Wenn Albert Fuchs morgens um 5 Uhr im Stall steht, muss alles schnell gehen. Zehn Minuten nimmt er sich, um jede Kuh zu melken. Abends steht der 46-jährige Landwirt dann wieder an den Melkmaschinen. Eine Arbeit, die sich für den Milchbauern aus Eichelsee (Lkr. Würzburg) immer weniger lohnt: Zwar ist der Milchpreis derzeit auf einem Fünfjahreshoch. Das Geschäft mit der Milch ist ohne die Zuschüsse der Europäischen Union für die Landwirte aber längst nicht mehr wirtschaftlich. Die EU-Agrarminister haben nun eine Reform dieses Fördersystems beschlossen. Bauern in Deutschland sollen demnach weniger Direktzahlungen aus Brüssel erhalten. In Würzburg treffen sich am Donnerstag und am Freitag dieser Woche die Agrarminister der 16 Bundesländer und Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner zur nationalen Weichenstellung. Eine Einigung gilt als unsicher.
„Die Reform hat viele Fragen für uns Bauern offengelassen“, sagt Albert Fuchs. 60 Kühe stehen in seinem Stall. Die werden mit Futter versorgt, dass auf rund 60 Hektar Ackerland wächst. Um seine Tiere zu versorgen, verbringt der Landwirt nicht selten den ganzen Tag auf dem Hof. Allein ist er dabei nicht: Die ganze Familie muss mitanpacken, um den Betrieb am Laufen zu halten. Neben den drei Töchtern packt auch der zehnjährige Robert nach der Schule bereits kräftig mit an. Das spare Personalkosten.
Alle zwei Monate wird es ernst für den unterfränkischen Landwirt: Dann verhandelt Fuchs mit Vertretern der Molkereien. Dabei geht es oft um geringe Cent-Beträge. Die aber haben große Auswirkungen: Zahlt die Molkereiindustrie nur einen Cent weniger für das Kilogramm Milch, spart sie in Deutschland rund 300 Millionen Euro Kosten, berichtet der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Zwar stiegen die Preise für Milch in den letzten Monaten kontinuierlich und Bauern erhielten zuletzt durchschnittlich 36,51 Cent für das Kilogramm Milch – so viel wie seit fünf Jahren nicht mehr. Milchviehhalter rechnen ihre Milch kiloweise ab: Ein Kilo entspricht rund 1,02 Litern.
Fuchs aber ist dennoch unzufrieden mit dem Milchpreis. Schließlich kostet alleine die Produktion in Süddeutschland laut einem Gutachten 51 Cent. Die Preise für Futter und Energie seien in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, klagt der Landwirt.
„Ohne die Subventionen der EU ist ein Milchbetrieb schon lange nicht mehr zu führen“, sagt Hans Foldenauer vom BDM. Selbst in guten Jahren seien die Milchbauern von den Agrargeldern aus Brüssel abhängig. Immerhin berichtet der Milchindustrie-Verband von einer positiven Entwicklung des Marktes. „Die Nachfrage ist gut, wir haben starke Absatzmöglichkeiten“, bestätigt Geschäftsführer Eckhart Hauser. Unter anderem, weil zurzeit das Geschäft mit China nicht nur wegen des dortigen Skandals mit verseuchtem Milchpulver boomt.
Um den Milchpreis wird hart gekämpft. In dieser Woche beschäftigen sich auch die Agrarminister mit der europäischen Reform zur Agrarpolitik. Die EU-Minister hatten beschlossen, dass kleine Höfe im Vergleich zu Großbetrieben künftig mehr Geld bekommen sollen. Auch Junglandwirte sollen verstärkt gefördert werden. Denn seit Jahren ist die Anzahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft rückläufig: Arbeiteten 1950 noch rund 1,4 Millionen Menschen auf bayerischen Feldern, waren es laut Bayerischen Agrarbericht 2010 nur noch 186 700 – das sind nur noch 2,8 Prozent aller Erwerbstätigen.
Daneben sollen laut EU-Reform ab 2015 fünf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen stärker der Natur überlassen werden. 30 Prozent der Zahlungen, welche die Bauern als Direktzahlungen direkt aus EU-Töpfen erhalten, bekommen sie künftig nur noch, wenn sie umweltfreundlicher wirtschaften. Aber das sogenannte Greening ist umstritten.„Für die Milchwirte in Deutschland bedeutet das nicht mehr, sondern weniger Prämiengeld“, kritisiert Foldenauer. Ein Vorwurf, den Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner zurückweist. „Die Kürzungen durch allgemeine Einsparungen bewegen sich im einstelligen Bereich“, so die CSU-Politikerin in einer Pressemitteilung. Für die deutsche Landwirtschaft stünden weiterhin rund fünf Milliarden Euro an Direktzahlungen bereit. Aigner verspricht: keine Förderlücken oder Brüche für die Landwirte. Seit 1957 gestalten europäische Agrarminister die Landwirtschaft gemeinsam. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) hat zum Ziel, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, die Märkte zu stabilisieren und für angemessene Verbraucherpreise sorgen.
Viele Landwirte in Deutschland fühlen sich und ihre Interessen in Brüssel aber nicht ernst genommen. Die Milchbauern haben für die Ministerrunde in Würzburg Proteste angekündigt. Mit ihren Traktoren wollen sie am Donnerstag vor das Hotel Maritim fahren und ihren Forderungen mit Transparenten Ausdruck verleihen. Zweimal jährlich verhandeln die Minister gemeinsam über die landwirtschaftliche Entwicklung. In diesem Jahr hat der Freistaat Bayern den Vorsitz für die Agrarministerkonferenz.
