Dass dort ein 14-Jähriger vor der Tafel im Klassenraum des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums steht, ist einzig an seinem bubenhaften Aussehen zu erkennen. Konzentriert man sich auf den Inhalt seiner Worte, weiten sich dem Laien verblüfft die Augen.
Wie Manfred Paul, Achtklässler aus Rimpar, über die Mathematik spricht, klingt durchdacht und schon jetzt professoral. Sie sei viel mehr als nur Rechnen, sagt Manfred. „Man kann von sehr einfachen Annahmen zu ziemlich komplexen Strukturen kommen“, erklärt er und wirkt völlig fasziniert. „Ich entdecke immer wieder neue Sachen, und wenn man den Blick dafür hat, können Gleichungen äußerst schön und elegant sein.“
An seiner Schule und in Mathematikerkreisen gilt er als kleines Genie. Zahlreiche erste Plätze bei landes- und bundesweiten Wettbewerben belegen seine große Begabung. Erst kürzlich gewann er Gold bei der Bundesrunde der Mathematik-Olympiade.
„Er ist kein normaler fußballspielender Schüler“, sagt Andrea Stamm, Manfreds Mathelehrerin am Deutschhaus-Gymnasium. Obwohl er keine Geschwister hat, entspricht er nicht dem Klischee von einem Einzelkind. Schon gar nicht ist er ein in sich zurückgezogener Sonderling. „Er ist beliebt in seinem Jahrgang, sucht den Kontakt und hat einige Freunde.“ In der Hochbegabtenklasse hat er dennoch eine Sonderrolle. Dem Matheunterricht muss er längst nicht mehr folgen. Er kümmert sich in der Unterrichtszeit um Aufgaben, die er unter anderem von der Spitzenförderung für Mathematik regelmäßig bekommt.
Seine Sonderstellung wird von den Mitschülern akzeptiert, sagt Stamm. „Es gibt eher das Problem, dass die anderen denken, sie wären nicht so gut, weil Manfred so viel besser ist.“ Allerdings könne er schlicht nicht als Maßstab gelten.
Die Leidenschaft für Zahlen, sagt er selbst, packte ihn schon früh. „Als Kind habe ich an der Magnettafel fast nur mit den Zahlen gespielt“, erzählt Manfred. Den Matheunterricht in der Grundschule fand er langweilig. Die richtige Förderung bekam er erst nach dem Wechsel aufs Deutschhaus-Gymnasium. „Obwohl wir in der fünften Klasse noch nicht auf ihn aufmerksam geworden sind“, sagt Stamm, seit 1998 Lehrerin. „Bei den Hochbegabten war er anfangs einer von vielen guten Schülern.“ Das änderte sich, als er in der sechsten Klasse den Känguru–Test, einen europaweiten Mathematik-Wettbewerb, mit voller Punktzahl abschloss. „Das war bis dahin keinem Schüler an dieser Schule gelungen“, erzählt die 44-jährige Stamm.
Gemeinsam mit Albrecht Kliem, dem Betreuer des Landeswettbewerbs für Mathematik, hat sie dann überlegt, wie Manfred bestmöglich gefördert werden kann. Seitdem durchläuft er das sogenannte Drehtürmodell. Dabei grübelt Manfred über höhere Mathematik: Sein Steckenpferd ist die Zahlentheorie. „Es ist verrückt, was er schon alles kann“, so Stamm. Sie überrascht es besonders, dass Manfred kaum üben muss. „Er liest viel und versteht den Stoff unheimlich schnell.“ Außerdem stellt er Verbindungen zwischen altem und neuem Wissen her.
Bei seinen seltenen Besuchen im Unterricht kommt es daher hier und da zu skurrilen Situationen. Er sei zwar nicht besserwisserisch, so Stamm, aber er fragt oft nach Details, die für den Unterricht nebensächlich sind. „Er hat damit zwar recht, aber den Mitschülern hilft das wenig.“ Und so muss Andrea Stamm den Wissensdurst ihres Schützlings gelegentlich bremsen.
Neben seiner Leidenschaft für Mathematik interessiert er sich fürs Programmieren. Ein Interesse, das er wohl vom Vater geerbt hat, der als Programmierer arbeitet. Sein Hobby war ein Grund, warum er ein Frühstudium abgelehnt hat. „Das hätte zu viel Zeit gekostet“, sagt Manfred.
In die Wissenschaft möchte er später schon. Die reizt ihn, „weil man dort ständig neue Lösungen finden muss und Kreativität wichtig ist“. Eine Sache mag Manfred nämlich überhaupt nicht: Langeweile.
Hochbegabtenförderung
Am Deutschhaus-Gymnasium gibt es seit 2001 eine Klasse für hochbegabte Schüler pro Jahrgang. Der Unterricht in den Modellklassen beruht auf der naturwissenschaftlich-technologischen Richtung des bayerischen Gymnasiums, der Lehrstoff wird aber zeitlich gestrafft. Ziel ist eine umfassende Bildung, bei der soziale und persönliche Kompetenzen gefördert werden.
Das Kultusministerium Bayern bietet außerdem zahlreiche Förderprogramme an: Bei der Spitzenförderung Mathematik dürfen jährlich rund 25 bis 30 Schüler an Seminaren teilnehmen. Die besten Teilnehmer kommen zudem ins Team für das bundesweit Projekt „Jugend trainiert Mathematik“, bei dem sie durch sogenannte Korrespondenzzirkel und einen Mentor besonders gefördert werden.
Die Beratung von Eltern mit hochbegabten Kindern erfolgt über die Lehrer. Zudem gibt es in den einzelnen Regionen staatliche Beratungsstellen. Eine davon ist an der Universität Würzburg, wo sich Eltern über Möglichkeiten der Förderung wie einem Schulwechsel oder dem Überspringen einer Klasse informieren können. TEXT: TB