Eine Couch mit Schonbezügen, ein ausladender Lüster, Seidenblumen, Nippes. Über dem Fernseher ein Fischerort mit Olivenbäumen im Goldrahmen. 50 Quadratmeter Griechenland in Würzburg.
Hier lebt Georgios. Seit 1984 ist der Grieche in Deutschland. Kaiserslautern, Wolfsburg, Stuttgart. Nach Würzburg zog er 2001. „Ich bin immer der Arbeit hinterher gereist“, sagt Georgios, der nahe der türkischen Grenze geboren wurde. Und dann, fast ein wenig trotzig: „Wir Griechen sind fleißige Leute.“
Ioanna nickt. Sie ist Georgios einziges Kind, seine Prinzessin. Ihre Mutter starb nach der Geburt. Der Vater brachte das Baby zur Oma nach Griechenland. „Jeden Sommer kam er mit Geschenken“, erzählt Ioanna, „ich war das einzige Mädchen im Dorf, das Barbies hatte“. Als sie sechs war, holte der Vater sie nach Deutschland. „Ich bin kein gebildeter Mann“, sagt Georgios, „Ioanna sollte eine gute deutsche Schule besuchen.“
Heute, mit 25, studiert Ioanna Biologie. Georgios ist stolz auf seine kluge, schöne Tochter. „Wir Griechen sind nicht blöd“, sagt er leise, „auch wenn uns manche Deutsche zu Witzfiguren machen“.
Vater und Tochter wollen ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. „Viele Nachbarn denken, dass wir Russen sind“, sagt Georgios, „mir ist das recht“. Ihm reichen die „dummen Sprüche“ auf der Arbeit. „Die Kollegen tun so, als wären die Milliarden der Deutschen in Griechenland unters Volk geworfen worden.“ Dabei geht es den Griechen schlechter denn je. „Kaum jemand aus unserer Familie hat noch Arbeit“, sagt Ioanna. Zwei Cousins mussten ihr Schuhgeschäft aufgeben, haben ihre Wohnungen verloren. „Sie leben mit ihren Familien in einer Billigpension und essen in der Armenküche.“
Georgios, der als Arbeiter selbst nicht viel verdient, schickt seinem Vater jeden Monat 200 Euro. Zwei Mal innerhalb weniger Monate wurde die Rente des 74-Jährigen gekürzt. „Mein Opa hat Morbus Bechterew, eine chronische rheumatische Erkrankung“, erzählt Ioanna, „seit ein paar Wochen muss er fast alle Arzneien selbst bezahlen“. Der Arzt, in dessen Praxis die Studentin putzt, um ihr Bafög aufzubessern, schenkt ihr manchmal Ärztemuster. Die schickt sie dem Großvater.
Ioannas Augen schwimmen in Tränen, sie wendet sich kurz ab. Dann wirft sie energisch die langen, dunklen Locken über die Schulter. „Aber das interessiert ja niemand“, ruft sie, „hier reden alle nur über die wenigen reichen Griechen, die ihre Millionen ins Ausland bringen. Und über ein paar Tote, für die noch 20 Jahre lang Rente gezahlt wird“.
Ioanna ist enttäuscht von ihren deutschen Kommilitonen. „Die waren in Australien, in den USA und in China. Aber von ihren griechischen Nachbarn, von deren Geschichte und Kultur wissen sie nichts.“ Dann stellt sie eine Frage, die ihr niemand beantwortet. „Warum wundern sich die Deutschen, dass wir ihnen nicht die Füße küssen, wenn sie mal kurz nach Athen kommen, uns Vorschriften machen, unsere Jobs eliminieren und wieder abhauen?“
Georgios legt beruhigend seine schwere Hand auf Ioannas Arm und lächelt verlegen. Fast 30 Jahre in Deutschland haben ihn Zurückhaltung gelehrt. „Wir sind kein Volk von Lügnern und Betrügern“, sagt er, „Griechen arbeiten genau so hart wie andere Europäer und die meisten sind ehrliche Steuerzahler“.
Schuld an der Misere haben für Georgios die griechische Politik, der Filz in den Ämtern, die Korruption. „Hier liegt der Hund begraben“, sagt er in schönstem Deutsch. Den Parteien in seinem Land traut er nicht. Weder den etablierten, noch den extremen. „Wir bräuchten grundlegende Reformen. Aber die sind mit unseren Politikern nicht möglich.“
Zoe Kotitsa sieht das ähnlich. Sie ist promovierte Archäologin, lebt seit 24 Jahren in Würzburg. Dass „die gleichen Leute, die die Krise heraufbeschworen haben, sie meistern werden“, glaubt sie nicht. „Die griechische Presse hat das Volk eingeschüchtert“, sagt sie, „nur deshalb haben die alten Parteien die Mehrheit bekommen“.
Pessimistisch ist auch Niko Nikolaus vom griechischen Restaurant am Hubland. Der Mann aus der Nähe von Thessaloniki ist ein Freund klarer Worte. „Wie soll ich mit dem Wahlausgang zufrieden sein“, ruft er, „ich habe keinen von denen, die zur Wahl standen, gewollt“. Griechische Politiker könnten nicht mit Geld umgehen, schimpft er. „Sie sagen, dass sie eine Straße bauen und lassen sich eine Million Euro von der EU geben. Dann wird die Straße nicht fertig, aber das Geld ist weg.“
Servas Satirios vom Restaurant „Knossos“ hingegen strahlt Zuversicht aus. „Natürlich haben wir in Griechenland die schlimmsten Sparmaßnahmen, die man sich vorstellen kann“, sagt er, „aber wir müssen auf diesem Weg bleiben“.
