Es geschah am 19. Juli 1982 bei den Fecht-Weltmeisterschaften in Rom. Im Viertelfinale der Florett-Teams stand der Mannschafts-Olympiasieger von 1976 dem Russen Wladimir Smirnow gegenüber, dem amtierenden Olympiasieger und Weltmeister: Der Kampf verläuft normal, bis die beiden großen und kräftigen Athleten gleichzeitig eine Attacke starten. Behr trifft Smirnow im oberen Brustbereich, dabei bricht ein Teil seiner Klinge ab. Das Florett in seiner Hand schnellt weiter nach oben durch die Maske des Russen und bohrt sich in dessen Kopf – Smirnow sackt zusammen, neun Tage später ist er tot.
„Es dauert seine Zeit, bis man so etwas verarbeitet hat“, sagt Behr im Rückblick. Dass es ein tragischer Unfall war, an dem ihn keinerlei Schuld traf, musste der inzwischen 52-jährige Tauberbischofsheimer erst begreifen lernen. Weinend und schreiend saß er nach dem Unfall schockiert in der Halle.
„Man denkt, man hätte irgendwas anders machen können“, schildert Behr die Zeit, in der er sich lange mit quälenden Vorwürfen marterte und sich fragte, warum ausgerechnet ihm so etwas passieren musste: „Es hat viele, viele Jahre gedauert, bis ich das überwunden hatte, vergessen kann ich es aber wohl nie.“
Bei der Aufarbeitung habe ihm sein langjähriger Trainer Emil Beck sehr geholfen, genauso wie sein Bruder Jochen, seinerzeit Becks Assistent im Nationalteam. Familie und Freunde stützten Behr nach Kräften, doch der Schmerz saß zunächst zu tief. Für Psychologen oder Mentaltrainer war die Zeit noch nicht reif. „Heute weiß ich: Es war eine unglückliche Situation, die jedem hätte passieren können. So wie einem Autofahrer, dem ein Kind vor den Wagen läuft, ohne dass er noch reagieren kann“, sagt Behr. Eigentliche Ursache war das poröse Gitter von Smirnows Maske. Vom heutigen Sicherheitsstandard war man Anfang der Achtziger Jahre weit entfernt.
„So etwas könnte jetzt nicht mehr passieren. Leider hat es nach dem Unfall noch fünf Jahre gedauert, bis man deutlich mehr für den Schutz der Fechter getan hat“, blickt Behr zurück. Ihm sei das Schicksal zugefallen, auf eine besonders schmerzvolle Weise den Anstoß dazu gegeben zu haben.
„Man denkt, man hätte irgendwas anders machen können“
Matthias Behr
Lange stellte sich für ihn die Frage, ob er Kindern und Jugendlichen das Fechten weiter vermitteln könnte: „Hätte man nicht die Sicherheitsstandards erhöht, hätte ich das nicht tun können.“ Inzwischen leitet er seit vielen Jahren das Internat am Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim. Sohn Dominik gehört zum Florett-Nationalteam und wurde kürzlich in Gent Mannschafts-Europameister.
Der 19. Juli 1982, sagt Behr, „war einer der Tage, die mich maßgeblich geprägt haben“ – und noch immer gebe es Momente, „in denen alles wieder aufflackert“. Manchmal, wenn Besuchergruppen zum Olympiastützpunkt kommen und ihn fragen, ob es nicht mal einen Fechter gegeben habe, der einen anderen tödlich verletzt hat, dann sagt er: „Ja, den gibt es. Das war ich.“ Matthias Behr hat gelernt, mit dem Schicksal zu leben.