
„Wir ham den Derbysieg, der uns am Herzen liegt. Und dieses Jahr – Bundesligaaa!“
Sie singen im Ronhof diese hübschen alten Lieder. Lieder, wie sie in anderen Stadien nicht mehr gesungen werden. Heute singen die Fans – was Wunder – vom Derbysieg gegen Nürnberg und vom Aufstieg. Ja, ein Wunder ist's: Die SpVgg Greuther Fürth spielt in der ersten Fußball-Bundesliga gegen Bayern München und Borussia Dortmund um Punkte, unglaublich! Kein Wunder, dass die Stadt Kopf steht: Ausnahmezustand in der von grünen Bengalos taghellen Gustavstraße, wo die Wirte Montagnacht in acht Stunden mehr ausschenken als sonst in acht Wochen. 22.06 Uhr: „Geil, geil, geil“, in Dresden ist Schluss, Dynamo schlägt Düsseldorf 2:1 – und Tausende drehen durch.
Wenn Deutschlands Fußballherz – wie so oft behauptet – im Ruhrpott schlägt, dann atmet der deutsche Fußball ab sofort aber einen tiefen Zug fränkische Luft. Greuther Fürth und der 1. FC Nürnberg spielen in der nächsten Saison beide in der ersten Liga – beides steht nun fest. Zwei geografisch so dicht beieinanderliegende Erstligisten gibt es in Deutschland sonst nirgendwo. „Franken ist in Bayern die Fußballhochburg“, sagt Günther Koch. Den Ex-Radio-Kommentator nennt man auch „die Stimme Frankens“. Bekannt geworden ist er mit seinen Kommentaren über den Club aus Nürnberg. „Der 1. FC Nürnberg wird hier immer die Nummer eins bleiben“, sagt Koch. Er ist ein echter Cluberer – aber einer, der gönnen kann und der sich mitfreut mit dem ewigen Rivalen aus der Nachbarstadt: „Das ist der Erfolg einer bemerkenswerten Arbeit“, sagt er. Koch hat den Fürther Werdegang schon lange verfolgt.
Bis Montagabend. Fest steht an diesem 16. April 2012: Lässt Düsseldorf heute in Dresden Federn, sind die Fürther bei neun Punkten und 31 Toren Vorsprung auf Paderborn drei Runden vor Schluss (praktisch) uneinholbar aufgestiegen. Und so füllt sich am Montag zeitig das Fürther Kneipen-Meilchen unweit des Stadions mit der grün-weißen Anhängerschaft. Der „Gelbe Löwe“ ist proppenvoll, auch davor drängeln sie sich. „Im alten Rentamt“ ebenso, in der „Kaffebohne“ und wie die urigen Kneipen in den schiefen Häuschen noch so heißen – überall ist Fasching im April. Um halb elf auch auf den Straßen. Natürlich packen die Fans auch ihre Klassiker aus. Der vielleicht schönste: „Und dann gemma mit Gesang, tätärä, auf der Färdder Straß entlang, tätärä. Und die Kutschn loumer rutschn, tätärä, auf der Färdder Straß entlang, tätärä. Dass wir vom Ronhof sind, hallihallo, das weiß ein jedes Kind, hallihallo. Wir reißen Bäume aus, wo keine sind. Und die Fahne weht im Wind. Und das Kleeblatt Fürth gewinnt.“
Diese Mannschaft sitzt nun komplett versammelt im VIP-Raum der Trolli-Arena, schaut Dresden gegen Düsseldorf. „Wenn Fortuna verliert, drehen wir komplett durch und nehmen die Stadt auseinander“, hatte Stephan Schröck angekündigt. „Schröcki“, der Schweinfurter, hält Wort. Er will „so lange trinken, bis wir uns an keine Trainingslehre mehr erinnern können.“ Und: „Ich hab' gerade meiner Frau gesagt, dass sie mich anrufen soll, wenn ich bis Mittwoch nicht zu Hause bin.“ Der 25-Jährige ist in elf Jahren waschechter Fürther geworden, kickt aber nächste Saison für Hoffenheim. Kein Wort darüber, ob er jetzt den Wechsel bereut. Nur soviel: „Ich wollte mich bis zuletzt zerreißen, das ist mein Abschiedsgeschenk. Ich freue mich brutal für die Jungs, dass wir nächstes Jahr gegeneinander spielen können.“
Irgendwo da draußen, vor dem „Gelben Löwen“, wo Wirt Peter Heßler sich vor Reservierungsanfragen kaum retten konnte, hat ein blaues Straßenschild derweil grüne Farbe angenommen. „Mike-Büskens-Allee“ hat ein Witzbold draufgepappt. Die Fürther Fans wissen genau, wer der Vater dieses Erfolges ist. Im Dezember 2009 hatte Büskens, mit Schalke als Spieler 1997 Uefa-Cup-Sieger, die Greuther von Benno Möhlmann als Tabellen-15. übernommen. „Das ist ein historischer Tag für Stadt und Verein“, blickt er zufrieden auf sein zweieinhalbjähriges Werk. „Sie glauben gar nicht, was für eine Genugtuung das ist. Dieser ewige Pessimismus. Ich konnte es nicht mehr hören.“ Mit den Fans zu feiern, das lässt er sich nicht nehmen. Büskens verabschiedet sich aus Dresden via Fernsehen mit der Bitte an die Mannschaft, „mir ein Bier übrig zu lassen“ und taucht drei Autostunden später im Pulk vor dem „Gelben Löwen“ auf, lässt sich von den Anhängern erst fotografieren, dann durch ein offenes Fenster hinein zu „den Jungs“ hieven. Nur: Die Vertragsverlängerung mit dem 44-Jährigen steht noch aus – sie sollte eigentlich Formsache sein.
