
Die Gesichter in der oberen Reihe des Bildes auf der Leinwand kennt jeder im Saal. Dieter Bohlen, Stefan Raab, Olli Kahn und Lothar Matthäus. Die drunter dagegen kennt keiner. Damit hat Wolfram Weimer, Gründer und Herausgeber des Magazins Cicero und ehemaliger Chefredakteur großer Zeitungen und Magazine, gerechnet. Es sind die aktuellen deutschen Nobelpreisträger. Die zu kennen, ist nicht zeitgemäß oder cool.
Weimer spricht beim Firmenkundenforum der Sparkasse Schweinfurt zum Thema „Die Macht der Medien. Die Berliner Republik und ihre neuen Regeln.“ Und zu diesen Regeln gehört vor allem ein Wandel im Denken, in der Wahrnehmung, wie das kleine Experiment mit den Fotos zeigt.
Noch vor 100 Jahren wären die Wissenschaftler die Helden gewesen. Sie wären anerkannt und erkannt worden. Da hat sich etwas auf den Kopf gestellt, sagt Weimer. Naturwissenschaftlich-technische Intelligenz zählt nicht mehr. Das Sich-Zur-Schau-Stellen ist wichtig. Vor Jahrzehnten wollten die Kinder Arzt oder Forscher werden. Heute sind die Traumberufe Model, Fußballer, Showstar.
Die Welt der Bühne hat die Welt des Labors abgelöst, sagt Weimer. Und die Talkshow ersetzt das Parlament als Ort der Willensbildung. Hier kommt die Macht der Medien ins Spiel. Oder die Macht der Bilder. Politiker präsentieren und positionieren sich über Bilder und Geschichten, man nennt das Storytelling. Nicht über Arbeit, Standpunkte, Prinzipien.
Gesagt wird, was die Meinungsumfragen als geboten erscheinen lassen. Gut aussehen, reden können, im Fernsehen gut rüberkommen: Das ist heute wichtig, um Karriere zu machen. „Die sehen sich alle ähnlich, egal, von welcher Partei sie sind.“ Weimer sieht die Entwicklung zur medial gespielten Politik mit Sorge, aber auch selbstkritisch. Schließlich gehen Medien ja auf das Spiel der Politiker ein. Sie geben ihnen das Forum, machen mit.
Wenn die Kanzlerin auf der Basis von Umfragewerten damit konfrontiert wird, dass sie den Rückhalt bei den Frauen mittleren Alters verloren hat, weil sie zu dominant und männlich aufgetreten ist, zeigt sie sich in der „Welt am Sonntag“ eben als Heimatkanzlerin. Ein idyllisches Bild, durchkomponiert bis ins kleinste Detail: Die Kanzlerin sitzt in weißer Hose auf dem Waldboden am Ufer eines Sees in der Uckermark. Das hilft.
Wolfram Weimer kommentiert den Vorgang ebenso trocken wie all die anderen Absurditäten, der in seinem unterhaltsamen und pointierten Vortrag bloßlegt: „Angela Merkel sitzt im Wald, und plötzlich kommt ein Fotograf vorbei. Nein – das war ein halber Tag Bundeskanzlerinnen-Arbeit.“ Aber es hat sich gelohnt. Die Frauen mittleren Alters haben zurückgefunden zu Angela Merkel.
Die Macht des Bildes zeigt ein weiteres Beispiel: Merkel hat während der Rekonvaleszenz nach ihrem Langlauf-Unfall nur einen einzigen Termin wahrgenommen. Keine internationale Konferenz, keinen globalen Gipfel. Nein, den Besuch der Sternsinger im Kanzleramt. Tapfer steht sie auf Krücken inmitten strahlender Kinder. Weimer: „Sternsinger und Kanzler, das ist das meistgedruckte Foto in den Regionalzeitungen.“
Oder: Ursula von der Leyen. Sie ist durch die Wetten-Dass-Hölle gegangen, hat sich von Hugh Jackman auf Händen tragen lassen – und war auf einmal beliebt. „Das war der wichtigste Auftritt ihres Lebens.“
Weimer hat schöne Beispiele dabei, wie Bilder auch Karrieren zerstörten. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann mit Victory-Handzeichen im Gericht. Oder Klaus Wowereit, der sich zwar erfolgreich als Gute-Laune-Bär Berlin stilisiert hatte, dann aber mit Champagner-Flasche und dem roten Pumps von Sabine Christiansen als Trinkgefäß den Bogen überspannte. „Dieses Bild war mein größter Fehler“, hat Wowereit Weimer einmal gestanden. Glaubwürdigkeit ist eben doch nicht beliebig belastbar.
Weimer erzählt auch über einen, der das Spiel mit den Medien als erster so richtig beherrscht hat: Gerhard Schröder. Als cooler Kanzler des modernen Berlins wollte sich Schröder verewigen. Deswegen hat er sich möglichst immer vor pathetischen Schwarz-Weiß-Bildern von Berlin fotografieren lassen. Fotos, bei denen er neben einem Zwei-Meter-Mann wie Weimer stand, und, nun ja, klein aussah, waren ihm nicht so recht.
Schröder hatte übrigens lange nicht mit Wolfram Weimer gesprochen. Einige Kommentare hatten dem Kanzler nicht gefallen. Aber als 2004 bekannt wurde, dass Weimer ein neues Politikmagazin gründen wollte, da hat er sich plötzlich wieder gemeldet. Ob man mal reden könne, ließ er anfragen.
Überhaupt sind damals viele Spitzenpolitiker bei Weimer vorstellig geworden, als im „Spiegel“ die Kurz-Meldung über die Gründung von „Cicero“ stand. „Eines Abends ist auch mal Rudolf Scharping in die Redaktion getapert. Er wolle mal nach dem Rechten sehen, sagte er.“
Weimer bedauert als politischer Mensch vor allem die Aufwertung der Äußerlichkeiten. Dass die Demoskopie so sehr politisch geworden ist. Er wünscht sich Leute, die für ihre Meinung kämpfen.
Arbeit, Bildung, Ernsthaftigkeit. Für Weimer sollten diese und Tugenden im Vordergrund stehen. „Ein Stück Schweinfurt eben“, sagt er listig mit Blick ins Publikum. Das freut nicht nur Sparkassen-Chef Johannes Rieger. Weimer wünscht sich auch, dass sich das kritische Bürgertum die Republik zurückholt: „Ich glaube an die Kraft des gebildeten Bürgertums.“