Wenn das langsame Vergessen beginnt, dann versuchen es die meisten Menschen vor anderen zu verbergen. Die Alzheimer-Demenz ist immer noch eine unheimliche Erkrankung, weil das Selbst sich immer mehr auflöst und der Kampf, dies aufzuhalten, bislang vergebens ist. Immer wieder sind es Prominente, die an die Öffentlichkeit gehen und ihren schrittweisen Abschied von der Weltbühne inszenieren, wenn sie die Diagnose Alzheimer erhalten haben oder es sich kaum mehr mehr verbergen lässt – wie jetzt beim langjährigen Schalke-Manager Rudi Assauer (wir berichteten). Der Würzburger Demenzforscher Dr. Thomas Polak, Oberarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Frühdiagnose von Demenzen an der Uniklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, beschreibt den Stand der Forschung und beantwortet die wichtigsten Fragen zu dieser Erkrankung des menschlichen Gehirns.
Gibt es Unterschiede zwischen Demenz und Alzheimer?
Demenz ist der Oberbegriff für eine Gruppe von Erkrankungen, die mit geistigem Abbau aufgrund einer Schädigung des Gehirns im Alter einhergehen. Es gibt nicht nur die Alzheimer-Erkrankung. Sie gilt aber mit etwa 60 Prozent der Fälle als die häufigste Form. Andere Ursachen sind etwa die Lewy-Körperchen-Demenz (andere Form von Ablagerungen im Gehirn als bei der Alzheimer-Demenz) oder die vaskuläre Demenz aufgrund von Durchblutungsstörungen des Gehirns.
Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) leben hierzulande etwa 1,2 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen. Ungefähr 60 Prozent davon würden an einer Demenz vom Typ Alzheimer leiden. Ihre Zahl wird laut DAlzG bis 2050 auf 2,6 Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt.
Bei der Alzheimererkrankung sind nicht wie bei der vaskulären Demenz Gefäßstörungen die Ursache, sondern eine Veränderung innerhalb der Nervenzellen, die zu einer vermehrten Ablagerung von Eiweißstoffen wie Amyloid-Plaques zwischen und Tau-Fibrillen in den Nervenzellen führt. Hierdurch wird die Funktion der Nervenzellen gestört, so dass sie nicht mehr richtig zusammenarbeiten können. Zudem entsteht ein Defizit des Botenstoffes Acetylcholin, ein Neurotransmitter, der Reize von einer Nervenzelle zur nächsten weitergibt und wichtig ist für viele Prozesse wie Erinnern, Denken, Orientieren. Letztlich sterben die Nervenzellen ab.
Demenz ist eine Erkrankung des Alters. Die Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Lebensalter zu. Was nicht heißt, dass nicht auch unter 60-Jährige davon betroffen sein können. Besonders wichtig in jedem Lebensalter ist aber das Erkennen von Pseudo- oder Schein-Demenzen, die im Gegensatz zur Alzheimer-Erkrankung rückgängig gemacht werden können. Sie kommen beispielsweise bei einer Depression vor.
Der Besuch beim Arzt sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden, falls sich folgende Anzeichen bemerkbar machen:
• Das Leitsymptom sind zunehmende Gedächtnisstörungen, die über ein halbes Jahr andauern.
• Störung kognitiver Prozesse wie Denken, Orientierung, Auffassung, Sprache, Lernfähigkeit, Urteilsvermögen, das Planen von Handlungen.
• Verschlechterung von Gefühlskontrolle, Sozialverhalten, Motivation und Antrieb. Menschen reagieren unkalkulierbar, fassen Dinge anders auf als sonst, verändern ihre Persönlichkeit, haben Wahrnehmungsstörungen.
• Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens.
