zurück
Der Leber kann vieles über die Leber laufen
Die Schaltstelle des Stoffwechsels Die meisten Erkrankungen des lebenswichtigen Organs zeigen zunächst keine oder kaum Symptome. Zwei Würzburger Experten klären auf.
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:39 Uhr

Er war immerzu müde, gerädert, antriebslos. Selbst wenn Klaus W., 49, richtig ausgeschlafen hatte, fühlte er sich schlapp, an solchen Tagen änderte auch die dritte Tasse extrastarken Kaffees nur kurzzeitig etwas. Der Würzburger schob's aufs Wetter. Oder auf den Stress bei der Arbeit, auf die Überstunden, die immer mehr geworden waren zuletzt. Als bei einer Vorsorgeuntersuchung die Bluttests ergaben, dass seine Leberwerte deutlich erhöht waren, fragte ihn sein Hausarzt: „Trinken Sie?“ Dem Antialkoholiker Klaus W. verschlug's die Sprache.

Erhöhte Leberwerte können auf einen erhöhten Alkoholkonsum hinweisen. Müssen aber nicht, sagt Professor Andreas Geier, Leiter der Abteilung Hepatologie an der Medizinischen Klinik II des Würzburger Uniklinikums. Der Leber kann vieles andere über die Leber laufen als zu viel Alkohol. „Auch Medikamente, Viruserkrankungen, Stoffwechselstörungen, Gallenerkrankungen und vieles mehr können die Leberwerte ansteigen lassen und das Organ schädigen“, erklärt Geier.

Hepatitis-C-Virusinfektion

Nach weiteren Blutuntersuchungen, Ultraschall und einer Leberpunktion stand fest: Klaus W. litt an einer chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion, die bereits zur weitgehenden Zerstörung des Lebergewebes geführt hatte. Und die Entwicklung einer Leberzirrhose droht. Das erste Problem bei Erkrankungen der Leber: Symptome sind oft gar nicht vorhanden oder außerordentlich gering beziehungsweise undifferenziert. Müdigkeit und Abgeschlagenheit können Anzeichen für tausend andere Erkrankungen sein. Das zweite Problem bei Leberkrankheiten: „Viele verlaufen chronisch und können nach Jahrzehnten in eine Leberzirrhose münden“, so Geier. Bei einer Leberzirrhose, auch Schrumpfleber genannt, ist ein großer Teil des Gewebes durch Narben ersetzt. Das an sich regenerationsfreudige Organ kann sich nicht mehr erholen. Es bildet keine gesunden Zellen mehr, sondern Bindegewebe.

„Eine Leberzirrhose ist das irreversible, also nicht rückgängig zu machende Resultat verschiedenster Schädigungen. Es besteht dann das Risiko lebensbedrohlicher Komplikationen“, erklärt der Transplantationschirurg Professor Ingo Klein, der mit Geier das neue Lebertransplantationsprogramm des Klinikums leitet. Neben Bauchwassersucht und der Bildung von Krampfadern in der Speiseröhre droht die Entstehung von Leberkrebs – die Krebsart, die hierzulande die „größten Anstiegsraten aller Krebserkrankungen“ hat, so Klein. Das an der Universitätsklinik neue von Professor Christoph-Thomas Germer initiierte Würzburger Leberzentrum, das neben einer gemeinsamen Transplantationsambulanz auch hepatologische und chirurgische Spezialsprechstunden anbietet, arbeitet – wie es in der modernen Medizin mittlerweile unabdingbar ist – interdisziplinär. Das heißt: Chirurgen, Internisten, Radiologen, Onkologen, Psychologen stehen in regelmäßigem Austausch. „Die gemeinsame Draufsicht ist deshalb so wichtig“, sagt Germer, „damit die Diagnose schnell und sicher erfolgen und die ideale Behandlung eingeleitet werden kann.“

Menschen, die mit Leberzellkrebs in Deutschland eine Lebertransplantation brauchen, „müssen durchschnittlich eineinhalb Jahre darauf warten. Bei fortgeschrittener Leberzirrhose entscheidet die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung und die damit verbundene statistische Wahrscheinlichkeit, die kommenden drei Monate ohne Lebertransplantation nicht zu überleben. Diese Patienten sind so schwer krank, dass sie kurz vor der Transplantation zumeist dauerhaft im Krankenhaus stationär behandelt werden müssen“, sagt Klein.

Zu wenig Spenderorgane

Bei der Leber ist es wie beim Herz und den Nieren, bei der Bauchspeicheldrüse und der Lunge: Es gibt weit weniger Spenderorgane als Patienten, die warten, um am Leben zu bleiben. Deshalb werden die Organe nach festen Regeln vergeben. Wer benötigt das Organ am dringlichsten? Bei wem ist der Überlebensgewinn durch die Transplantation am größten? Wer am meisten profitiert, wird bevorzugt! Auf der Warteliste zur Lebertransplantation stehen Menschen mit fortschreitender Leberzirrhose, mit langsam oder auch unkontrolliert schnell wachsendem Leberkrebs, und etwa jeder zehnte Transplantierte benötigt eine neue Leber, weil seine alte akut versagt hat, weil er einen Knollenblätterpilz aß oder sein Körper, meist genetisch bedingt, übertrieben auf Medikamente reagiert.

