Omas Hausmittelchen sind wieder salonfähig geworden. Inmitten einer hochtechnisierten Medizin, gewinnt die Natur- und Kräuterheilkunde heute mehr und mehr an Stellenwert. So wundert es auch nicht, dass über einhundert Besucher am Kräuterkongress „Wildes Grün“ teilgenommen haben.
Zum zweiten Mal lud die „wilde grüne Kräuterfrau“ Ute Solf ins fränkische Apothekergärtchen, Schwebheim, ein. Zwei Tage lang tauschten die Teilnehmer Expertenwissen und Erfahrungsschätze aus und beschäftigten sich mit Heil- und Wildkräutern, deren Anwendungen und Auswirkungen.
Den Auftakt machte Margret Madejsky, die „Kraftpflanzen für Körper und Seele“ vorstellte. Vor allem gegen Erschöpfungszustände könne man viel tun, meinte sie. Ginge die Erschöpfung auf Eisenmangel zurück, dann sei die Brennnessel das Mittel der Wahl. Jeden Tag ein Glas Brennnesseltee und das über einen längeren Zeitraum helfe. „Die Eiche ist ein Kraftbaum“, erzählt sie, ihre jungen Knospen und Triebe zerrieben mit Milchzucker oder in guten Weinbrand eingelegt, hülfen bei übermäßigem Schwitzen ebenso wie bei Durchfall. Die richtige Dosierung müsse jeder an sich selbst ausprobieren. Allerdings warnt Madejsky davor dem Baum zu sehr zuzusetzen, man könne ihn dadurch „leicht töten“.
Ingrid Kleindienst-John, ist aus Niederösterreich angereist, sie informiert über Pflanzenwässer und ihre Heilkräfte. Mit einem Hydrolat aus Rosmarin könne man beispielsweise auch Räume desinfizieren, führt sie aus. Rosenhydrolat werde bei der Babypflege eingesetzt. In ihrem Workshop werden Naturkosmetika und Babyfeuchttücher hergestellt.
Ursula Stumpf verbindet Pflanzenkunde und Astrologie. „Wer sich zum Beispiel im Frühling in die Energie des Neuanfangs einstimmen will, dem gelingt es leichter mithilfe der Brennnessel“, das hat ihrer Erklärung nach mit dem Planeten Mars zu tun.
Klostermedizin
Spannend auch der Vortrag von Johannes Mayer, dem Leiter der Forschergruppe Klostermedizin, an der Universität Würzburg. Er stellt das medizinische Standardwerk des Mittelalters vor, den „Macer floridus“. Ein französischer Benediktiner namens Odo Magdunensis hat dieses aus 2269 Hexametern bestehende Lehrgedicht im 11. Jahrhundert verfasst. In einer ersten Fassung beschreibt er 65 einheimische Pflanzen. Die zweite Fassung hat noch 12 Kapitel mehr und schildert Gewürze und Kräuter, die nicht in Europa wachsen. Ein Zeichen dafür, dass Magdunensis auf Quellen aus der arabischen Medizin zurückgreifen konnte.
In diesen angehängten Kapiteln beschreibt er beispielsweise den Pfeffer als Arzneipflanze gegen Atemwegerkrankungen und, so erzählt Mayer, er sei dabei nicht zimperlich. Im Mittelalter habe man extrem scharfe Mittel eingesetzt: auf ein Glas Wasser 200 Gramm Kräuter, davon 100 Gramm Pfeffer. „Das haut rein, wenn sie das getrunken haben, haben sie keine direkten Halsschmerzen mehr“, kommentiert Mayer lachend.
Die „Mutter aller Kräuter“ war im Mittelalter der Beifuß, ein Kraut, das heute nicht mehr als Heilpflanze eingesetzt wird, half damals gegen alle Frauenleiden und soll als Getränk sogar abortiv gewirkt haben.
„Das frische Kraut im Mörser gerieben mit Traubenmost versetzt und zu Wein vergären lassen stärkt als Kräuterwein den Magen und heilt Herz und Brust“, so steht es im „Macer floridus“. Frische Kräuter und Traubenmost, das gibt's doch gar nicht gleichzeitig, wirft eine Besucherin ein. „Im 11. und 12. Jahrhundert schon“, erklärt Mayer. Damals sei die Weinlese bereits im August gewesen, weil es in unseren Breiten zwei Grad wärmer gewesen ist als heute. Er macht einen Schwenk zum kommenden Weltklimagipfel. „Deshalb hören sie von unseren Politikern immer man müsse aufpassen, dass das Klima um nicht mehr als zwei Grad ansteige. Denn zwei Grad hatten wir schon mal und es ist nichts passiert, bei drei Grad wissen wir nicht was kommt.“
Mayer stellt noch viele interessante mittelalterliche Kräuter vor. Einige sind heute in der Bedeutungslosigkeit versunken wie beispielsweise die Eberraute. Andere werden immer noch als Heilmittel eingesetzt. Dazu gehört auch der Wermut. Von der Umsetzung des mittelalterlichen Rezepts, die Wermutblätter mit Weinrautenblättern, Salz und Pfeffer in Wein aufzukochen, allerdings rät Mayer ab.
Vor Weinrautenblätter wird heute gewarnt, da sie bei vielen Menschen heftige Allergien auslösen könnten. Mayer wundert sich: „In der Küche des alten Rom wurden die sogar als Gemüse gegessen.“
Beim Kongreß ging es aber nicht nur um theoretisches Wissen. In Workshops und an den Ständen der Aussteller konnte vieles ausprobiert werden. Und auch der Genuss kam nicht zu kurz. Vegetarische Wild-Kräuter-Menüs standen ebenso auf dem Programm wie „meisterliche Zen-Rezepte“, die Barbara Proske vom Benediktushof Holzkirchen „achtsam kochte“ und die Teilnehmer „lustvoll genossen“.