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WÜRZBURG
Der Verlust der Glaubwürdigkeit
Europas größter Automobilclub ist an einem Tiefpunkt angekommen. Geschäftsführer Karl Obermair tritt die Flucht nach vorne an.
Will aufklären: Karl Obermair, Vorsitzender der ADAC-Geschäftsführung, will externe Prüfer holen. „Wir werden das lückenlos nach innen und nach außen aufarbeiten“, sagt er zum Skandal um den „Gelben Engel“.
Foto: dpa | Will aufklären: Karl Obermair, Vorsitzender der ADAC-Geschäftsführung, will externe Prüfer holen. „Wir werden das lückenlos nach innen und nach außen aufarbeiten“, sagt er zum Skandal um den „Gelben ...
Josef Karg, Lara Meißner
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:56 Uhr

Dorothee Bär aus Ebelsbach, Staatssekretärin beim Bundesverkehrsministerium, scherzt am Montagmorgen noch ironisch auf Twitter: „Warum wird ADAC Ex-Kommunikationschef Ramstetter nicht Barbier – im Frisieren ist er Weltklasse.“ In ihrer Stellungnahme am Nachmittag ist dann deutlich mehr Unmut zu vernehmen. „Alle Fragen – auch rückblickend für die vergangenen Jahre – müssen geklärt werden, um einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit zu verhindern“, so Bär. Die Staatssekretärin fordert den ADAC auf, „jetzt alle Karten offen auf den Tisch zu legen“ und rät zur „größtmöglichen Transparenz“, um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. „Die Vorgänge zeigen, dass großen Verbänden manchmal etwas mehr Bescheidenheit im Auftreten guttäte. Ebenso eine Rückbesinnung zu dem, was die Mitglieder wollen.“

Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD, hält es ebenfalls für gerechtfertigt, dass der ADAC jetzt erst einmal Erklärungen liefern soll: „Jetzt muss sich der ADAC gefallen lassen, dass überall nachgehakt wird.“ Lottsiepen ordnet die Manipulationsaffäre als „Betrug“ ein: „Anzeigenkunden wie die der 'ADAC-Motorwelt' wollen natürlich auch wissen, wie aktiv die Empfänger des Magazins es lesen. Nach oben korrigierte Teilnehmerzahlen bei einer Umfrage sprechen natürlich für mehr interessierte Leser – und sorgen somit unter Umständen für höhere Anzeigeneinnahmen.“ Der VCD kürt jährlich die umweltfreundlichsten Autos. „Anders als der ADAC gibt es bei uns aber keine Wahl, sondern einen reinen Faktenvergleich“, so Lottsiepen. Dafür greift der VCD beim Kraftfahrt-Bundesamt die Emissionsdaten ab und ermittelt damit das umweltschonendste Fahrzeug.

  • Fragen und Antworten rund um den ADAC

Es lief eine Menge falsch beim ADAC in den vergangenen Jahren. Mitarbeiter klagen regelmäßig über den Erfolgsdruck durch ihre Vorgesetzten. Die Zahlen müssten von Jahr zu Jahr besser werden, verlangten diese. Langjährige Dienstleister im Pannendienst werden gekündigt, dafür sollen neue Geschäftsfelder erobert werden.

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Die Stimmung im größten deutschen Verein war dem Vernehmen nach zuletzt „mies“. Über einen dieser Unzufriedenen drang auch die Geschichte von der geschummelten Zahl zum Lieblingsauto der Deutschen über die „Süddeutsche Zeitung“ an die Öffentlichkeit.

Der ADAC reagierte auf die Vorwürfe zunächst wie gewohnt: Sie wurden abgestritten. Erst am Freitag gab Kommunikationschef Michael Ramstetter, der bislang zweitmächtigste Mann des Vereins, in einem Vieraugengespräch mit Geschäftsführer Karl Obermair zu, die Stimmzahlen nur bei der Wahl des VW-Golf „geschönt” zu haben. Statt wie angegeben 34 299 Leser hatten nämlich nur 3409 für den Golf gestimmt. Inzwischen hat Ramstetter seinen Job quittiert („Ich habe Scheiße gebaut und übernehme die Verantwortung“). Aber es stellt sich heraus, dass er auch in den Jahren 2012 und 2013 getrickst hat. Zudem waren die Gesamtzahlen der Einsendungen „frisiert“. Denn das geringe Interesse der Mitglieder an der Wahl sollte nicht öffentlich werden.

