Als Jugendlicher erlebte er den verheerenden Angriff auf Würzburg am 16. März 1945 – und er hat ihn in einem Kunstwerk verarbeitet, das noch heute „brennt“: „Welcoming Shelter“ heißt das 60 Zentimeter hohe Haus aus Edelstahl mit rotem Glas, hinter dem das Licht angeht, wenn man vorbeiläuft. Die Tür mit der Hausnummer 12 steht offen. Ein willkommener Schutz. Das Werk steht im Studio von Ernst Fries im Yarra Valley in Victoria, Australien.
Der Bildhauer hat die offene Tür in der Einfamilienhaussiedlung in der Neubergstraße erlebt. Und hat durch sie überlebt. Denn als die Bomben fielen, rannten die Bedrohten irgendwann aus dem Keller, um nicht begraben zu werden. „Wir haben gespürt, wie es die Erde geschüttelt hat und mussten raus, weil das Haus brannte. Wir sind geflohen, und da hat uns jemand in sein Haus gerufen und gesagt, wir sollen uns unterstellen.“
Fries heutige Heimat, in die er mit seiner Frau Rosmarie 1959 immigrierte, liegt nordöstlich von Melbourne im Süden Australiens. In diesem Sommer hielt er sich in Würzburg auf, einige Monate vor seinem 80. Geburtstag im Dezember. Er besuchte in Würzburg seine Brüder und Freunde. Und sah sich noch einmal in der Umgebung um. Kunstwerke aus seiner Hand, meist aus Edelstahl, Glas und Holz, sind im Kulturspeicher zu finden, im Congress Centrum ein Totem aus Edelstahl und Holz, in Heidingsfeld eher versteckt auf Privatgelände Stahlskulpturen und in Höchberg am Parkhaus an der Musikschule ein Bocksbeutel in einer Form, die ebenso einen Notenschlüssel oder eine Maultrommel darstellen könnte.
Fries ist zwar Australier geworden, hat aber seine Heimat nie vergessen und die Bande zu seiner Familie in Europa erhalten. Für seine Kinder hat er seine Kriegserlebnisse in einem Buch mit dem Titel „Life on the Other Side“ veröffentlicht. Geschrieben hat er es aus der Sicht des Kindes – in englischer Sprache.
Schillerschule Sanderau. Ernst Fries ist neun Jahre und acht Monate alt. August 1944, letzter Schultag, totaler Krieg. Ein Alter, in dem die Jungs noch verspielt waren. Doch wurde ihnen die harte Realität des Zeitgeschehens rasch klar. Sie wussten zum Beispiel, berichtet der 79-Jährige beim Gespräch in Würzburg, „dass im Februar 1944 ins Militär Hospital in Grombühl ein Flieger gestürzt war“. Eine Woche vor diesem letzten Schultag im August trafen Bomben ohne vorherigen Alarm „three blocks of flats in Leistenstraße, just below the castle“. Zerstörte Häuser direkt unterhalb der Festung – auch das mussten die jungen Burschen verarbeiten. Der Neunjährige hatte einen Nachhauseweg über die Neubergstraße in die Max-Dauthendey-Straße 18.
„Ich wollte immer Bildhauer sein“, berichtet Fries, „am liebsten Steinbildhauer für Grabmäler.“ Aber bei der Berufsberatung hieß es, er sei nicht geeignet. Sein Vater war Ingenieur bei den Stadtwerken und verantwortlich für Würzburgs Gas- und Wasserversorgung. Durch die Kontakte mit dem Handwerk konnte er für seien Sohn eine gute Lehrstelle als Spengler und Installateur finden.
Über den Freund eines seiner Brüder kam Fries dann in die Schweiz, wo er in seinem Beruf gutes Geld verdienen konnte. Er bildete sich in der Abendschule fort, wurde Gold- und Silberschmied und setzte schließlich in seinem ersten Beruf eine Ausbildung zum staatlich geprüften Sanitärtechniker obendrauf. Inzwischen hatte er seine Partnerin kennengelernt, die er standesamtlich in Zürich und kirchlich in Würzburg heiratete.
Eigentlich hätte alles so bleiben können – „but we were young and full of adventure“, sagt Fries. Die jungen Leute, voller Abenteuerlust, wanderten per Schiff nach Australien aus.
Seine Karriere als Künstler begann durch einen Kaplan, den er unterwegs auf dem Fährschiff kennenlernte und mit dem er sich anfreundete. Die Kirchen „down under“ seien primitiv und schlecht ausgestattet gewesen, und immer wieder sei er gebeten worden, auszuhelfen. Zunächst aber fand er eine Anstellung bei den Stadtwerken von Melbourne, um Pläne für Hausanschlüsse ans Kanalnetz zu zeichnen. Da gab er sich viel Mühe mit den anderen Gesetzen und ungewohnten Maßeinheiten, erinnert er sich, Maße in Fuß und Inch. Eigentlich sei er zu fleißig gewesen, schmunzelt er.
In seiner Freizeit widmete er sich der Kunst, hauptsächlich kirchlicher Kunst. Die begann mit einfachen Kerzenständern, dann Kelchen und Tabernakeln bis hin zu Stab und Kreuz für den Erzbischof von Melbourne. Es folgten Skulpturen aus der Silberschmiede, Monstranzen aus Silber und Glas. Die früheren Ausstellungen beinhalteten vor allem auch Arbeiten in Silber mit Emaille, später folgten Bronzefiguren und bald immer mehr abstrakte Arbeiten in Stahl, zunehmend im Verbund mit 25-Millimeter-Glas, darunter viele Glasmosaike, mit Beton zu Fenstern verarbeitet.
„Ich entwickelte meine eigene Art von Philosophie über die Dinge“, resümiert er, „indem ich sie auf ein Minimum reduzierte.“ Abstrakte Kunst, „strict and minimalistic“, so lautet sein Credo. Viel hält Fries von der natürlichen Art der Ureinwohner, der Aborigines. So „baut“ er die ur-typischen Bäume des Landes mit Glasmosaiken zu einem Ganzen, konzentriert sich auf das Einfache der Natur. Aber immer, sagt er, seien seine Werke „auf das Gute ausgerichtet, nie auf Zerstörung“.
Ernst Fries war mehrmals Präsident der Bildhauervereinigung von Victoria und lange Jahre „President of the Australian National Committee of International Association of Art (UNESCO)“, in Sachen Kunst international unterwegs und gefragt. So initiierte er 1996 im Waldgebiet Toolangi bei Victoria ein Bildhauertreffen mit jungen Künstlern aus verschiedenen Ecken der Welt, vor allem asiatischen Staaten, mit Aborigines und weißen Künstlern aus Australien.
Fries hat in Unterfranken die drei Bürder Franz, Max und Georg. Selbst ist er Vater von zwei Töchtern und vier Söhnen, von denen Tochter Reggie die Art at Linden Gate Galerie in Victoria betreibt. Auch hier ist seine Kunst zu Hause. Er sagt, er sei mit seiner Schaffenskraft noch lange nicht am Ende. Was er anlässlich seines 80. im Dezember vorhat? Vorwiegend eine Retrospektive. Und er meint: „Das wird wirklich gut!“
Infos über die Werke unter www.ernstfries.com www.artatlindengate.com
Das Buch über die Kriegserlebnisse ist zu lesen unter www.blurb.com/books/1754847-life-on-the-other-side