Demenzen zählen bislang noch zu den am schlechtesten behandelten Erkrankungen. Bei geschätzten 36 Millionen Betroffenen weltweit wird bei weniger als einem Viertel die Demenzerkrankung diagnostiziert und therapiert. Ein Problem ist, dass die meisten Demenzerkrankungen laut Welt-Alzheimerbericht viel zu spät erkannt werden. Das Gehirn ist gegenüber Krankheitsprozessen relativ robust und widerstandsfähig, es kann sehr lange den Ausfall von Nervenzellen ausgleichen. Deshalb sind beim Auftreten von Ausfallerscheinungen wie Gedächtnisstörungen meist sehr viele Nervenzellen bereits unwiederbringlich geschädigt oder abgestorben, und das Gehirn befindet sich dann bereits in einem schlechten Zustand. Daher versucht die Forschung, Methoden zu entwickeln, mit denen man eine Demenz zu einem früheren Zeitpunkt diagnostizieren kann – wie aktuell mit der Würzburger Vogel-Studie an der Uniklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (siehe unten stehender Bericht). Bis eine frühe Diagnosemöglichkeit gefunden ist, gilt: Rechtzeitig zum Arzt gehen.
Risikofaktoren sind Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen, zu viel Alkohol, zu wenig Bewegung. Wer also einer Demenz vorbeugen möchte, sollte gesund leben. Tanzen ist zum Beispiel ideal, denn hier müssen in einer einzigen Tätigkeit mehrere koordinative Fähigkeiten beherzigt werden.
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn über das Thema psychischer Erkrankungen ganz offensiv und unbefangen gesprochen wird, ist doch die Ursache psychischer Erkrankungen in vielen Fällen (Demenzen, endogene Depressionen, schizophrene Psychosen) eine Stoffwechselstörung des Gehirns, die man in vielen Fällen medikamentös beeinflussen kann. Es muss möglich sein, auch über psychische Erkrankungen ganz unbefangen reden zu können. Psychische Erkrankungen auszugrenzen, zu verschweigen oder gar zu stigmatisieren halte ich für völlig unangebracht. Hut ab also vor Rudi Assauer, es gehört leider heute auch immer noch sehr viel Mut dazu, sich zu bekennen. Er hat sehr deutlich gemacht, dass das ständige Verbergen, Verdängen und nicht Wahrhabenwollen irgendwann viel anstrengender wird, als irgendwann dann zu der Erkrankung zu stehen. Ganz abgesehen davon, dass das Aufschieben der fachgerechten Diagnostik und Therapie in vielen Fällen einer Verschleppung und Chronifizierung Vorschub leisten kann. Ich persönlich hätte eine etwas andere Form als Assauer bevorzugt. Es gibt schon so unsäglich viele Formate im Fernsehen, in denen Menschen sich auf Schritt und Tritt von der Kamera verfolgen lassen. Und natürlich ist da jetzt auch Werbung für sein Buch daraus geworden.
Ist Alzheimer vererbbar?
Dass eine Alzheimererkrankung sozusagen in der Familie liegt, also vererbbar ist, kommt eher selten vor – bei weniger als zehn Prozent der Fälle. Kennzeichen ist, dass sie früh beginnen, um 60, spätestens mit 65 Jahren. Bei Rudi Assauer ist es möglich, dass seine Erkrankung eine von den vererbbaren Demenzen ist, aufgrund seines Alters und da sein Bruder und auch seine Mutter Alzheimer haben und hatten.
Nicht nur Medikamente sind wichtig bei der Behandlung von Demenzerkrankungen, sondern auch das soziale Umfeld. Die Unterbringung von Demenzkranken in Pflegeheimen sollte als „Notlösung“ angesehen werden. In jedem Fall ist es besser, Alzheimer-Patienten zu Hause zu pflegen, damit sie in ihrem vertrauten Umfeld leben. Eine Demenz verschlechtert sich, wenn Betroffene plötzlich in eine fremde Umgebung versetzt werden. Dort finden sie sich oft schwer zurecht.
Wie sollten Angehörige sich gegenüber Demenzkranken verhalten?
Für Angehörige von Demenz-Patienten ist es oft sehr schwierig, mit der Krankheit und den damit verbundenen Persönlichkeitsveränderungen der Betroffenen umzugehen. Wenn Demenzkranke ihre Umgebung nicht mehr erkennen, ihren Angehörigen Dinge unterstellen, etwa den Diebstahl eines Geldbeutels, der lediglich verlegt worden ist, oder wenn sie ständig vergessen, wohin sie ihre Brille gelegt haben, dann führt das häufig zu Spannungen im Alltag. Aber: Demenz ist eine Krankheit. Hinter dem veränderten Verhalten steckt keine böse Absicht.
