Hier die Verödung der Dörfer und der Kampf mit der Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung, dort die Urbanisierung und die Vergrößerung der Städte. Trotz dieser Kluft sollen die Lebensverhältnisse in Stadt und Land als gleichwertig festgeschrieben werden.
Wie das gehen soll, theoretisch, also rechtspolitisch, und praktisch, wollten Juristen in Verwaltung und Wissenschaft aus ganz Deutschland bei der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht (DGAR) in Würzburg wissen. Eine Exkursion führte sie am Samstag auch zur Interkommunalen Allianz Oberes Werntal, dort, wo schon seit zehn Jahren gemeinsam das Problem angegangen wird.
„Wie kann dieses Auseinanderklaffen von Stadt und Land verhindert werden?“ Prof. Matthias Dombert, Vorsitzender der DGAR und Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, nannte beim Besuch im Oberen Werntal den Kern des Tagungsthemas „Entwicklung ländlicher Räume“: „Wie stellt sich Bayern das vor mit den gleichwertigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen, die in der Bayerischen Verfassung verankert werden sollen?“ Was verfassungsrechtlich von den Juristen aus ganz Deutschland betrachtet wurde, wollten diese auch in der Praxis sehen.
Die Defizite im ländlichen Raum kannten vor allem die Teilnehmer aus Ostdeutschland. Umso mehr interessierten sie sich für die kommunale Selbstverwaltung Bayerns, die Handlungsspielräume der Gemeinden, die mittlerweile in Unterfranken weit gediehene interkommunale Zusammenarbeit und das Beispiel der Allianz Oberes Werntal.
In der Mitgliedsgemeinde Geldersheim erlebten sie vor ihrem Besuch in Obbach die bayerische Dorferneuerung in mustergültiger Ausführung, sie ließen sich Flurbereinigung und Renaturierung vor Augen führen.
Wie bei allen Maßnahmen das staatliche Amt für Ländliche Entwicklung agiert, wie es nicht nur mit Geld fördert, sondern versucht, die Bürger in die Planungsprozesse mit einzubinden, erläuterte dessen Vertreter Manfred Stadler.
Bürgermeisterin Ruth Hanna Gube verwies auf das Ziel einer Innen- vor einer Außenentwicklung, nannte aber auch die Probleme zwischen stadtnahen und stadtferneren Allianzgemeinden mit dieser freiwilligen Selbstverpflichtung. Wie im Innern ein Dorf aufgemöbelt werden kann, sahen die Juristen in Obbach, wo sie die „heiße Bauphase“ an der Staatsstraße 2290 bemerkten, aber auch ein über die Dorferneuerung saniertes Rathaus, zwei mittlerweile fertig gestellte Ortsstraßen mit gepflasterten Rändern und frischem Grün, einen neuen Dorfplatz, einen begehbaren Bach als fußläufige Verbindung und das Bauhütten-Modellprojekt für regionstypisches Sanieren und Bauen im Altort.
Reiner Klingholz,
Chef des Berlin-Instituts, zur Studie „Zukunft der Dörfer“
Die provokante Formulierung „Man muss sich abgewöhnen, an jedem Kaff zu hängen“ – eine Schlagzeile auf der Thema-Seite dieser Zeitung vom Freitag – hatte bereits am Freitagnachmittag Euerbachs Bürgermeister und Allianz-Sprecher Arthur Arnold auf der Tagung in Würzburg aufgegriffen. Gerade für die Gemeinschaft engagierte Einwohner seiner drei Ortsteile hätten sich äußerst betroffen über so eine Äußerung gezeigt, die der Chef des Berlin-Instituts für demografische Analysen getan hatte.
Es könne nicht sein, so Arnold, dass die Menschen dorthin ziehen müssten, wo ihnen alles geboten würde. Sondern es müsse umgekehrt laufen, man müsse dafür sorgen, dass sie auch im ländlichen Raum ihre Bedürfnisse erfüllen, ihr Leben und Arbeiten finden könnten. Das sei gerecht.
Beim samstäglichen Rundgang durch Obbach verhehlten Arnold und Stadler bei allen Erfolgen in Sachen Dorferneuerung aber auch nicht, wie schwierig es zuweilen sein kann, die Bürger mitzunehmen.
„Hier sind wir ein Stück weit auch gescheitert“, bekannte Arnold angesichts von einigen Anliegern am Ortseingang, die sich einer Straßen- und Randbereichserneuerung verweigern. Und ALE-Mitarbeiter Manfred Stadler gab seine Erfahrung wieder: „Geld allein hilft nicht, das muss in die Köpfe der Leute.“
Allianz im Fernsehen
Das Thema der Entwicklung ländlicher Räume und der Urbanisierung wird derzeit verstärkt auf vielen Ebenen betrachtet. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer plant unter anderem für den Fall seiner Wiederwahl ein eigenes Ministerium für ländliche Räume. Dem Thema widmet sich auch das Bayerische Fernsehen: Ein Fernsehteam filmte vergangene Woche zwei Tage in der Gemeindeallianz Oberes Werntal. Deren Ideen zur Wiederbelebung der Ortskerne wie kostenlose Bauberatung durch einen Architekten, Innenentwicklungslotse, städtebauliche Sanierungsgebiete oder interkommunale Zusammenarbeit wie FLIZ- und INKA-Projekte wurden für die Sendung „laVita“ gedreht. Ausgestrahlt wird sie am Montag, 29. April, um 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen.