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MÜNCHEN
Die Angst vor der Autobahn
Die Angst fährt mit: Manche Menschen fürchten sich vor Autobahnen, Brücken oder Tunneln.
Foto: Imago | Die Angst fährt mit: Manche Menschen fürchten sich vor Autobahnen, Brücken oder Tunneln.
Von Angela Stoll
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:33 Uhr

Wenn Miriam B. eine Autobahnfahrt bevorsteht, fängt ihr Herz wie wild an zu klopfen. „Ich kriege richtig Panik“, erzählt die 45-Jährige. „Wenn ich dann auf die Autobahn fahre, bekomme ich einen Tunnelblick. Ich höre nichts mehr, kann nichts mehr aufnehmen und bin nur noch mit mir beschäftigt.“ Deshalb nimmt sie lieber Umwege in Kauf – auf Landstraßen zu fahren macht ihr nichts aus.

Die Angst vor Autobahnfahrten ist weit verbreitet, sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC. Sie ist eine spezielle Form der Fahrangst (Amaxophobie), von der es viele Spielarten gibt. „Manche Leute haben Angst vor Autobahnen. Andere fürchten sich davor, Brücken zu befahren, und wieder andere, durch Tunnel zu fahren“, sagt er.

Die Betroffenen reagieren mit Herzrasen, kaltem Schweiß und beschleunigter Atmung auf Situationen, die sie als bedrohlich empfinden. Viele fahren dann Umwege.

Die Gründe, warum manche Menschen sich vor Autobahnen fürchten, sind verschieden: „Das Verkehrsumfeld auf Autobahnen unterscheidet sich stark von dem anderer Straßen“, sagt der Verkehrspsychologe Dr. Peter Kiegeland. „Auf Landstraßen und innerorts sind die Geschwindigkeiten deutlich niedriger. Außerdem kann man jederzeit anhalten und umdrehen. Auf der Autobahn besteht dagegen ein Zwang zum Fahren.“

Auch das Einfädeln bereitet vielen Fahrern Probleme: Sie geraten in Stress, weil sie innerhalb von Sekunden entscheiden müssen, wann sie sich einordnen. Miriam B. empfindet das allerdings nicht als schwierig. Sie hat ausschließlich Probleme mit hohen Geschwindigkeiten: „Alles ab Tempo 100 macht mir Angst.“

Rational kann man Autobahn-Phobien nicht erklären. „Die Autobahn ist die sicherste Straßenart, die wir haben“, sagt Ulrich Chiellino. „Landstraßen sind die schlechtere Wahl.“ Etwa 60 Prozent der tödlichen Unfälle ereignen sich auf Landstraßen, auf Autobahnen sind es um die zehn Prozent.

Doch solche Argumente helfen den Betroffenen nicht – für sie sind die Gefühle entscheidend. Das bestätigt die Psychologin und Fahrlehrerin Alexandra Bärike: „Die Angst vor Autobahnen ist etwas sehr Subjektives.“ Bärike ist darauf spezialisiert, Menschen mit Amaxophobie zu helfen. Sie entwickelt für ihre Kunden Programme zur Überwindung ihrer Ängste. Im Kern geht es aber immer um eine „systematische Desensibilisierung“: Die Betroffenen lernen nach und nach, Angst auslösende Situationen zu bewältigen.

Der Fahrstil wird aggressiver

Je nach Ausprägung kann das bedeuten, dass Bärike mit ihren Kunden zunächst eine mehrspurige Bundesstraße befährt, bevor sie sich an ein Autobahnstück wagt. „Bei mir melden sich immer mehr Leute mit Fahrängsten“, sagt sie. „Ich führe das darauf zurück, dass die Verkehrsdichte zunimmt, der Stresslevel insgesamt steigt und der Fahrstil auf Autobahnen immer aggressiver wird.“

Etwa 70 Prozent ihrer Kunden sind Frauen. Ob Fahrängste aber etwas eher Weibliches sind, ist dadurch nicht bewiesen: Möglicherweise, so vermuten Psychologen, gehen Frauen nur offener mit solchen Problemen um. Bärike ist aufgefallen, dass sich kaum Fähranfänger bei ihr melden. „Die meisten meiner Kunden sind zwischen 40 und 55 Jahre alt“, sagt die Psychologin. „Oft ist es so, dass Frauen es erst mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie hinten im Auto ein kleines Kind sitzen haben.“ Bei Männern hat sie die Erfahrung gemacht, dass Ängste entstehen, wenn sie sich beruflich überfordert fühlen.

Manche Menschen wissen genau, woher ihre Angst kommt: Sie haben eine gefährliche Situation erlebt, die sie nicht mehr loslässt. Bei anderen ist die Furcht plötzlich da. So auch bei Miriam B.: Sie erlitt eines Tages eine Panikattacke in einem Einkaufszentrum, ohne zu wissen warum. Danach konnte sie nicht mehr Auto fahren. Nach einer Weile ging es ihr besser – geblieben ist ihr aber die panische Angst vor dem Schnellfahren.

Wenn Ängste so stark sind, sollte man sich psychologische Hilfe holen, sagt der Verkehrspsychologe Kiegeland: „Wenn man ausgeprägte Symptome hat, hört die Selbsttherapie auf.“ Anders ist es, wenn jemand nur ein unangenehmes Gefühl hat, wenn eine Autobahnfahrt bevorsteht. „Dann kann es reichen, wenn man zwei Stunden unter fachkundiger Anleitung fährt.“

 
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