Büskens ist nicht der Einzige, der in dieser magischen Nacht von Genugtuung spricht. Auch Kapitän Thomas Kleine, 2010 aus Mönchengladbach in den Ronhof zurückgekehrt, empfindet sie, „weil wir es allen gezeigt haben, die immer gesagt haben: Die wollen nicht.“ Klar, Spott war für die Fürther nach sieben fünften und einem vierten Platz in 14 Jahren ununterbrochener Zweitliga-Zugehörigkeit seit 1998 treuer Wegbegleiter. Jetzt aber sind sie der 52. Erstligist der Bundesliga-Geschichte. „Wenn man es so oft versucht hat wie ich, kann man das Gefühl heute nicht beschreiben“, sprudelt aus Kleine die Freude nur so heraus. Sie ist vorbei, die „Unaufsteigbar-Tour“. Dieses Motto hatten sich die Fürther selbst vor Saisonbeginn gewählt – wie gesagt, ein Verein für sich halt. Kleine zweifelte nie am Gelingen, war einer, der die ganze Saison über offen vom Aufstieg sprach. Auch nach dem unglücklichen Auftakt-2:3 gegen Eintracht Frankfurt, auch nach dem 1:2 bei Fortuna Düsseldorf im Herbst. Beeindruckt hat die Greuther beides nicht, auch nicht das 1:3 in Dresden gleich nach der Winterpause – darauf folgten elf Spiele ohne Niederlage.
Es ist dieses Selbstbewusstsein, dieses Unerschütterliche, das der Westfale Büskens den von Selbstzweifeln zerfressenen Franken eingeimpft hat, das sie letztlich an die Spitze der Zweiten Liga gebracht hat. Eine Liga, in die sie nicht so schnell zurückwollen. Im Verein, wo sie den Weg der kleinen Schritte seit dem Zusammenschluss der SpVgg Fürth, des deutschen Meisters von 1914, 1926 und 1929, und des Hackschen Heimatklubs TSV Vestenbergsgreuth im Jahr 1996 so gut beherrschen, wird bereits tüchtig an den Strukturen gewerkelt. So steht dank des Investments des Fürther Immobilienmaklers Thomas Sommer der Bau eines 20 000 Zuschauer fassenden 35-Millionen-Euro-Stadions bevor. 2014/15 soll der Ball dort statt im altehrwürdigen Ronhof rollen – manch Traditionalisten treibt's Tränen in die Augen. Aber nur 15 500 passen in das bedingt ästhetisch zusammengeschusterte Viereck am Fürther Laubenweg.
„Wir werden uns der Bundesliga würdig zeigen“, prophezeit am Montag SPD-Oberbürgermeister Thomas Jung. „Das ist für Fürth die Erfüllung eines Jahrhundert-Traums, ein Segen für die Stadt.“ Fast scheint's, als habe er beim „Segen“ Gerald Asamoah und Olivier Occean zugezwinkert. Das dunkelhäutige Stürmerduo war nämlich ein solcher für die Spielvereinigung. Occean kam aus Offenbach, erzielte bisher 17 Treffer. Der 34-jährige Ex-Nationalspieler – für Fürth eine ungewöhnliche Verpflichtung – folgte im Winter dem Ruf des Ex-Schalke-Kumpans Büskens und traf bei acht Einsätzen fünfmal. Wie auch der bis dato völlig unbekannte kasachische Nationalspieler Heinrich Schmidtgal stehen sie für den Instinkt von Hack und Manager Rachid Azzouzi, den unumgänglichen Talente-Ausverkauf immer wieder kompensieren zu können. Auch aus der Nachbarschaft: Neben Schröck stehen derzeit mit Torwart Max Grün (Karlstadt) und dem auch schon neunmal eingesetzten Johannes Geis (Oberstreu) noch zwei Unterfranken im Kader.
In Sachen Personalpolitik dürfen sich die fränkischen Erstligisten die Hand geben. Auch beim 1. FC Nürnberg kennen sie diese Kunst. Beim Club reagiert man gelassen auf die gewachsene Konkurrenz. „Fakt ist, dass wir als 1. FC Nürnberg natürlich immer die Nummer eins in dieser Region bleiben! So selbstbewusst sind wir schon“, sagte FCN-Manager Martin Bader am Montagabend: „Das wird ähnlich wie in München mit 1860 und dem FC Bayern. Oder in Hamburg mit St. Pauli und dem HSV. Aber ich glaube, dass diese Rollenverteilung auch vollkommen gerechtfertigt ist.“


