
Die Stimmung in der deutschen Nationalmannschaft ist sonnig unter dem blauen Himmel Südtirols, doch die Ungewissheit über die Fitness der drei angeschlagenen Führungskräfte Manuel Neuer, Bastian Schweinsteiger und Kapitän Philipp Lahm trübt dennoch die Aussichten. Am Medientag des DFB im Teamhotel inmitten des Passeiertals versuchte das Trio vom FC Bayern zwar die Bedenken hinsichtlich der WM zu zerstreuen, aber eine Prognose über die Rückkehr ins Mannschaftstraining konnte keiner geben.
Auch die Späße von Lukas Podolski, der im Hotelgarten einen Reporter der „Sportbild“ in die Wasserlandschaft schubste, konnten die Probleme im deutschen Kader nicht übertünchen: „Die rechte Schulter braucht im Moment absolute Ruhe“, sagte Torwart Neuer, und fügte scherzhaft an: „Das führt zu neuen Erlebnissen wie Rasieren und Zähne putzen mit links.“ Der Torwart geht davon aus, bei der WM spielen zu können. „Ich bin voll im Zeitplan. Ich denke dennoch, dass man besser kleine Schritte geht. Denn wenn der Körper einen Schmerz signalisiert, heißt das etwas.“ Auch Philipp Lahm muss sich in Geduld üben: „Ich weiß nicht, ob ich hier noch ins Mannschaftstraining einsteigen kann“, so der 30-Jährige, der sich am Sprunggelenk verletzt hat. „Ich kann noch nicht rennen, das dauert noch. Dann muss man sehen, wie ich auf Belastung reagiere.“ Am Sonntag war extra der Münchner Sportarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nach Südtirol gereist, um beide zu behandeln.
Schweinsteiger trainiert wieder
Anders als seine zwei Kollegen absolvierte Bastian Schweinsteiger bereits wieder Laufeinheiten und Übungen mit dem Ball. „Es wird langsam besser“, sagte er über seine Sehnenreizung im Knie. „Stück für Stück kann ich mehr machen, muss aber manchmal auf die Bremse treten. Mein Ziel ist es, im ersten WM-Spiel gegen Portugal topfit zu sein.“ Zuversicht klingt anders, und tatsächlich könnte der Fall des 29-Jährigen der brisanteste werden: Noch zwei Länderspiele stehen an, am 2. Juni gegen Kamerun und am 6. Juni gegen Armenien. Sollte Schweinsteiger nicht spielen können, bliebe die Frage, ob Bundestrainer Joachim Löw das Wagnis eingeht und ihn nach Brasilien mitnimmt.
Wie erwartet fehlte das Bayern-Trio gestern Abend im Trainingsspiel gegen die deutsche U-20-Auswahl, in der mit Niclas Füllkrug und Thomas Pledl auch zwei Spieler des fränkischen Zweitligisten Greuther Fürth standen. Vor 600 Zuschauern in St. Martin, hauptsächlich Sponsoren und Ehrengäste, testete Löw seine fitten Spieler unter gedrosselten Wettbewerbsbedingungen. Zum Einsatz kamen unter anderem Miroslav Klose, Toni Kroos, Mats Hummels und Julian Draxler, im Tor stand zu Beginn Roman Weidenfeller. Das Spiel – nach 80 Minuten siegte Löws Elf mit 7:1 – war eines von dreien gegen die U 20, die während des Trainingslagers stattfinden sollen.
Eine Bewertung der personellen Lage aus Sicht des Bundestrainers gab es am Wochenende nicht. Joachim Löw war nach dem Morgentraining zusammen mit Chefscout Urs Siegenthaler zu einer kleinen Mountainbiketour aufgebrochen, das Reden überließ er seinen Spielern. Die versuchten, die Bedenken zu zerstreuen: „Das ist kein Problem“, sagte Schweinsteiger. „Natürlich braucht man Fitness. Aber viel wichtiger wird in Brasilien sein, wie der Kopf tickt. Ausschlaggebend ist oft der Wille, und in diesem Bereich sind gerade die jetzt angeschlagenen Spieler stark.“ Immerhin gestand der 29-Jährige, „dass es nervt, wenn man nicht mit der Mannschaft trainieren kann“.
Zuversichtlicher Thomas Müller
Von Sorgenfalten wollte Kapitän Philipp Lahm nichts wissen: „Klar wäre es am besten, wenn alle fit wären und zusammen trainieren könnten. Aber egal, wie viele Ausfälle wir haben, wir sind trotzdem noch einer der Favoriten.“ Er habe beim FC Bayern in dieser Saison sehr viele Spiele bestritten, „deswegen mache ich mir über meine Grundfitness und Form keine Sorgen.“ Gewohnt klar äußerte sich Thomas Müller: „Wir fahren nach Brasilien, um den Titel zu holen.“ Beim Lesen der Zeitungen komme ja die Angst auf, „ob wir überhaupt elf Spieler auf den Platz bekommen“. Alles Käse sei das: „Wir werden elf Spieler auf dem Platz haben, die alles für den Bundesadler geben werden.“ Dass ausgerechnet drei Bayernakteure von Verletzungen betroffen sind, „ist ein blöder Zufall“. Blessuren blieben im Fußball nicht aus, „das ist nun mal eine Kontaktsportart“.
Der Münchner fühlt sich richtig wohl, erholte sich am freien Nachmittag am Samstag mit einer Runde Golf – und sah am Abend im Mannschaftskreis das Champions-League-Finale. Von dort übermittelte Sami Khedira nach dem Sieg mit Real Madrid Grüße nach Südtirol: „Ich kann alle beruhigen, dass ich schon auf einem relativ guten Level bin, noch nicht auf hundert Prozent. Aber wir haben noch drei Wochen Zeit bis zum ersten Spiel. Ab Montag, Dienstag wird voll angegriffen.“ Für Bastian Schweinsteiger gilt das noch nicht, und vielleicht ist die Gesamtsituation der Nationalelf dann doch nicht ganz so rosig, wie es scheint: Am Ende des Gesprächs sollte Schweinsteiger folgenden Satz vollenden: „Deutschland wird Weltmeister, weil . . .“ Spontan fiel ihm nichts ein.
ONLINE-TIPP
Unser Reporter Achim Muth berichtet live vom DFB-Trainingslager in Südtirol: wm.mainpost.de