Sein Urgroßonkel war russischer Außenminister, sein Vater Botschafter und sein Onkel Otto gehörte zu den ganz Großen der FDP. Alexander Graf Lambsdorff selbst ist derzeit Spitzenkandidat der Liberalen bei der Europawahl. Im Interview erklärt er, welche Chancen die Ukraine-Krise für die EU bietet, wo Brüssel selbstbewusster auftreten könnte und warum die AfD keine Ahnung von Wirtschaftspolitik hat.
Alexander Graf Lambsdorff: Die meisten Menschen haben meinen Onkel in Erinnerung als unbeirrbaren Streiter für die soziale Marktwirtschaft. Das hilft, denn da stehe ich wie die gesamte FDP in seiner Tradition. Für manche bin ich dagegen mit so einem Namen erst einmal verdächtig, ein arroganter Schnösel zu sein. Beim persönlichen Kennenlernen legt sich das dann meist ganz schnell.
Lambsdorff: Vernünftig wäre etwa beim Energiemarkt mehr Europa zu wagen. Bei uns sind die Stromkosten sehr hoch. Das ist eine Belastung für unsere Betriebe und für viele Familien. Wir können im Internet Bücher aus Luxemburg bestellen, im Supermarkt italienischen Schinken kaufen und wir können einen Peugeot oder Fiat fahren. Nur beim Strom funktioniert das nicht. Den können wir nicht aus Finnland oder Polen beziehen, obwohl er dort billiger ist.
Lambsdorff: Die letzten Jahre waren geprägt von sehr heftigen Auseinandersetzungen über die Euro-Stabilisierung und die war sehr kompliziert. Alle anderen großen Themen, wie Energie, Zuwanderung oder Außenpolitik, traten in den Hintergrund. In Deutschland waren viele sauer auf die EU wegen der Euro-Politik, die musste erklärt werden. Was die Kommunikation angeht, kann man den Parteien jedenfalls da keinen Vorwurf machen . . .
Lambsdorff: Ich bin Historiker und von Beruf Diplomat. Mir war das Friedensmotiv der EU immer wichtig. Das Bewusstsein dafür ist bei vielen Menschen aber erst durch die Ukraine-Krise neu geschärft worden. Wir merken auf einmal, wie gut es ist, in der EU nur von Freunden und Partnern umgeben zu sein.
Lambsdorff: Ist Ihnen was aufgefallen? Mittlerweile redet die AfD gar nicht mehr über die Euro-Krise. Sie hat vorgespiegelt, wirtschaftliche Kompetenz zu haben. Jetzt erkennen alle, dass das nicht stimmt. Nach Spanien und Irland hat jetzt auch Portugal den Rettungsschirm verlassen. Die Lage in der Euro-Zone hat sich erheblich beruhigt, auch wenn die Krise noch nicht zu Ende ist. Aber die Euro-Zone aufzulösen, wie das die AfD fordert, das wäre hochgefährlicher Unsinn. Das sagen Ihnen alle, wirklich alle Wirtschaftsverbände. Und man kann als Partei, die etwas von Wirtschaft versteht, auch nicht gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA sein.
Lambsdorff: Wir sind eine liberale Partei, die AfD ist rechtsnational und populistisch. Das sieht man an der Zuwanderungsdebatte, in der übrigens auch Horst Seehofer widerwärtige Bemerkungen gemacht hat. Die AfD hetzt gegen Minderheiten, ihre Jugendorganisation denkt laut über Selbstjustiz nach, also Bestrafung nicht durch Gerichte, sondern durch Schlägertrupps. Und in Ostdeutschland fischt sie bei den Anhängern von NPD und Linkspartei, die sich immer noch als Wendeverlierer sehen.
Lambsdorff: Keine Politik ist um jeden Preis notwendig . . .
Lambsdorff: Es ist erst einmal gut, wenn Bürokratie abgebaut, Zollsätze gesenkt und Standards gegenseitig anerkannt werden. So ein Abkommen würde neue Märkte öffnen und damit in Europa Arbeitsplätze schaffen, gerade in den Krisenländern mit ihrer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Da liegen große Chancen, was auch Unternehmen hier in Franken so sehen. Die FDP will aber keine Absenkung unserer Verbraucherschutz- oder Gesundheitsstandards, also keine Chlorhühnchen oder Hormonfleisch. Aber da können wir selbstbewusst sein: Wenn die USA und die EU Standards vereinbaren – zusammen sind wir die Hälfte der gesamten Weltwirtschaft – werden das die Standards für den Rest der Welt. Das haben wir bei Handys übrigens schon mal vorgemacht: Die ganze Welt telefoniert mit dem GSM-Standard, der in Europa entwickelt wurde.
Lambsdorff: Einiges ist in die richtige Richtung gegangen. Wir haben einen Europäischen Auswärtigen Dienst, Catherine Ashton als Außenbeauftrage macht einen besseren Job, als es vor allem in den ersten Jahren berichtet wurde. Etwa bei den erfolgreichen Verhandlungen mit Iran. In den letzten großen Krisen waren wir allerdings immer uneinig – Libyen, Mali, Syrien. Deshalb bin ich umso glücklicher, dass wir in der Ukraine-Krise eine geschlossene Haltung haben.
Lambsdorff: Deswegen ist auch die amerikanische Linie, Russland zu isolieren, nicht zu Ende gedacht. Wir müssen Russland gegenüber klarmachen, dass wir Verletzungen des Völkerrechts nicht dulden. Aber wir wollen keine Eiszeit. Liberale Entspannungspolitik setzt auf das Gespräch.
Lambsdorff: Weil Europa es wert ist. Alle Demokraten müssen am Sonntag wählen gehen, denn nach dem Wegfall der Drei-Prozent-Hürde reichen 0,8 Prozent für einen Sitz im Europaparlament. Deswegen wittern extremistische Parteien Morgenluft. Es darf aber nicht sein, dass aus Deutschland Neonazis ins Europaparlament geschickt werden.
Alexander Graf Lambsdorff
Der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff trat 1987 in die FDP ein. Zwischen 1995 und 1997 absolvierte der heute 47-Jährige eine Diplomatenausbildung im Auswärtigen Amt. Später war er unter anderem in der Deutschen Botschaft in Washington D.C. tätig. Im Europaparlament sitzt er seit 2004, wo er derzeit stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) ist. Zudem ist er Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Text: ben