Die drei häufigsten Ursachen für chronische Lebererkrankungen sind übermäßiger Alkoholkonsum, eine chronische Virus-Hepatitis sowie die nicht alkoholbedingte Fettleber. Diese Form tritt oft im Verbund mit anderen Erkrankungen wie Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Gicht und Übergewicht im Rahmen eines sogenannten metabolischen Syndroms auf, das auch als Risikofaktor für zahlreiche andere Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall gilt. An einer Fettleber leiden in Deutschland 75 Prozent aller Übergewichtigen und jeder zweite Diabetiker. Häufig wissen die Betroffenen gar nichts davon, weil sich eine Leber, in der sich vermehrt Fett eingelagert hat, erstmal nicht bemerkbar macht. Weil die Deutschen aber immer dicker werden, gehen die Experten von einer erheblichen Steigerung der Patientenzahl aus. Die Medizin weiß bis heute nicht im Detail, wie eine Fettleber oder die Entzündung der Leber genau entsteht, aber sie weiß: Unbehandelt droht die Leberzirrhose. Und dann Leberkrebs. „Weltweit ist Leberkrebs der sechshäufigste bösartige Tumor und die dritthäufigste tumorbedingte Todesursache“, erklären Geier und Klein. Sie sprechen vom „primären Leberkrebs“ (der seinen Ursprung in der Leber selbst hat), nicht vom „sekundären“, bei dem sich Metastasen von bösartigen Tumoren anderer Organe wie Darm oder Magen in der Leber ansiedeln.

Infektion auf dem Blutweg

In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Neuerkrankungen an „primärem Leberkrebs“ – dem Leberzellkarzinom – hierzulande verdoppelt. Inzwischen erkranken in Deutschland jedes Jahr an die 8000 Menschen neu daran. Die enorme Zunahme wird mit der steigenden Zahl von Leberzirrhosepatienten sowie der hohen Rate von Hepatitis-C-Infektionen in den 1960er, 70er und 80er Jahren in Zusammenhang gebracht.

Wie Klaus W. sich die C-Hepatitis einfing, weiß er nicht mehr. „Die Infektion mit dem Virus erfolgt auf dem Blutweg, bei Drogenkonsum durch gemeinsam benutzte Spritzen, Rasiergeräte oder Zahnbürsten, früher auch durch Blutkonserven, heute ist dieses Risiko aber minimal“, sagen Geier und Klein. Klaus W. geht davon aus, dass es in der Jugend war, als er mal zur Haschpfeife griff, mal Kokain schnupfte, auch mal Kontakt mit der Spritze hatte. Klaus W. hatte Glück: Durch Medikamente konnte das Virus vertrieben und der weitere Zerfall seiner Leber gestoppt werden.

Alkohol ist trotzdem tabu: „Selbst geringe Mengen“, so die Fachleute, „haben Katalysatorwirkung und beschleunigen die Entwicklung zur Leberzirrhose wieder.“

Die Leber

Das Organ Im Durchschnitt ist die Leber etwa eineinhalb Kilogramm schwer, sie ist die zentrale Schaltstelle des gesamten Stoffwechsels im Körper. Sie unterstützt die Verdauung, den Blut- und den Hormonkreislauf, die Blutgerinnung, und sie hilft bei vielen Entgiftungsvorgängen. Die Leber ist – bildlich gesprochen – eine große chemische Fabrik: Wie ein Schwamm nimmt sie sämtliche verdauten Nahrungsbestandteile aus dem Darm auf, speichert sie, baut sie zu neuen Stoffen um, scheidet giftige fettlösliche Stoffe entweder durch die Galle aus oder verändert sie, damit die Nieren sie in wasserlöslicher Form durch den Urin loswerden. Die Virus-Hepatitis Es sind fünf wichtige Formen von Virus-Hepatitis bekannt: Hepatitis A, B, C, D und E. Typ A und E treten nur akut auf, werden nie chronisch, Typ B, C und D können chronisch verlaufen und über eine ständige Entzündung der Leber langfristig zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Mögliche Folgen sind vor allem die Leberzirrhose und der Leberkrebs. Die B-Hepatitis ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt: Etwa 350 Millionen Menschen weltweit sind daran erkrankt, Asien, China, Taiwan sind Hochburgen, hierzulande leiden 300 000 bis 500 000 an einer chronischen B-Hepatitis. Dabei kann man sich dagegen impfen lassen, was seit 1996 in Deutschland empfohlen wird. Die Zahl der chronisch Hepatitis-C-Infizierten in Deutschland wird auf 500 000 bis 800 000 geschätzt. Alkoholbedingte Leberzirrhose Das Risiko, an einer alkoholbedingten Leberzirrhose zu erkranken, folgt grundsätzlich einer ganz simplen Formel: Laut Fachleuten ist die gefährliche Grenze individuell aber sehr verschieden und hängt nicht zuletzt von den Genen ab. Allgemein gilt aber: Gefährlich für Männer wird's ab etwa 40 Gramm Alkohol am Tag, ein halber Liter Bier oder ein Schoppen haben 20 Gramm. Um es in etwa auszurechnen, nehmen wir Menge mal Zeit: Zwei, drei Bier am Tag, zehn, zwanzig Jahre lang – so hat Mann gute Chancen, seine Leber mit Alkohol zu zerstören. Wichtig zu wissen: Frauen sind beim Alkohol deutlich mehr gefährdet: Bei ihnen sind bereits mehr als 20 Gramm Alkohol pro Tag auf Dauer zu viel. Sprechstunden an der Uniklinik Das an der Würzburger Universitätsklinik neue von Professor Christoph-Thomas Germer initiierte Würzburger Leberzentrum bietet neben einer gemeinsamen Transplantationsambulanz auch hepatologische und chirurgische Spezialsprechstunden an. Zu erreichen sind die Fachleute unter folgenden Rufnummern: Transplantationszentrum/Chirurgische Ambulanz: Tel. (09 31) 2 01 - 3 66 66 Hepatologische Ambulanz: Tel. (09 31) 201 - 4 02 01.

|
|
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Fettleber
Hepatitis
Leberkarzinom
Leberschrumpfung
Lebertransplantationen
Leberwerte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen