Auf dem Tisch der Würzburger Wohnung steht ein Blumenstrauß. Tulpen, Rosen, Chrysanthemen, Ranunkeln, Ginster. Ein floraler Alptraum in Gelb. So was kriegt man, wenn man „Montessori-Kabarett“ macht. In der Montessori-Schule in Augsburg. Für Montessori-Lehrer, -Erzieher, -Eltern. „Vielleicht sollte ich mal kund tun, dass ich mich auch über Alkoholika freue“, sagt Birgit Süß.
Sie kommt gerade aus Augsburg. Hat dort, zusammen mit Kollegin und Freundin Heike Mix, „Wenn nix mehr hilft“ gespielt, ein Programm das auf das Montessori-Klientel zugeschnitten ist. Und sie hat köstlichen Bienenstich mitgebracht. Aus ihrer Lieblingskonditorei Euringer. „Das ist gar nicht vegan“, sagt Veganerin Süß mit vollem Mund, „aber manchmal muss das sein“.
Neben dem Kuchenteller liegt der Flyer für ihr neues Solo-Programm. „Paradies. Und das“ heißt es. Die Musiker Chris Adam und Werner Goldbach haben wieder mitgewirkt. „Wenn ich die nicht hätte“, sagt die Süß, „die Jungs unterstützen mich immer, die produzieren auch meine CD, die im Herbst erscheinen soll“.
Die Hälfte vom „Paradies“ sind Chansons. „In einigen geht es um die Liebe“, sagt Birgit Süß. In anderen um „alte Damen, die mit Trockenhauben fliegen“, „Franken, die sich mal bedanken“, „Kätzchen, die sich im Grünen balgen“. . . Während sie das erzählt, liegt die Süß auf dem Bauch vor dem Sofa und angelt nach Günthers Spielmaus. Günther ist ein schwarzer, gemütlicher Kater. Es gibt auch noch Tilda, eine weiße Katzendame mit riesigen rosa Ohren. Offenbar kann sie lesen. Auf dem Tisch, auf dem sie sich in Szene setzt, steht ein Wasserglas mit ihrem Namen. Das Katzentier trinkt wirklich draus.
Birgit Süß, die inzwischen die Maus gefunden hat, setzt ihre Nerd-Brille auf und liest ein paar der neuen Nummern vor. Sie handeln von den Kindern der 60er Jahre, die „mit Mettwurst und Miracoli“ groß gezogen wurden und das überlebt haben. Davon, dass auf „Beerdigungen so viel geheult wird, weil das Sterben so teuer ist“ und dass es früher „kein Mobbing gab, sondern nur Maulhauing“. Sie werfen die Frage auf, „warum Frauen nach der Menopause nicht tot umfallen“. Dann kommt der Süß wirklich dieser Satz über die ungeschminkten Lippen: „Ich glaube, ich bin milder geworden im Lauf der Jahre.“
Hat die Comediva Angst vor dem Alter? „Naja“, sagt sie und ihr Blick bleibt an der mit einem kleinmädchenrosa Tuch gedimmten Lampe hängen, „als Künstler hast du immer Angst, vor dem was passiert, wenn du nicht mehr singen kannst und die Leute nicht mehr über deine Witze lachen.“ Ihre Horrorvorstellung: „Bei einem TV-Verkaufssender mit einem übergewichtigen Co-Moderator mit gegelten Haaren Nachthemden verkaufen müssen, die wie Kittelschürzen aussehen und Kittelschürzen, die wie Nachthemden aussehen.“ Die Süß hat ihren Fernseher schon lange aus der Wohnung verbannt. Aber für diese Dauerwerbesendungen würde sie ihn glatt wieder aus dem Keller holen.
Künstler-Kollegen mag sie nicht im TV anschauen. „Ich muss meinen eigenen Stiefel machen“, sagt Birgit Süß. Anny Hartmann, politische Kabarettistin und Trägerin des Fränkischen Kabarettpreises, findet sie „klasse“. Das Chanson- und Kabarett-Trio „Malediva“, das 2014 aufgehört hat, auch. An Proll-Komödiantin Cindy aus Marzahn gefällt ihr, dass „sie auf jeden Zuruf eingehen und immer noch einen draufsetzen kann“.
Natürlich reden wir auch über Andreas Kümmert, der, aus welchen Gründen auch immer, Deutschland im Eurovision Song Contest vertreten wollte – und sich dann plötzlich seine Kapuze über den Kopf gezogen hat, damit ihn niemand mehr sieht. „Ach“, sagt die Süß, „den Kümmert kann ich mir nicht auf der Eurovisionsbühne vorstellen. Da müssen bärtige Männer in Abendkleidern auftreten. Gute Sänger gehören da nicht hin.“
Sie selbst hat eine Weile gebraucht, bis sie ihre Bestimmung gefunden hatte. „Mein Vater wollte mich in eine Bank stecken“, sagt sie und in ihrer Stimme schwingt noch heute Empörung mit. Sie hat Kanadistik studiert und Romanistik, Religionswissenschaften, Volkswirtschaftslehre, Musikwissenschaften. Aber, und da legt sie Wert drauf, „alles nur in Ansätzen“. Und sie hat in Punkbands gesungen, Kindertheater gemacht, war als Au-Pair in Frankreich . . . Es hat sich gelohnt. „Ich glaub, ich hab meinen Traumjob gefunden“, sagt Birgit Süß, „es ist toll, wenn man Menschen zum Lachen bringen kann“.
„Reich und berühmt“ muss sie nicht sein. Nicht mal Urlaub macht sie gern. Obwohl. „Ich war mal in New York“, erzählt sie, „die Stadt fand ich so geil, dass ich den Rückflugtermin vergessen hab.“ Als eine Freundin anrief, die sie wieder in Würzburg wähnte, merkte die Süß, dass sie einen Tag zu spät dran war. „Ich musste mir ein One-way-Ticket kaufen“, sagt sie, „das hat mal richtig Geld gekostet“.
Birgit Süß reist nicht gern. „Ich mag es, dichtend und denkend auf dem Sofa zu sitzen“. Und Gitarre zu üben und Klavier. Und Yoga zu machen. Gerade trainiert sie für den Residenzlauf, bei dem sie mit dem Handbike mitmachen wird, einer Art Liegerad. Demnächst will sie „Volkslieder aufpeppen“, „Jazzsongs ins Deutsche übersetzen“ und „ein Theaterstück schreiben über Kiki de Montparnasse“, die französische Boheme-Ikone der 20-er Jahre.
Nachdem sie das alles erzählt hat, schaut die Süß nachdenklich, zupft ein bisschen an dem gelben Montessori-Gebinde herum – und sagt allen Ernstes: „Ich glaube, ich bin ein langweiliger Mensch.“
Vorstellungen: „Paradies. Und das.“ hat an diesem Mittwoch, 18. März, Premiere im Theater am Neunerplatz. Weitere Termine sind dann 19., 20., 21.,26., 27. und 28. März, jeweils um 20 Uhr. Kartenreservierungen unter Tel. (0931) 415 443.