Nun trat Geschäftsführer Karl Obermair die Flucht nach vorne an. In einer Pressekonferenz in München nahm er Stellung: „Das ist ein sehr schwieriger Moment für den ADAC.“ Und Obermair entschuldigte sich bei den Medien für seine „überzogenen Aussagen“ vom vergangenen Donnerstag zu den Vorwürfen der „Süddeutschen Zeitung“. Da hatte er nämlich noch gespottet, immerhin seien die vier Buchstaben des ADAC richtig geschrieben gewesen. Diese ganzen Äußerungen seien zu dem Zeitpunkt „in der festen Überzeugung erfolgt, dass sich die Manipulationsvorwürfe als substanzlos erweisen“ würden, heißt es in einer ADAC-Mitteilung. Politikberater Michael Spreng nennt das Krisenmanagement des Vereins katastrophal.

Möglicherweise kommt es aber noch schlimmer und Obermair muss sich in den nächsten Tagen nochmals äußern. Dann nämlich, wenn sich die Hinweise verdichten, dass auch bei anderen Tests die Zahlen gefälscht wurden. In diesem Fall könnte es auch für den Geschäftsführer eng werden.

„Dieser Vorgang tut uns leid, er trifft den ADAC ins Mark, weil wir als eine der vertrauenswürdigsten und seriösesten Organisationen galten, dieser Ruf ist jetzt angeschlagen“, erklärte Obermair. „Wir werden das lückenlos nach innen und nach außen aufarbeiten.“ Auch wolle man externe Prüfer dazu holen. Obermair bat die rund 19 Millionen ADAC-Mitglieder um Entschuldigung. „Wir sind jetzt in der Bringschuld, die Reputation wiederherzustellen.“ Dazu gehöre auch, dass man eine Studie zur Pkw-Maut erneut bei einem Meinungsforschungsinstitut in Auftrag gegeben habe.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen hat beispielsweise gefordert, auch die Auto, Pannen- und Tunnelstatistik müsste man jetzt untersuchen. Dieser Verdacht sitzt. ADAC-Sprecherin Marion-Maxi Hartung betont aber, beim Tunneltest oder auch beim Fährentest habe man sich stets externe Experten geholt, auch die Methodik der Tests sei offengelegt worden. Die Tunneltests gebe es seit 1999, und die Tunnelbetreiber hätten Hinweise auf Mängel dankbar aufgenommen. „Ich glaube, dass die Tunnelsicherheit in Europa sich seitdem extrem verbessert hat“, sagt Hartung. „Da sind wir stolz drauf.“ Dennoch sollen alle Zahlen überprüft werden, auch mit externer Hilfe.

Für Dudenhöffer ist der ADAC mit seiner derzeitigen Struktur gescheitert. Er sprach von Arroganz und Selbstherrlichkeit. Offensichtlich aufgrund des Systems entwickelten sich Dinge, „die sich in Unternehmen nicht entwickeln dürfen“, sagte er.

Geschäftsführer Obermair hat nach eigenen Angaben bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe eine „lückenlose interne Prüfung“ angeordnet und betont, seine Führung sei zu keinem Zeitpunkt „über diese Unregelmäßigkeiten bei der Leserwahl unterrichtet gewesen“. Gestern kündigte er als Konsequenz aus der Panne an: Der Automobilclub wolle seine Strukturen reformieren und für mehr Transparenz sorgen. Weitere personelle Konsequenzen soll es zunächst aber nicht geben.

Fieberhaft sucht man beim ADAC nach den Maulwürfen, die die Interna „verraten“ haben. Die Mitarbeiter wurden bei Androhung der Kündigung dazu verpflichtet, zu den Vorgängen Stillschweigen zu bewahren. Ein ADAC-Mitarbeiter sagte gegenüber dieser Zeitung dennoch: „Die aktuellen Vorwürfe sind nur die Spitze des Eisbergs.“

 
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