Der zwölfjährige Jaromir Müller ist ein Junge wie viele andere. Er träumt davon, vielleicht einmal Journalist oder Sänger zu werden, er trägt eine Zahnspange und er geht auf das Würzburger Deutschhaus-Gymnasium. Am Mittwochabend hat er allerdings etwas Ungewöhnliches erlebt: Er sang vor dem Papst eine Opern-Solopartie und sprach anschließend mit dem Kirchenoberhaupt. Sein Kommentar: „Ich find's einfach toll!“
Jaromir Müller schlüpfte in der Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo in die Rolle von Adeodatus, Sohn des später heiliggesprochenen Bischofs, Philosophen und Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354 bis 430). In der Tasche trug er den Rosenkranz seiner toten Urgroßmutter, den er 2009 zur Erstkommunion als Geschenk erhalten hatte.
„Ich habe ihn gefragt, ob er ihn mir segnen kann“, berichtete er anschließend. Der Papst tat's und der Gymnasiast meinte trocken: „Daran werde ich wahrscheinlich mein Leben lang denken.“
Jaromir singt seit 2009 bei den Würzburger Domsingknaben. Als der Papst das Geschenk der Diözese zu seinem 85. Geburtstag, eine Aufführung der zeitgenössischen Kirchenoper „Augustinus – ein klingendes Mosaik“, angenommen hatte, wählte Domkapellmeister Martin Berger ihn für die Adeodatus-Rolle aus. Im 65-seitigen zweisprachigen Programmheft auf Hochglanzpapier sind Jaromir, wie den Solistinnen Maria Bernius (Augustinus-Geliebte Stella) und Anke Endres (Augustinus-Mutter Monnica), zwei ganze Seiten gewidmet.
Die Aufführung des Werks von Wilfried Hiller (Musik) und Winfried Böhm (Libretto) im überdachten Innenhof der Papstresidenz vor etwa 200 Zuhörern war ein Medienereignis der besonderen Art. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte ihre Rom-Korrespondentin entsandt. Tilmann Kleinjung, der für die ARD aus der italienischen Hauptstadt berichtet, interviewte anschließend den Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann.
Dass Radio Vatikan und die Katholische Nachrichtenagentur vertreten waren, konnte nicht überraschen, eher schon, dass auch ein Vertreter der „Bild-Zeitung“ erschien. Anschließend gab er allerdings zu, dass es ihm nicht ganz leichtfalle, das hochkulturelle Thema für die Bild-Leser aufzubereiten.
Zahlreiche Ehrengäste drängten sich unter dem Stoffdach, darunter Regierungspräsident Paul Beinhofer, der Würzburger Bürgermeister Adolf Bauer und die Landräte aus Aschaffenburg, Miltenberg, Bad Kissingen, Bad Neustadt und Haßfurt.
Neben Bischöfen, Mitgliedern des Domkapitels und unterfränkischen Dekanen nahm auch eine Delegation des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung an der Aufführung teil. Derzeit findet in Rom ein fünftägiges Symposium zum Thema „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins ,De Civitate Dei' (Der Gottesstaat)“ statt.
Ein halbes Dutzend bunt gekleidete Schweizergardisten verteilten sich im Raum. Ihre Blicke ließen ahnen, dass sie im Notfall jederzeit dieselbe Entschlossenheit an den Tag legen würden wie die Security-Männer.
Freilich: Brenzlige Situationen gab es nicht, keiner brauchte einzugreifen, niemand näherte sich dem Papst ohne ausdrückliche Aufforderung.
Auch technisch zeigten sich die Vatikan-Leute der Situation gewachsen. Mehrere Kameras nahmen die Sänger und Musiker auf und übertrugen das Gefilmte auf eine Großbildwand, wobei sie Solisten und Instrumentalisten sowie den im Rücken der Zuhörer platzierten Kammerchor der Würzburger Dommusik immer wieder nah heranholten. Manchmal entdeckte sich auch ein Zuhörer in Übergröße.