Die Landwirtschaftspolitiker verhandeln heuer vor allem über die aktuellen Entwicklungen auf dem Milchmarkt. Ganz oben auf der Tagesordnung der Minister dürfte die europäische Milchquote stehen: Seit 1984 setzt die Quote Obergrenzen für die Milchproduktion in den einzelnen Staaten in der Europäischen Union fest. So sollen Angebot und Nachfrage auf dem Milchmarkt ins Gleichgewicht gebracht werden und Überschüsse verhindert werden. Die Quotenregelung läuft 2015 aber aus – Landwirten stünde dann frei, wie viel Milch sie produzieren. Strafen wie bisher wird die EU dann nicht mehr verhängen.
„Der europäische Milchmarkt muss sich nach Quotenende neu aufstellen“, sagt Fuchs. Die Milchbauern haben Angst, dass bei Überproduktionen die Preise einbrechen. Erst 2009 schütteten wütende Landwirte ihre Milch auf die Felder. Sie fordern daher Instrumente, um im Falle einer Milchkrise eingreifen zu können. Ihr Vorschlag: Mit freiwilligen Produktionsverzichten soll das Milchangebot zeitlich befristet reduziert werden. Bauern würden in diesem Fall Entschädigungen erhalten. „Nur so können wir einen neuen Kollaps des Milchmarktes verhindern“, sagt Fuchs. Zuletzt hatte sich die Bundeslandwirtschaftsministerin bei Abstimmungen um die strittige Frage der Eingriffe in die Agrarmärkte enthalten.
Die Lobby der Milchindustrie und der Druck auf die Politik seien einfach zu mächtig, so Fuchs. Auch sein Traktor steht schon bereit für den Protest in Würzburg. „Momentan ist die Situation für uns Milchbauern alles andere als vorteilhaft“, findet er. Ob sein Sohn Robert eines Tages den Hof im Ochsenfurter Gau übernehmen wird, steht noch nicht fest. Seit Generationen ist der Betrieb in Familienbesitz. Aber gerade auf dem Land nehme die Anzahl von Höfen in den vergangenen Jahren immer weiter ab, weiß Fuchs. Gab es 1999 noch 16 016 Bauernhöfe in Unterfranken, sank diese Zahl laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik auf 9159 Betriebe im Jahr 2010. Auch Fuchs verspürt Druck: Nur weil vier Kinder sowie die Großeltern mit anpacken, können alle Kühe rechtzeitig gemolken werden.
Nicht nur für die bayerischen Milchbauern geht es bei der Agrarministerkonferenz um viel: Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) fordert im Vorfeld der Verhandlungen einen bundesweit gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Bei der anstehenden Agrarministerkonferenz in Würzburg will der Grünen-Politiker einen entsprechenden Antrag einreichen, der auch für die Erntehelfer in Deutschland gelten würde. Mit Informationen von dpa
Landwirtschaft in Zahlen
Landwirtschaftliche Betriebe: Rückläufig ist die Zahl der Bauernhöfe (ab zwei Hektar Fläche) in Bayern. 1999 gab es im Freistaat noch 149 057 Betriebe, zehn Jahre später nur noch 113 396. Das bedeutet einen Rückgang von 23,9 Prozent. In Unterfranken sank die Anzahl der Betriebe gar um 27,2 Prozent – auf 9159 Bauernhöfe im Jahr 2010.
Genutzte Fläche: In Unterfranken werden 386 000 Hektar landwirtschaftlich genutzt. Das sind mehr als 45 Prozent der gesamten Fläche. 6,2 Prozent dieser Flächen bewirtschafteten die Bauern 2010 nach ökologischen Kriterien. Mehr als 17 Prozent der Fläche sind Dauergrünland. Landwirte nutzen diese Wiesen zur Grünfutter-, Silage- und Heu-Gewinnung.
Erwerbstätige: 2,9 Prozent der Erwerbstätigen in Bayern sind in der Landwirtschaft beschäftigt, das sind 186 700 Frauen und Männer. 1950 waren es noch 1,4 Millionen, das entsprach über 30 Prozent.
Milchviehhalter: Das Hofsterben betrifft vor allem die Milchviehhalter. Gab es 2008 in Bayern noch 45 323 Landwirte, die Milchkühe in ihrem Stall hielten, sank diese Zahl 2011 auf 39 945. In Unterfranken gaben überdurchschnittlich viele Kuhhalter auf: Um rund 19 Prozent nahm die Anzahl binnen dreier Jahre ab. Nur noch 1172 Landwirte halten hier Milchkühe. Der Regierungsbezirk mit den meisten Milchbauern, nämlich 12 120 Landwirten, ist Oberbayern.
Milchanlieferung an Molkereien: Die Milchanlieferung an Molkereien im Jahr 2011 nahm in Unterfranken im Vergleich zu 2001 um 4,8 Prozent ab. Etwa 216 000 Tonnen Milch lieferten die Betriebe in der Region pro Jahr.
Proteste: Neben den Milchbauern demonstrieren am Donnerstag ab 11 Uhr am Maritim-Hotel in Würzburg auch Umwelt- und Naturschützer gegen die Agrarpolitik des Bundes und vieler Länder. Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ fordern sie eine Politik für eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft, gegen „riesige Tierfabriken“. Das Tagungsgelände soll umzingelt werden. Text: vka