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WÜRZBURG
Das Lebenselixier des Malers Curd Lessig
Vor eigenen Werken: Curd Lessig mit Gattin Eva im Haus auf der Würzburger Sieboldshöhe.
Foto: Jürgen Höpfl/Bartsch | Vor eigenen Werken: Curd Lessig mit Gattin Eva im Haus auf der Würzburger Sieboldshöhe.
Jürgen Höpfl
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:30 Uhr

Der Einschnitt geschah am Hochzeitstag. „Mein Curd saß draußen in unserem Garten. Aber als ich den Kaffee aus der Küche brachte, war er so komisch und kaum ansprechbar“, berichtet Eva Lessig. Das war im Herbst vor fünf Jahren. Ihr Mann kam als Notfall in die Klinik. Dort stellten die Ärzte zwar nicht den – befürchteten – Schlaganfall fest, aber das erste schwere Auftreten jener Parkinson-Krankheit, die einem der bedeutendsten Würzburger Künstler seither zusetzt, die seine Schaffenskraft erst einschränkte und sie ihm dann raubte.

An diesem Samstag, 22. November, feiert Lessig seinen 90. Geburtstag. Das Malen aber, sein Lebenselixier, hat er aufgegeben. „Ich habe keine Lust mehr. Mir fehlt die Energie“, sagt er langsam und leise und trotzt dem Syndrom in wohlbedachten, konsequenten Worten: „Ich kann nicht mehr besser werden. Und ich weiß nicht, was ich noch mitteilen soll.“

Dabei war es gerade dieses malerische Sich-Mitteilen gewesen, das von ihm Besitz ergriffen hatte. Zeitlebens hatte ihn das andauernde Besserwerdenwollen von Malerei zu Malerei, von Bild zu Bild getrieben. „Dieser wunderbare Kerl“, sagt seine Eva, und lächelt ihn dabei so innig an, als sei sie selbst nach den 64 gemeinsamen Jahren mit vier Kindern, neun Enkeln und zwei Urenkeln noch verliebt wie am ersten Tage anno 1950, als die beiden sechs Wochen nach dem Kennenlernen heirateten. Dieser wunderbare Kerl also – „er hatte eine so ungeheure Schaffenskraft und Kreativität“, sagt die Frau und Muse an Curd Lessigs Seite: „Seine Fantasie war grenzenlos und strömte aus ihm wie aus einem Brunnen. Und er war verlässlich gradaus. Als mein Mann, als Mitmensch und Künstler.“

Die Verlässlichkeit lässt sich bildhaft in Zahlen ausdrücken, der schöpferische Wert gilt ohnehin als unumstritten; es gab Ausstellungen in Paris, Nürnberg, Heidelberg, Bamberg oder Frankfurt, Ehrungen von Afrika bis Italien, München bis Bonn. Über 5000 Gemälde, Zeichnungen, Skizzen, Gouache- oder Aquarellmotive, Drucke und Radierungen sind entstanden, nur gut hundert Bilder davon noch übrig im eigenen Bestand, der hochgeschätzte Rest ist verkauft – „und das Geld dafür längst verfressen und versoffen“, wie Curd Lessig schelmisch bemerkt: „Es war mehr Gutes als Schlechtes dabei!“

Das zum städtepolitischen Zankapfel gewordene Mozart-Gymnasium in der Hofstraße hat er mit „Ballspielenden Mädchen“ bemalt, Decken und Gewölbe und Wände und Fassaden, wenigstens 20 Kirchen sowie 30 Aussegnungshallen in der Umgebung, in Fulda und Giebelstadt, an Weinstraße und Tauber.

Heiligtümer zu gestalten wurde zu seiner besonders gerühmten Leidenschaft, in Retzbach in der Wallfahrtsstätte Maria im Grünen Tal, den Gotteshäusern von Aschach, Bad Bocklet, Oberwerrn oder Roth in der Rhön – und intensiv erlebt bei den Fenstern der Maximilian-Kolbe-Kirche in Mespelbrunn. 1974 entstand die Auftrags-Glasmalerei im Spessart, Lessig nennt das Entstehen die schwierigste Phase seines Künstlerlebens. „In der Auseinandersetzung mit dem Tod des Seligen hat er Krzysztofs Pendereckis Auschwitz-Oratorium gehört und sich so hineingesteigert, dass er auf einmal zum Asketen wurde“, erzählt Eva Lessig: „Als wollte er in der Beschäftigung mit dem Leiden und Opfertod von Pater Maximilian Kolbe selber zum dargestellten nackten Manne werden.“

Vor künstlerischer Nacktheit ist er ohnehin nie zurückgeschreckt – und offenbart im Atelier des 1962 bezogenen Heims auf der Sieboldshöhe mit fast diebischer Freude jede Menge teils noch halb fertiger Frauenporträts, deren Inspirationsquelle zu erahnen ist. Die 1989er-Tuschezeichnungen von „Paris und Aphrodite bei den US-Open“ dienen als Quell üppiger Lebensfreude, bei den „Pferdespielen“ von 1982 oder diversen „Aktstudien“ kommen auch Wollust und Begierde im Gesamtschaffen nicht zu kurz, neben Mainlandschaften und Weinbergen, Pferden an der Kiesgrube, den Lanzarote-Stränden und -Ziegen. „Es ist zu viel“, sagt Eva Lessig: „Wir haben inzwischen ja selbst den Überblick verloren.“

Nahezu unglaublich mutet das Schaffen an, erwähnt sie die ganz frühen Jahre: „Er hatte eine bescheidene Kindheit und Jugend, war nicht von stabiler Gesundheit.“ Künstlerisch angehaucht war eher Mutter Lina. Curd und Zwillingsbruder Heinz-Bruno wuchsen nach der Scheidung der Eltern in Heimen auf, in den Krieg zogen beide – „nicht an die gleiche Front, damit zumindest einer überlebt“. Oboist Heinz-Bruno fiel in Russland, während Curd in amerikanischer Kriegsgefangenschaft bei Cherbourg in der Normandie als Frontmaler den Lazarett-Arzt porträtieren durfte: „Ich hatte dazu mehr Talent als zum Kartoffelschälen.“

Mit der zur Unzeit erkannten Begabung machte er sich 1957 selbstständig, mutig genug: „Ich wusste immer, dass das klappt!“ In seiner Welt, der Kunst, war Lessig eben immer Optimist – in ziemlich allen anderen Lebensbereichen bekennender Pessimist. „Ich habe nie daran geglaubt, dass ich 90 werde.“ An diesem Samstag hat er es trotzdem geschafft.

Drei Lessig-Ausstellungen

Einen Überblick über das reiche Schaffen von Curd Lessig bieten derzeit gleich drei Würzburger Galerien: Galerie des BBK im Kulturspeicher: Feder- und Tuschezeichnungen (Mittwoch bis Samstag 14–18, Sonntag 11–18 Uhr; bis 30. November)

Spitäle an der Alten Mainbrücke: Gouachen und Zeichnungen (nur noch an diesem Samstag und Sonntag jeweils 11–18 Uhr)

Kulturspeicher: Arbeiten aus dem Bestand der städtischen Sammlung, von frühen Zeichnungen über Aquarelle bis zu Ölbildern, vom (Selbst-)Porträt bis zum mythologischen Thema (Dienstag 13-18, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 11-18, Donnerstag 11-19 Uhr; bis 16. Januar 2015)

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