• Demenzkranke sollten wertschätzend behandelt werden und nicht so, als wären sie kleine Kinder. Viele Dinge funktionieren bei ihnen noch sehr gut, beispielsweise das autobiografische Gedächtnis. Und es gibt immer wieder Situationen, in denen es den Betroffenen besser geht. Man kann nicht verallgemeinernd sagen, dass Alzheimerkranke nichts mehr von ihrer Umwelt mitbekommen. Das ist neben dem Schweregrad auch von der Tagesform abhängig.
• Demenzkranken sollte das Gefühl gegeben werden, dass sie noch gebraucht werden. Deshalb sollten Angehörige sie die Dinge verrichten lassen, die sie noch gut können.
• Wichtig im Umgang mit Demenzkranken ist es, möglichst viele Alltagsinformationen einfließen zu lassen. Etwa: „Jetzt ist 12 Uhr. Gleich gibt es Mittagessen.“ Das trainiert die Realitätswahrnehmung und hilft Betroffenen bei der Orientierung.
• Informationen über Demenzerkrankungen helfen, sie besser zu verstehen und leichter mit den Patienten umzugehen. Deshalb sollten Angehörige unbedingt Veranstaltungen besuchen, sich im Internet informieren, Pflegekurse belegen oder sich Unterstützung und Entlastungsmöglichkeiten suchen.
• Alzheimer Gesellschaft Würzburg/Unterfranken sowie HALMA (Hilfen für alte Menschen im Alltag): Tel. (0931) 28 43 57.
• Zeitreise – Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige, Haus der Pflege, Marktstefter Weg 4, 97318 Kitzingen-Sickershausen, Tel. (0 93 21) 3 70 30 oder (0 93 24) 24 27, Fax (0 93 21) 37 03 57.
• Alzheimer Angehörigengruppe Schweinfurt, Tagesklinik Schweinfurt, Dittelsbrunnerstraße 13-25, 97422 Schweinfurt, Tel. (0 97 21) 29 91 06, Fax (0 97 21) 29 91 05.
• Gerontopsychiatrische Vernetzung in der Region Main-Rhön, Johann-Wenzel-Straße 2, 97526 Sennfeld, Tel. (0 97 21) 77 28 45 (Matthias Matlachowski).
• Fachstelle für (pflegende) Angehörige, Johann-Wenzel-Straße 2, 97526 Sennfeld, Tanja Back, Tel. (0 97 21) 77 28 99.
Die verblassenden Erinnerungen von Rudi Assauer
Patrick Strasser (36) ist Fußball-Reporter der Münchner Abendzeitung, er begleitet seit Jahren den FC Bayern und die Nationalelf: Nun porträtierte der Journalist den ehemaligen Schalke-Manager Rudi Assauer, der in dem Buch seine Alzheimer-Erkrankung öffentlich macht. Strasser traf sich zu acht langen Interview-Terminen mit Assauer, besuchte ihn zuhause in Gelsenkirchen und in der Essener Klinik, in der der 67-Jährige behandelt wird. Er lernte den Ex-Profi als „stets freundlich“ kennen. Die Schwierigkeit war, so Strasser, „dass ich mir alles anlesen musste, denn Assauer ist nicht mehr der von früher, der sein Reich und Recht offensiv verteidigte. Es sprudelt nicht mehr aus ihm heraus, er ist sehr in sich gekehrt“. Vor allem die Geduld, mit der Assauer die Gespräche führte, „hat mir sehr imponiert“. Die Krankheit ist Strasser nicht unbekannt, „ich habe meine Großmütter, die beide an Alzheimer erkrankt waren, begleitet“, sagt der Autor. „Wichtig ist, dass man mit den Erkrankten so normal wie möglich umgeht. Mitleid wäre falsch.“ Er habe aber bewusst kein wissenschaftliches Buch geschrieben, so Strasser. Aus der Position des Erzählers schildert er auch das schillernde Leben von Rudi Assauer. Text: Ach
BUCH-TIPP
Rudi Assauer mit Patrick Strasser, „Wie ausgewechselt – Verblassende Erinnerungen an mein Leben“, Riva-Verlag (München), 256 Seiten.