Hatte man die Chormitglieder auf der Busfahrt von Rom nach Castel Gandolfo noch vor dem gewöhnungsbedürftigen und gelegentlich befremdlichen Protokoll im Umfeld des Papstes gewarnt, so war davon in der geradezu heiteren Atmosphäre des warmen Spätsommertages nichts zu merken.
Der Mann, zu dessen Ehren das alles stattfand, folgte der Oper erkennbar hoch konzentriert. Leicht vorgebeugt saß Benedikt XVI. auf seinem Stuhl, las gelegentlich den Text im Programmheft mit, um dann wieder den Blick interessiert nach vorne zum kleinen Orchester und den sechs Männern zu richten, die als Schüler und Philosophen den Weg des Augustinus von den Verlockungen der Welt zu sich selbst und zu Gott kommentierten.
Auf dem Gang zu seinem Ehrenplatz schritt Benedikt behutsam voran; in der Hand hielt er einen Gehstock, den er allerdings nicht benutzte. Am Morgen hatte er noch auf dem Petersplatz in Rom eine Audienz gehalten, danach war er im Hubschrauber nach Castel Gandolfo geflogen.
Bevor sich der Papst nach der Aufführung mit einigen Gästen und den Künstlern unterhielt, lobte er in einer kurzen Ansprache die „meisterhafte Darbietung“. Dies freute alle Beteiligten umso mehr, als die Augustinus-Oper als zeitgenössisches Werk der Kirchenmusik nicht in allen Passagen leicht konsumierbar ist.
Der Komponist setzt zum Teil exotische Instrumente ein, gelegentlich donnern wie ein Unwetter Paukenschläge, und wenn Librettist Böhm eine heidnische Götterverehrung im untergehenden Rom schildert, muss der Chor stellenweise bis an atonale Grenzen gehen. Dann folgen ruhige, fast lyrische Passagen und sphärische Glasharfenklänge, bevor sich das musikalische Augustinus-Mosaik mit Pauken und Trommeln wieder heftigeren Klangfarben zuwendet.
Der Papst ließ sich jedenfalls nicht irritieren, dankte am Schluss allen Beteiligten und meinte, die vielschichtige Persönlichkeit des Augustinus sei „eindrucksvoll in Tönen gemalt“ worden. Immerhin passiert es nicht oft, dass Benedikt moderne Kirchenmusik zu Ohren kommt, und das auch noch im Vatikan, wozu die Sommerresidenz gehört.
Eva-Maria Hesselbach, Medizinstudentin und Mitglied des Kammerchors, drückte die allgemeine Stimmung so aus: „Der Heilige Vater war sehr offen für die Musik. Ich glaube, dass ihm das Konzert gefallen hat.“
Stimmen zur Aufführung
- „Die Aktualität des großen heiligen Kirchenvaters Augustinus ist ungebrochen. Auch dies hat die Augustinus-Oper einmal mehr unter Beweis gestellt.“ Papst Benedikt XVI.
- „,Sie scheinen sich gründlich mit Augustinus befasst zu haben', sagte der Papst zu mir. Das ist das Schönste, was ich hören konnte.“Winfried Böhm aus Würzburg, emeritierter Pädagogik-Professor und Librettist
- „Der Abend bleibt im Gedächtnis.“Nikolaus Peter Hasch, Vorsitzender des Würzburger Dommusikvereins
- „Es war zu spüren, wie angetan die Zuhörer von dem Werk waren.“Martin Berger, Domkapellmeister und Gründer des Kammerchors am Würzburger Dom
- „Für mich war das sicherlich einer der schönsten Tage meines Lebens. Das werde ich nicht vergessen.“ Winfried Böhm
- „Es hat alles wunderbar gestimmt. Die Akustik war bestens. Der Abend hat mich sehr glücklich gemacht.“Wilfried Hiller, Komponist TEXT: POW