
Die vierzig Jahre seit Gründung des Landkreises Main-Spessart sind dem 79-jährigen Gemündener Arzt Dr. Manfred Seltsam sehr präsent. Der Internisten und Hausarzt blickt auf die Veränderungen zurück, die das neuen Landkreisgebilde für die medizinische Versorgung mit sich brachte.
Schon sein Vater, Dr. Philipp Seltsam, sein, sammelte als Heimatforscher zahlreiche Zeitungsausschnitte in einem umfangreichen Archiv. Sie geben Einblick in die Verhandlungen über die Verteilung der Behördenanteile zwischen den vier Städten Karlstadt, Gemünden, Lohr und Marktheidenfeld. Parteipolitische Ränkespiele, Profilierungsbemühungen und Unsicherheit über die weiteren Weichenstellungen bestimmten die Diskussionen während der Gebietsreform.
Nach Meinung Manfred Seltsams habe es schon vor der Gebietsreform keine „Landkreisgrenzen“ gegeben. Während er als Chefarzt damals das Kreiskrankenhaus in Gemünden betreute, habe er sich in seiner Praxis in der Gemündener Bahnhofstraße um Patienten aus dem Lohrer Landkreis (Ruppertshütten,
Langenprozelten und Neuendorf) ebenso gekümmert wie um jene aus dem Kreis Gemünden. Generell seien die hygienischen Zustände und die Lebensweise der Menschen vor einigen Jahrzehnten nicht mehr mit den heutigen zu vergleichen.
„Damals hatte der Doktor rund um die Uhr Dienst, Notfallpläne gab es noch nicht und im Dorf gab es oft nur ein Telefon“, so Seltsam. Es habe weniger Ärzte gegeben, diese allerdings kannten ihre Patienten sehr gut – und das über Generationen. „Es hieß damals ,das ist mein Patient‘“, sagt Seltsam. „Heute spricht man in Kollegenkreisen von ,unseren Patienten.'“ Er könne sich noch gut daran erinnern, als er seine Praxis ein paar Tage geschlossen hatte, anschließend eine Frau zu ihm sagte: „Einmal, wenn man sie braucht, Herr Doktor, sind sie nicht da.“ Zu einem anderen Arzt zu gehen, war nicht üblich.
Hausbesuche seien in den 1970er Jahren noch sehr zeitintensiv gewesen. Der Doktor sei in der Regel nur im Notfall gerufen worden, dementsprechend schwierig sei oft die Behandlung gewesen. Zudem habe die damalige Infrastruktur zu langwierigen Anfahrten geführt. „Generell waren die Lebensumstände rauer, die Menschen durch körperliche Arbeit mehr ausgezehrt und die Lebenserwartung nicht so hoch wie heute“, erklärt Seltsam.
Die Gründungszeit des Landkreises Mittelmain, später Main-Spessart, war die Zeit der Debatten und des Wettbewerbs unter den vier ehemaligen Kreisstädten, auch bei der Frage nach dem Erhalt der vier Kreiskrankenhäuser. Das Gemündener Krankenhaus wurde bis Jahresende 1988 von bis zu vier Ärzten als Belegkrankenhaus geführt. Allerdings war bereits vorher ein kontinuierlicher Rückgang der Belegungsquote zu verzeichnen. Sie sank von über 87 Prozent im Jahr 1978 auf zuletzt 47,5 Prozent.
Bereits 1974, gleich nach der Kreisgründung, entstanden Bestrebungen auf Kreisebene, die beiden künstlichen Nieren, auf die mehrere Dialysepatienten angewiesen waren, aus Gemünden abzuziehen. Manfred Seltsam setzte sich für deren Verbleib ein, blieb aber erfolglos.
Wie aus Seltsams Unterlagen und Presseberichten aus dieser Zeit hervorgeht, schlugen die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Heinz Kaiser und Fritz Cremer 1979 vor, die Krankenhäuser in Gemünden und Karlstadt in Fachkliniken umzuwandeln. Wie bekannt, nahm die Geschichte einen anderen Lauf: Nach der Schließung wurde das Gemündener Haus 1996 im Zuge des dritten Bauabschnitt zur Erweiterung des Kreisseniorenzentrums umgebaut. Der zwölf Jahre währende Ausbau brachte mit dem 2005 fertiggestellten Kreisseniorenzentrum wieder eine zentrale Einrichtung des Landkreises nach Gemünden.