viel mehr Spannendes, Skurriles und Ungewöhnliches in petto und werden daraus tollen und unterhaltsamen Lesestoff machen.
Sie erinnern sich? Einerseits könnte man das Jahrzehnt der 70er Jahre mit Ölkrise und Terror titeln, andererseits war ein Jahrzehnt selten so farbenfroh und individuell wie die Jahre von 1970 bis 1979. Es wird so richtig grell: In der Einrichtung, der Mode, der Werbung, der Musik, kurzum dem gesamten Lebensstil. Schlaghosen, Plateauschuhe, Hot Pants und die „Matte“ auf dem Kopf sind absoluter Trend. Möbel und Tapeten fallen durch knallige Farben und großflächige Muster auf. Populär wird in den 70er Jahren der Kassettenrekorder, der es ermöglicht, Radiosendungen auf „Compact Cassetten“ zu reproduzieren. Es ist ein teils schräges, aber auch eines von vielen erschütternden Ereignissen geprägtes Jahrzehnt.
Die neue Freiheit wird auch durch die Gesetzgebung unterstützt. Der Eintritt der Volljährigkeit wird vom vollendeten 21. Lebensjahr auf die Vollendung des 18. Lebensjahres am 1. Januar 1975 herabgesetzt. Trotz aller Buntheit bleibt allerdings ein latent ungutes Gefühl aufgrund der Häufung terroristischer Anschläge. Das Olympia-Attentat 1972 bewegt die Welt. Bei Anschlägen auf das Olympia-Dorf in München sterben elf israelische Sportler, ein Polizist und fünf Geiselnehmer.
Die Rote Armee Fraktion (RAF), deren Geburtsstunde 1970 die spektakuläre Befreiung von Andreas Baader aus dem Gefängnis durch Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und anderen ist, erschüttert die Bundesrepublik in ihren Grundfesten. Die besonders brutale Seite des Terrors zeigen die Attentate auf Hanns-Martin-Schleyer, Jürgen Ponto und Siegfried Buback, die Bombenanschläge der Baader-Meinhof-Gruppe und die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut nach Mogadischu.
Gleich zu Beginn des Jahrzehnts wird eine historische Geste weltweit beachtet: Bundeskanzler Willy Brandt sinkt bei seinem Besuch am Denkmal für die Helden des Ghetto-Aufstands in Warschau auf die Knie. Ein Fotomotiv, das zu den bekanntesten der Nachkriegsgeschichte zählt.
Innenpolitisch steht der Anfang des neuen Jahrzehnts im Zeichen des Beginns einer Entspannungs- und Friedenspolitik zwischen der BRD und der DDR. Für seine Friedensbemühungen erhält Bundeskanzler Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. 1974 muss er nach der Guillaume-Affäre zurücktreten und Helmut Schmidt wird sein Nachfolger. Noch ein anderer muss im selben Jahr seinen Hut nehmen: Der Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, dem der Watergate-Skandal zum Verhängnis wird.
Wirtschaftlich gesehen geht es den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland zunächst gar nicht schlecht. Unter der sozial-liberalen Koalition etabliert sich eine Wohlstandsgesellschaft. Lohnanstiege im zweistelligen Bereich sind keine Seltenheit, und manche leben sogar über ihre Verhältnisse. Bis zum Zeitpunkt der ersten Rezession im Herbst 1973 herrscht Vollbeschäftigung. Doch die goldenen Zeiten gehen bald zu Ende.
Es entsteht eine neue Arbeitslosigkeit. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies einen Anstieg von 100 000 Arbeitslosen 1970 über 300 000 im Jahr 1973 bis auf 1,1 Millionen im Jahr 1975. Haben die Menschen auch mehr Geld in der Tasche, kommt es auf der anderen Seite zu Verteuerungen in den Lebenshaltungskosten, besonders für Grundnahrungsmittel wie Brot und Butter.
Wer erinnert sich nicht an den sportlichen Höhepunkt 1974? Zum ersten Mal findet die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land statt. Die Bundesrepublik Deutschland gewinnt das Turnier nach einem 2:1-Sieg über die Niederlande im Finale von München, die DFB-Elf sichert sich zum zweiten Mal nach 1954 den Titel. Sportlich passiert noch eine ganze Menge mehr. Rosi Mittermaier wird bei den 12. Olympischen Winterspielen in Innsbruck 1976 zur „Gold-Rosi“. Sie triumphiert in der Abfahrt und im Slalom, gewinnt Silber im Riesenslalom.