36 Jahre alt ist Satirios und schon als Säugling nach Deutschland gekommen. Weil die Eltern Schicht arbeiteten, brachten sie ihn zurück zur griechischen Verwandtschaft, holten ihn nach der vierten Klasse wieder zu sich. Ob er irgendwann für immer nach Griechenland gehen wird, weiß er nicht. „Ich bin gerne hier und ich bin gerne dort“, sagt er, „wer meinen Lebensweg gegangen ist, weiß nicht, wohin er gehört“.
Witze über die angebliche Faulheit der Griechen erträgt der Wirt. „Ich erzähle den Leuten, dass ich täglich 16 Stunden arbeite, sieben Tage pro Woche – und dass das auch viele meiner Landsleute tun.“ Geben die Deutschen dann immer noch keine Ruhe, droht Satirios, ihnen „Gift ins Essen zu mischen“ – und lacht dabei sein lautes, ansteckendes Lachen. Das vergeht ihm nur bei übler Hetze und ausländerfeindlichen Sprüchen. „Dann gibt's Hausverbot.“
Thano Dagos hat das griechische Wahlergebnis „primär mit Freude“ aufgenommen. „Es ist gut, dass in Griechenland nicht das passiert ist, was in Deutschland vor 80 Jahren geschah“, sagt er, „dass die Leute aus Verzweiflung extreme politische Parteien gewählt haben“. Der Augenarzt, dessen Eltern aus Serres in der Provinz Makedonien stammen, glaubt an Nea Dimokratia und Pasok, die jetzt eine Koalition bilden. „Das sind nur noch dem Namen nach die alten Parteien“, sagt er, „die haben begriffen, wo es hingeht“. Jetzt dürften nur nicht wieder „die 70-Jährigen mit den alten Einstellungen“ ans Ruder.
Die schmerzhaften Kürzungen seien „eine schnelle Lösung gewesen“, sagt Dagos, „ein erster Schritt“. Jetzt gelte es, die Lasten „intern gerechter zu verteilen“. Und eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen. „Griechenland ist nicht groß, da bringt man schnell Ordnung rein.“
Den Augenarzt würde es nicht stören, wenn Kontrollinstanzen der EU, auch Deutsche, ein Auge auf die Umsetzung der Reformen hätten. „Wenn das Know-how gebraucht wird, warum nicht.“ Schließlich seien Deutsche und Griechen „befreundete Völker“. Und viele junge Griechen mit gutem Bildungsniveau seien „Europäer durch und durch“.
Die EU und Angela Merkel dürften den Griechen aber nicht nur Druck machen, sagt Thano Dagos, sie sollten ihnen auch die Hand reichen. „Wer das Messer an der Kehle hat, braucht Hoffnung.“ Werde demnächst mal jemand, der 80 Millionen Euro Steuern hinterzogen hat, ins Gefängnis gesperrt, schöpfe der Mann auf der Straße, dessen Lohn gekürzt wurde, „auch wieder Mut“.
So unterschiedlich die Würzburger Griechen die Lage in ihrem Land beurteilen, so einig sind sie sich, wenn es um das Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft geht. Keiner freut sich über die Paarung Deutschland-Griechenland, jeder sagt, dass „die bessere Mannschaft“ gewinnen möge – und irgendwie denken alle, dass das nicht die griechische Elf ist. Nur Ioanna ist siegessicher: „Griechenland gewinnt mit 2:1. Wir zeigen den Deutschen, dass wir auch was können.“
Gisela Schmidt
Die Autorin ist Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal nach Griechenland gereist: „Mehr als 2500 Kilometer mit dem legendären Magic Bus nonstop von Köln nach Athen“. Die Fahrt war „sensationell billig“. Dafür fuhr der „altersschwache Reisebus ohne Klimaanlage und mit desolaten Reifen über den berüchtigten Autoput im ehemaligen Jugoslawien“. In Griechenland angekommen, wurde die Redakteurin für die Strapazen der chaotischen Reise belohnt. „Ich habe entdeckt, dass ich hier wirklich zur Ruhe und mit mir ins Reine komme.“ Seitdem befasst sich Gisela Schmidt mit der griechischen Kultur – und reist regelmäßig nach Hellas. Am liebsten auf den Peloponnes. „Die Landschaft ist ursprünglich und überwältigend schön und die Menschen sind auf unaufdringliche Art hilfsbereit und gastfreundlich.“
Was Gisela Schmidt gar nicht gefällt in Griechenland ist der Umgang der Einheimischen mit den Tieren. Deshalb unterstützt sie Kastrationsaktionen für Straßentiere, hilft bei der Vermittlung ehemaliger Streuner an deutsche Familie – und hat selbst zwei vierbeinigen Griechinnen ein neues Zuhause in Würzburg gegeben. FOTO: Inge Bäurle