Der heute 74-jährige pensionierte Kripo-Mann weiß noch: Eigentlich wollte er in jenen Septembertagen seinen Sohn am Deutschhaus-Gymnasium einschulen. Stattdessen meldete er sich, als Fahnder aus ganz Deutschland gebraucht wurden, um in Köln bei der Suche nach dem entführten Schleyer zu suchen.
Mit ihm fuhr als Chef der Würzburger Fahnder Heinz Lindworsky, später folgten vier weitere Kollegen aus Würzburg. In Köln wurden Polizisten aus ganz Deutschland zusammengezogen. „Fahren Sie auf den Dom zu, und wenn es nicht mehr weitergeht, fragen Sie noch mal“, empfahl die Polizei-Leitstelle damals anreisenden Kollegen. „Die Berliner mussten durch die DDR fahren“, erinnert sich der heutige dritte Bürgermeister von Estenfeld (Lkr. Würzburg) schmunzelnd. „Dabei durften sie ihre Waffen nicht durch die Zone mitnehmen. Die kamen dann erst per Flugzeug nach.“
Zunächst observierten die Fahnder Telefonzellen am Hauptbahnhof, später halfen sie bei der Suche nach konspirativen Wohnungen. „Oft waren die Leute, an deren Türen wir klopften, tagsüber nicht da. Dann mussten wir abends wiederkommen.“ So ging es wochenlang.
Schweidler erinnert sich: „Nur gelegentlich sind wir über Nacht nach Hause gefahren, um unsere Familien zu sehen und Wäsche zu wechseln. Am nächsten Tag ging es dann im gleichen Tempo weiter.“ Wie alarmiert der Sicherheitsapparat war, erlebte Schweidler dabei am eigenen Leib. „Ich wollte nachts in einer Raststätte zahlen, als ich plötzlich eine Pistole im Kreuz hatte.“ Im Nebenzimmer saß der damalige hessische Ministerpräsident Alfred Dregger mit Personenschützern. Die hatten bemerkt, dass da einer mit Waffe unterm Jacket stand – und hielten ihn für einen Terroristen.
Zum Ausgleich für den Schreck zahlte Dregger anschließend die Zeche der Unterfranken. Und die beeilten sich, die verlorene Zeit auf dem Nachhauseweg wieder aufzuholen – so sehr, dass ihnen Wochen später ein respektabler Bußgeldbescheid ins Haus flatterte. Sie waren in eine Radarfalle geraten. Doch ein Anruf in Dreggers Büro genügte, um den Fall unbürokratisch zu erledigen.
Anfang Oktober kam jener Hinweis, an den sich Schweidler noch nach 42 Jahren Polizeiarbeit mit Magenknurren erinnert: „Wir bekamen einen Tipp auf einen grauen Mercedes in einem Parkhaus in Köln. Zwei Tage und Nächte haben wir observiert, in der Hoffnung auf einen brauchbaren Hinweis.“ Vorschläge wurden gewälzt, das Auto unbemerkt zu entfernen, um es nach Spuren durchsuchen zu können – und wieder verworfen. Als niemand den Wagen abholte, gaben die Fahnder ihre Tarnung auf.
„Im Auspuff steckten noch die Wagenschlüssel“, erinnert sich der Kripo-Mann aus Würzburg. Man öffnete den Mercedes – darin fand sich ein Manschettenknopf des entführten Schleyer. Der naheliegende Wohnkomplex „Am Kölnberg“ mit 1000 Appartements wurde durchsucht. Und da entdeckte man die Wohnung 1010: Die Terroristin Angelika Speitel hatte das zeitweilige RAF-Versteck angemietet – doch die Fahnder kamen zu spät: Es war leer.
Die Nacht zum 18. Oktober veränderte alles: Zunächst kam die Nachricht von der Befreiung der Geiseln der Lufthansa-Maschine in Mogadischu. „Für uns alle war das ein Erfolgserlebnis“, erinnert sich der frühere Fahnder. Doch schnell folgte der Schock über die Selbstmorde der inhaftierten RAF-Terroristen in Stuttgart-Stammheim und am Tag darauf als Reaktion das Auffinden des erschossenen Schleyer.
Noch heute ist für Schweidler ein Alptraum, dass Schleyer nicht befreit werden konnte, obwohl ein Polizist das Versteck in einem anderen Wohnkomplex Kölns fand. Während er an der Tür klingelte, zwangen die Terroristen den Entführten mit gezückter Pistole, still zu sein. „Tragischerweise ging der Hinweis des Kollegen auf dem Dienstweg verloren, der Schleyer hätte retten können.“