Muhammed Ali (Cassius Clay) steht im „Boxkampf des Jahrhunderts“ 1971 gegen Joe Frazier, unterliegt aber nach Punkten. 1974 holt er sich gegen George Foreman den Titel des Boxweltmeisters im Schwergewicht zurück. Erfolgreichster Sportler der Olympischen Spiele in München 1972 wird der US-Schwimmer Mark Spitz. Er sammelt sieben Goldmedaillen. Ulrike Meyfarth schreibt ebenfalls Geschichte: Sie erkämpft sich, gerade mal 16 Jahre alt, die Goldmedaille im Hochsprung. Niki Lauda gibt 1971 sein Formel-1-Debüt. 1974 wechselt er zu Ferrari und wird ein Jahr später zum ersten Mal Formel-1-Weltmeister. 1976 überlebt Lauda einen schrecklichen Feuerunfall auf dem Nürburgring mit schwersten Verbrennungen. Er kehrt zurück und erringt 1977 ein zweites Mal den Weltmeistertitel.
Einprägsames bietet auch die Werbung. Viele der fröhlichen Spots sind heute noch abrufbar: „Da weiß man, was man hat“ versichert der „Persil“-Mann glaubwürdig wie ein Tagesschausprecher. Sollte auch heute noch Jacobs-Kaffee die bevorzugte Kaffeemarke sein, könnte das an Karin Sommer liegen. Sie rettet jede Situation mit ihrer wunderbaren Krönung von Jacobs Kaffee: „Bei Jacobs kann ich mich auf die Qualität verlassen. Da hat jede Tasse das große Aroma.“
Die erste Ölkrise 1973 beeinflusst entscheidend das Alltagsleben. Sie zieht drastische Anstiege der Benzinpreise und ein Sonntagfahrverbot für vier aufeinanderfolgende Sonntage nach sich. Die Autobauer reagieren mit sparsameren Versionen: die kurzen Kompakten wie VW Polo und VW Golf kommen. Und noch etwas ist neu: „Klick – erst gurten, dann starten“, lautet der Leitsatz, den die gesetzlich eingeführte Gurtpflicht mit sich bringt.
Eine Krise macht sich in den 70er Jahren in der deutschen Filmbranche breit. Der angestiegene TV-Konsum sorgt für immense Einbrüche in den Kinosälen. TV-Serien und Abendshows wie „Raumschiff Enterprise“, „Dalli, Dalli“ oder „Am laufenden Band“, fesseln die Menschen an die Fernsehcouch.
In der Mode heißt die Devise „je greller, desto besser“. Es gibt neben allem, was gefällt, auch große Trends: den Military-Look, dessen Markenzeichen der Parka ist, die Punk-Bewegung und Ende der 70er den sich ausbreitenden Disco-Stil a la John Travolta.
Auch musikalisch findet jeder seine Nische – Rock- und Popmusik sind genauso populär wie deutsche Schlager. Die ZDF Hitparade, die im Januar 1969 erstmals ausgestrahlt wird und bis 2000 im Programm bleibt, erreicht Kultstatus. Ihre Bekanntheit verdankt sie auch Moderator Dieter Thomas Heck, dessen Abspann mit hohem Sprechtempo fast rituellen Charakter besitzt. Ähnlich ist es mit dem Satz „Licht aus! Spot an!“, mit dem Ilja Richter seine Zuschauer zur Musik-Show „Disco“ begrüßt. 133 Mal lässt er im ZDF die bunte Disco-Kugel drehen.
Zu Beginn des Jahrzehnts herrscht in der Musikwelt jedoch erst einmal Trauer über die Auflösung der Beatles. Im Mai 1970 erscheint das letzte Album der Pilzköpfe. Getrauert wird auch um den „King of Rock 'n' Roll“ Elvis Presley. Er stirbt am 16. August 1977 in Memphis an Herzversagen. Einen Siegeszug verzeichnen Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid. Die schwedische Popgruppe ABBA zählt zu den erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte. Der Durchbruch gelingt dem Quartett 1974 mit „Waterloo“ und dem Sieg beim Eurovision Song Contest.
Wer weder Schlager noch Rockmusik mag, flüchtet sich in die Diskotheken und bevölkert die Tanzflächen. Dort sind John Travolta, die Bee Gees, Village People, Boney M. und vor allem die schwarzen Disco-Größen wie Donna Summer, Earth Wind & Fire und Barry White angesagt.
In den 70er Jahren begründen „Der Weiße Hai“ und „Krieg der Sterne“ die Blockbuster-Ära in den Kinos. Die nach einem Spülmittel benannten Pril-Blumen kleben überall, der Kamm schaut aus der Gesäßtasche, das erste Retortenbaby kommt auf die Welt. Computer werden gegen Ende des Jahrzehnts massentauglich: Steve Jobs bringt den ersten Apple-Computer auf den Markt und begründet sein Imperium. Eine andere ganz große Ära geht zu Ende – die des in Deutschland gebauten VW Käfers; 1978 läuft der letzte im VW-Werk Emden vom Band.