Das waren Zeiten, als René II. als Herzog von Lothringen in Nancy regierte und mit seinem kleinen Heer aus Vasallen und Verbündeten ausgerechnet die Truppen von Karl dem Kühnen von Burgund vernichtend schlug. Es war der Beginn des Jahres 1477 und die Schlacht von Nancy die letzte der Burgunderkriege. Der schillernde Karl der Kühne starb auf der Flucht, besiegt vom militärisch unerfahrenen René II. „Was für eine Sensation: Alle Welt blickte plötzlich auf dieses kleine, abseits gelegene Lothringen und seine Hauptstadt Nancy“, beschreibt Ilse Delcroix, Stadtführerin deutscher Herkunft in Nancy, den so überraschend gekommenen Ruhm für das Herzogtum, das klein war, aber reich und stolz. Das als Konfliktgebiet zwischen zwei großen Mächten lag und doch über 800 Jahre lang unabhängig blieb. „Niemand berührt mich ungestraft“, lautet bis heute die Devise der Stadt, auf die auch die Distel in ihrem Wappen anspielt.
Die lang anhaltende politische Stabilität, gute Abgeschirmtheit durch die Stadtfestung und wirtschaftliche Stärke dank natürlicher Vorkommen von Erz, Silber, Kupfer und Salz verhalfen der ostfranzösischen Stadt im 16. Jahrhundert zu einer Blütezeit, die ihre Spuren bis heute hinterlassen hat. Unter dem Einfluss der während der Renaissance tonangebenden italienischen Architekten entstanden prächtige Bauten wie der ehemalige Herzogspalast, in dem sich heute das lothringische Museum (Musée lorrain) befindet, oder das Stadtpalais wie das Kunstmuseum (Musée des Beaux-Arts).
Beide zeichnen in Dauer- und Sonderausstellungen die glanzvolle Renaissance-Epoche nach, in der Nancy einen beispiellosen politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Aufschwung erlebte: „Es entwickelte sich von einer kleinen mittelalterlichen Stadt zu einer attraktiven Hauptstadt“, erklärt Ilse Delcroix.
Das waren Zeiten – die Stadt von heute versucht, die Zeiten von einst aufleben zu lassen. Unter dem Motto „Renaissance 2013“ verfolgt sie ein fünfjähriges Programm, das die gesamte Region mit einbezieht. Allein in diesem Jahr gibt es mehr als 100 Veranstaltungen von Ausstellungen über themenbezogene Stadtführungen bis hin zu Stadtfesten. Fünf Millionen Euro kostet die Aktion, die sich auch an deutsche Besucher richtet, die neben den Holländern die größte Gruppe der Touristen stellen.
In der Vergangenheit hatte die Stadt bereits einen Jugendstil-Schwerpunkt mit entsprechendem Programm organisiert, galt sie um 1900 doch als Zentrum des „Art nouveau“ mit der von Emile Gallé gegründeten Schule von Nancy. Die 1878 gegründete Glasmanufaktur Daum hat dem Kunstmuseum 600 Objekte als Ausstellungsstücke aus über einem Jahrhundert vom Jugendstil bis hin zu zeitgenössischen Werken zur Verfügung gestellt.
So versucht Nancy vor allem kulturinteressierte Besucher anzuziehen. Die UNESCO nahm das Platz-Ensemble in der Innenstadt 1983 als bedeutendes Beispiel aufgeklärt-absolutistischen Städtebaus in ihre Weltkulturerbe-Liste auf. Auf einer Fläche von 166 Hektar befinden sich rund 4000 geschützte Monumente, deren Renaissance-Merkmale wie Sprossenfenster, Erker oder Säulen seit 30 Jahren dank Restaurierungsarbeiten herausgestellt werden.
