Aus Würzburg stammte Martin Lampe, der Kammerdiener des großen Philosophen aus Königsberg. Er sorgte dafür, dass der Denker zeitig zu arbeiten begann - jeden Morgen um 445 Uhr weckte er ihn mit dem militärisch knappen Ruf "Es ist Zeit". Das Genie ging dann in Schlafrock und Nachtmütze ins Arbeitszimmer, trank zwei Tassen Tee und rauchte eine Pfeife. Dann begann Kant zu schreiben, bevor er ab sieben oder acht Uhr an der Universität in Königsberg Vorlesungen hielt: "Ich selbst sitze täglich vor dem Amboß meines Lehrpults und führe den schweeren Hammer der Vorlesungen in eynerley tacte fort." Doch er zieht viele Studenten an, und von den damals üblichen Vorlesungsgebühren kann er sich sogar einen Diener leisten: Martin Lampe aus Würzburg, ein ehemaliger preussischer Soldat.
Während Kant dachte, hielt ihm Lampe den Haushalt in Ordnung - mehr als 30 Jahre lang. Als Kant, schon jenseits der 60, sich endlich ein Haus kaufen konnte, begannen seine berühmt gewordenen Tischgesellschaften. Er hielt es für ungesund, alleine zu essen und lud regelmäßig einen Kreis von Freunden ein - Kaufleute, einen Arzt, einen Schriftsteller, aber möglichst keine Kollegen. Politik und Neuigkeiten aus Königsberg - das interessierte ihn, nachdem der Diener pünktlich um 13 Uhr den Satz gesagt hatte: "Die Suppe ist auf dem Tische."
Kant liebte das Essen: Kabeljau war seine Lieblingsspeise, ferner dicke Erbsen, Teltower Rübchen und Göttinger Wurst. Sein Verleger schickte ihm aus Riga Kaviar. Für jeden Gast gab es eine halbe Flasche Wein. Ansonsten trank Kant nur Wasser, er hielt Bier für ungesund. Als er älter wurde, gewöhnte er sich einen Spaziergang nach dem Essen an: mit einer solchen Regelmäßigkeit, dass die Königsberger ihre Uhren nach ihm stellten.
War Kant außer Haus, so pflegte Lampe dessen Schlafzimmer heimlich zu lüften. Kant hatte dies untersagt, weil er befürchtete, es könne Ungeziefer eindringen. Kants Schreibtisch hingegen traute er sich nicht zu berühren: Eine graue Staubschicht bedeckte das Arbeitszimmer.
Während der Junggeselle in der Provinz sein Leben in Gewohnheiten und manchen Schrullen führte, reifte ein Werk, das die Philosophie revolutionierte und dessen Wirkungen bis heute anhalten. "Alleszermalmer" nannte ihn ein Zeitgenosse. Den Ruf trug ihm ein Buch ein, das er 1781 im reifen Alter von 57 Jahren veröffentlichte: "Die Kritik der reinen Vernunft": 856 Seiten dick, Frucht von zehn Jahren Denken, schwer verständlich - worüber der Philosoph selbst klagte.
Doch es war das rechte Buch zur rechten Zeit: Im 18. Jahrhundert verbreitete sich die moderne Naturwissenschaft. Labor und Experiment lösten theologische und philosophische Spekulationen ab. Kants bahnbrechende Einsicht besteht darin, dass der Mensch diese Natur nur so erkennen kann, wie die Strukturen der Vernunft es ihm erlauben. Und Aufgabe der Philosophie ist es, diese Strukturen zu erforschen. Was so einfach klingt, hat Folgen, die Kants Zeitgenossen erschütterten: Seit der Antike glaubten Philosophen, das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und den freien Willen des Menschen mit Argumenten beweisen zu können. Und die christlichen Kirchen sahen darin ein entscheidendes Fundament des Glaubens. Und genau solche Beweise entlarvte Kant als Trugbilder der Vernunft.
Mit dieser "Revolution des Denkens" rückt der Mensch endgültig in die Mitte der Welt. Was heute für uns selbstverständlich ist - Religionsfreiheit und Toleranz -, für sie lieferte Kant Argumente. Er lebte in einem Jahrhundert der Umbrüche und er gestaltete es mit: Unter dem Titel "Aufklärung" begannen die Menschen, sich von der Vorherrschaft der alten Autoritäten Kirche und Adel zu befreien. Kant brachte das auf den Begriff: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit." Der mündige Bürger soll den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, "ohne Leitung eines anderen". Kant war beeindruckt von der Verfassung der USA und deren Erklärung der Bürgerrechte. Er sprach sich - als preussischer Untertan - für eine Republik aus und begrüßte die Ideale der Französischen Revolution - deren gewalttätige Auswüchse verabscheute er. Der Freiheit des Bürgers im Staat entsprach die Forderung, die Staaten müssten Frieden halten. Und so etwas wie eine "Weltregierung" gibt es heute in Form der Uno.
Kant setzte gegen eine "gottesdienstliche Religion" mit Gebet, Priester und Kult eine Vernunftreligion als reinen Glauben an das Gute. Konflikte mit der protestantischen Kirche in Preussen blieben nicht aus, die katholische Kirche verbot die "Kritik der reinen Vernunft" umgehend. Das Verbot galt bis 1966. Auch die Moral revolutionierte der Denker aus Königsberg: Mit seinem "Kategorischen Imperativ" (Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne) machte er die Frage, was passiere, wenn alle so handeln würden, zum Prüfstein. Wer lügt, müsste erwarten, dass auch alle anderen lügen - womit er seinen Zweck nicht mehr erreicht, sondern Chaos stiftet. Dem Glück misstraute er wegen "dem sehr verwickelten Zustande des Lebens". Die Pflicht hingegen, den "erhabenen großen Namen", nahm er sehr wichtig. Und hier, für die Moral, kommen auch Gott und die unsterbliche Seele wieder ins Spiel: Denn wie sollte sonst ausgleichende Gerechtigkeit möglich sein, da das irdische Leben ja oft ungerecht ist?
"Nicht zu lange schlafen"
Mit Vernunft und Beobachtung - den Säulen seiner Philosophie - ordnete Kant auch sein Leben. Er war zierlich und hager, sorgte sich um seine Gesundheit. In der Schrift "Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden" beschrieb er seine regelmäßige Lebensweise: Er ging am liebsten alleine spazieren, damit er sich nicht an ein fremdes Tempo anpassen musste und ins Schwitzen geriet. Er riet, die Füße in kaltem Wasser zu waschen und nicht zu lange zu schlafen. Während des Essens und des Spazierengehens solle man nicht angestrengt denken.
Kant, der Junggeselle blieb - in seiner Jugend war er als angenehmer Plauderer bei den Damen durchaus beliebt, ihm fehlte aber das Geld wie auch der Entschluss zum Heiraten - versicherte, unverheiratete Männer bewahrten länger ihr jugendliches Aussehen und lebten auch länger.
Er blieb bis ins Alter aktiv. Immer öfter ärgerte er sich über seinen Diener Lampe, der ohne seine Erlaubnis geheiratet hatte, und "da er von früh bis späth etwas zu saufen nicht unterläßt". Der greise Kant entliess ihn nach einem Streit und kürzte seine Rente. Kants Leben erlosch langsam - Dämmerzustand prägte seine letzten Monate. Der Philosoph starb am 12. Februar 1804 im Alter von 79 Jahren. Seine letzten Worte waren: "Es ist gut."