
Er ist nicht der Typ Mann, der aus der Torte springt. Jan Böhmermann würde eher in die Torte hineinspringen. Das jedenfalls signalisiert sein Blick, als er in einem Café in Köln in die gläserne Vitrine mit den Kuchen schaut. Seine Augen leuchten. Marzipan muss es sein, mit einem Hauch Vanille. „Haut rein“, sagt er mit Blick auf die XXL-Portion auf seinem Teller, „ist aber lecker“. Gute Nervennahrung. Und die kann er, der ewige Geheimtipp unter den TV-Moderatoren der Post-Harald-Schmidt-Ära, gut gebrauchen, jetzt, da er am 5. Februar mit seiner Show „Neo Magazin“ endlich dort hinzieht, wo er schon lange hingewollt hat: ins ZDF-Hauptprogramm.
Es ist eine gute Gelegenheit, um ihn an einem Ort zu treffen, wo er mal Jan Böhmermann sein kann. Wo er nicht immer die Figur spielen muss, von der er sagt, er habe sie sich für seine Auftritte zugelegt. Es ist die Figur des smarten, aber skrupellosen Anzugträgers, der die Welt durch eine Brille der Ironie betrachtet.
Über den blassen Jungen darin weiß man kaum etwas. Dass er nicht ins Beuteschema der Bussi-Bussi-Blätter passe, weil er zu langweilig sei, wiederholt er gerne. „Ungefähr dreieinhalb Kinder, momentan heterosexuell, kaum Geschlechtsverkehr, aber häufig knutschen mit Larissa Marolt und Co.“ Es ist die branchenübliche Koketterie. Aber wie tickt dieser Mann wirklich? Er hat ein Café als Treff vorgeschlagen. Blümchentapeten an den Wänden, Sperrmüllsofas. In diesem Ambiente steigt er gerne mal mit seinen Kollegen ab. Seine Produktionsfirma sitzt nur einige Straßen weiter im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, Dönerläden, Wäschereien und Cut-and-Go-Friseure.
Jetzt steuert er auf die Vitrine mit den Torten zu. Ein Schlaks in dekorativ zerlöcherten Jeans und Sakko, das Haar in den Stirnecken schon etwas licht. Etwas blass und zerstreut sieht er aus. Später wird er sagen, seiner Mutter sei das auch schon aufgefallen. Sie frage ihn, wann er endlich mal Urlaub mache. Es ist, als ob man einem Alkoholiker rät, er solle auf Fencheltee umsteigen. Böhmermann rührt keinen Alkohol an. Braucht er auch nicht. Seine Droge ist die Arbeit.
Entdeckt haben will er ihre therapeutische Wirkung, als er 17 war. Da starb sein Vater, ein SEK-Beamter, an Leukämie. Ein Schock für die Familie. Böhmermann sagt, damals sei Arbeit ein guter Weg gewesen, um sich abzulenken. Und Geld habe es auch noch gegeben. 41 Pfennige pro Zeile. So viel zahlte ihm die Bremer Lokalzeitung Die Norddeutsche für seine Kulturrezensionen.
Fast rund um die Uhr online
Heute ist der Familienvater fast rund um die Uhr online. Er scannt die größten Zeitungen und Magazine auf der Suche nach Themen für „Neo Magazin“. Mit der Bild-und-Tonfabrik hat er die ideale Partnerin für sein Powerplay gefunden. Es ist eine Kreativschmiede, gegründet von Filmstudenten. Mit-Geschäftsführer Philipp Käßbohrer sagt, Böhmermann empfinde seinen Job gar nicht als Arbeit, weil er sich eben mit dem Inhalt identifiziere. „Diese vielen Eindrücke müssen einfach durch ihn auf den Schirm.“
Ex-Sidekick von Harald Schmidt
Der Ruf als Hoffnungsträger der TV-Unterhaltung eilte ihm schon seit längerem voraus, dem ehemaligen Sidekick von Harald Schmidt. Fragt man ihn, was er an Schmidt bewundere, schwärmt er von „dieser Mischung aus Qualität und unglaublicher Dreistigkeit“. Nicht langweilen, nicht berechenbar sein, das ist sein Credo. Da hält er es wie sein Mentor. Böhmermann sagt, Harald sei ihm auf die Seele tätowiert. Es soll ironisch klingen. Doch man merkt, er meint es ernst.
Jetzt ist Schmidt weg vom Bildschirm – und Böhmermann da. Das neue Gesicht der Late Night. Hinter der Kamera ist er ein bisschen nahbarer als sein Idol – und vielleicht auch nicht ganz so eitel. Er sagt, er brauche nur zwei Minuten im Bad.
Nahbarkeit. Bodenhaftung. Es sind Eigenschaften, die ihm helfen könnten, wenn er seine Nische im Zweiten eines Tages verlassen und auf die Helene-Fischer-Fans der Generation 20-70 losgelassen wird. Denn das ist sein Plan. Schon kokettiert Böhmermann damit, dass er eines Tages Markus Lanz als Talker beerben könnte. Vier Shows pro Woche, das wär's.
Dass ihm der Talk liegt, weiß man, seit er 2012 mit Charlotte Roche den Talk „Roche & Böhmermann“ für ZDFkultur moderiert hat. Eine Show, die alle Regeln dieses Formats konterkarierte. Hofiert wurde niemand. Das passte nicht allen Gästen. Der Hip-Hop-Musiker Max Herre verließ das Studio wutentbrannt, weil die Gastgeber seine Songs mit Schlagern verglichen.
Und jetzt also das „Neo Magazin“, Böhmermanns Eintrittskarte in die Bundesliga der TV-Unterhaltung. Grimme-Preis-gekrönt. Der späte Freitagabend gehört jetzt ihm, nach der heute-show und dem Kulturmagazin Aspekte. Er sagt, so viel ändere sich vorerst nicht. Ein größeres Studio – und eine eigene Band mit dem Rapper Dendemann als Musik-Chef. Und der Zusatz „royale“ im Titel.
Hat er keine Angst, dass ihm das ZDF jetzt häufiger reinredet, da er auch die älteren Zuschauer erreichen kann? Böhmermann schweigt kurz. Die katholische Kirche. Die Helene-Fischer-Fans. Man sieht, wie er das neue Terrain auf mögliche Fettnäpfchen scannt. Kompromisse müsse man immer machen, sagt er. Und dass das Schlimme ja sei, dass man das selber gar nicht merke, wenn man sich verändere.
In seiner Sendung „Neo Magazin“ fiel seine Reaktion auf die Nachricht vom Wechsel ins Zweite euphorischer aus. „Meins, meins, alles meins“, ruft er da. Später Triumph eines Naturtalentes, das mit 33 Jahren zu alt ist, um als ewiger Geheimtipp versteckt zu werden.