Die Epoche, die sich mit „Wiedererwecken“ übersetzen lässt, stand für wissenschaftliche Neugierde und den Bruch mit dem Mittelalter, neue Kunst- und Architekturformen mit besonderer Bewunderung für die klassische Antike, technische Innovation, ein lebendiges künstlerisches und intellektuelles Leben bei Hofe. Und auch für neue Tischsitten mit prächtiger Inszenierung der Mahlzeiten. Mehrere Restaurants in Nancy und Umgebung bieten Renaissance-Menüs an, die in der Speisen- und Zutatenwahl strikt den damaligen Gepflogenheiten folgen. Gewürzt wurde mit Nelke, Safran, Zimt oder Ingwer, Butter und Zucker wurden wichtig für diese kalorienreiche Küche, es gab Schaf und Geflügel, Couscous und Gemüsesorten wie Artischocken oder Spargel, aber keine Kartoffeln oder Tomaten, weder Kaffee noch Schokolade; so strikt nehmen es die teilnehmenden Gaststätten jedoch nicht: Ein Espresso nach dem Essen wird durchaus serviert.
Seine Bedeutung während der Renaissance hebt auch das gut 80 Kilometer westlich von Nancy gelegene Städtchen Bar-le-Duc hervor. Der einstige Sitz des unabhängigen Großherzogs von Bar bewirbt sich als „Stadt der Kunst und Geschichte“ und verfügt neben dem Erbe des Skulpteurs Ligier Richier über ein gut erhaltenes Renaissance-Viertel, die Oberstadt. Hier findet jeden Sommer „RenaissanceS“ statt, eines der größten Straßenkunst-Festivals Frankreichs, mit 150 Aufführungen unter freiem Himmel und einem Budget von 400 000 Euro. Eine Besonderheit gerade in Zeiten der Finanzprobleme auch in Lothringen, das wirtschaftlich an der Desindustrialisierung und dem Niedergang des Abbaus von Steinkohle leidet, erklärt Festival-Leiter Hocine Chabira. „Eine solche Investition in die Kultur gibt es nicht in vielen Städten, es ist eine ganz bewusste Entscheidung.“
Wie Nancy setzt auch Bar-le-Duc nicht auf Massen-, sondern Kulturtourismus. Über das Schloss oder die historische Schule College Gilles-de-Treves im Städtchen selbst gehören dazu auch Besuchsangebote in den zahlreichen Schlössern in der Region. Durch das im 16. Jahrhundert im Renaissance-Stil erbaute Château de la Varenne im nahe gelegenen Haironvillon führt sogar die Besitzerin Maya Duburch-Petin nach Anmeldung persönlich – weil und obwohl sie dort wohnt. Seit 1972 eingestuft als „historisches Monument“, ist es auch ein lebendiges. „In der Bibliothek wird auch wirklich gelesen, in der Küche gegessen“, erklärte die resolute Schlossherrin, die so aus ihrem Zuhause eine Mischung aus der alten Renaissance und der heutigen Zeit macht.
Tipps zum Trip
Informationen allgemein: Atout France – Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt. Internet: www.rendezvousenfrance.com Informationen über die Renaissance-Veranstaltungen von Nancy : www.renaissancenancy2013.com
Kontakt Tourismus-Amt Nancy: www.ot-nancy.fr Auskünfte über Bar-le-Duc: www.tourisme-barleduc.fr Informationen über den Tourismus in der Region des Flusses Maas (Meuse): www.tourisme-meuse.com Nancy liegt in Lothringen, zählt gut 100 000 Einwohner und ist Hauptstadt des ostfranzösischen Départements Meurthe-et-Moselle. Sie verfügt über zahlreiche Universitäten und Hochschuleinrichtungen und gilt deshalb als lebendige Studentenstadt.
Bekannt ist Nancy für ihre Bedeutung für den Jugendstil (Art nouveau), aber auch für die Design-Bewegung Art déco zwischen 1920 und 1940. Auch die Renaissance-Zeit war eine Schlüsselepoche für die erst Anfang des 11. Jahrhunderts entstandene Stadt, die dem kleinen Herzogtum zu einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit verhalf. An sie erinnert Nancy in der fünf Jahre dauernden Aktion „Renaissance Nancy“: Angeboten werden thematische Stadtführungen, Sonderausstellungen und Festivals in Nancy und Orten in der Umgebung, darunter auch die Renaissance-Stadt Bar-le-Duc (zwischen Reims und Nancy gelegen) mit ihrer Unter- und Oberstadt.